Kapitel 197

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Wincent

Die Euphorie und Freude von Elli aus Losheim hielt leider nicht alle. In Gelsenkirchen ging es noch einigermaßen, aber einen Tag später in Beverungen ging gar nichts mehr. Ich habe das Gefühl als sei sie am Ende. Zwar steht sie wieder mit unserem Therapeut in Kontakt, aber ich selbst weiß nicht mehr weiter. Diese Tat muss bei ihr so viel ausgelöst haben. Wir sind mittlerweile in München und ich arbeite ein bisschen im Studio. Kevin und ich wollen uns mal konkret mit der Planung des 4. Albums auseinandersetzen. Elli ist auch mit hier, aber ich habe das Gefühl als sei sie nur körperlich anwesend. Sie sitzt schon seit einer halben Stunde drüben im Studiozimmer und starrt die Wand vor sich an. Alles was sie betrifft, bereitet mir momentan richtig Sorgen. Gerade habe ich ein bisschen mit Mama und den Kids telefoniert. Sie haben mir von ihrem ersten Schultag heute berichtet und haben begeistert davon geschwärmt. Gottseidank hat da alles so schnell geklappt. Morgen fahren wir wieder nach Hause und ich bin mal gespannt, wie sie da sein wird. Eigentlich habe ich geplant ein paar Tage wegzufahren, aber das habe ich gecancelt. ,,Wincent kommst du, das Essen ist hier", ruft Kevin aus der Küche. ,,Komme", rufe ich zurück und schnappe mir meine Bierflasche und laufe rüber. ,,Du hast dir das Hühnchen mit Reis bestellt oder?", fragt er und reicht mir eine Schachtel. Nickend nehme ich sie ihm aus der Hand und mache eine kleine Portion davon auf einen Teller. ,,Bist du auf mini Diät?", lacht Fabi und schnappt sich sein Essen. ,,Das ist für Elli", sage ich und schaue ihn kurz an. ,,Hast du dir mal die Portion angeschaut?", kichert er weiter. ,,Ich bin froh wenn sie überhaupt was isst", murmle ich und laufe rüber. In der Küche herrscht augenblicklich Stille.

Leise schließe ich die Tür hinter mir und sehe Elli eingehüllt in einer Decke auf dem Sofa sitzen. Sie schaut mich nicht an, sondern schaut einfach aus dem Fenster. Vorsichtig setze ich mich neben sie und stelle den Teller vor sie auf den kleinen Tisch. Aber sie schaut mich immer noch nicht an. Es kommt mir schon fast vor, als würde sie mich gar nicht bemerken. Behutsam lege ich eine Hand auf ihre Schulter, worauf sie leicht zusammenzuckt und mich endlich anschaut. ,,Schatz, isst du bitte was", sage ich leise und deute auf den Teller. Sie folgt meinen Blick und schaut den Teller an. ,,Du musst etwas essen. Auch wenn es nicht viel ist", rede ich weiter auf sie ein. Gefühlte Minuten später, in denen nichts passiert ist, seufze ich und greife nach dem Teller. Ich bemerke wie sie mich im Augenwinkel beobachtet. Ich verrühre das Fleisch mit dem Reis und packe ein bisschen auf den Löffel. Ich halte ihn ihr hin und zu meiner Überraschung isst sie es sogar. ,,Schmeckt es?", frage ich leise und streiche ihr eine wirre Haarsträhne hinters Ohr. Sie nickt leicht und greift nach dem Löffel. Da ich weiß, dass es das Gegenteil bewirkt wenn ich hier sitzen bleibe und zuschaue, gehe ich wieder rüber und esse selbst meine Portion.

,,Wie geht es jetzt weiter?", fragt Kevin als wir zu Ende gegessen haben. ,,Wir fahren morgen früh nach Hause und da werden wir erstmal die nächsten Tage bis zum Konzert in Zürich verbringen. Ich hab die nächsten Termine abgesagt, ich kann einfach nicht mehr", seufze ich und lehne mich an die Küchenzeile. ,,Wince, wenn ich ehrlich bin, mache ich mir Sorgen um dich", sagt Kevin leise und schaut mich besorgt an. Stirnrunzelnd schaue ich ihn an. ,,Hast du dich mal angesehen? Du hast abgenommen, bist total blass und deine Augenringe sehen aus, als hättest du wochenlang nicht geschlafen", redet er weiter. ,,Mir gehts gut", murmle ich und trinke einen Schluck Wasser. ,,Das kannst du ruhig weiter einreden, aber dann belügst du dich aber selbst." ,,Ich muss doch aber für sie da sein", hauche ich und bekomme augenblicklich Tränen in die Augen. ,,Setz dich mal", sagt er leise und drückt mich auf einen Stuhl. ,,Ich finde das unfassbar toll was du alles für sie machst, aber du musst auch ein bisschen an dich denken. Gönn dir mal auch ein bisschen Zeit für dich und nimm die Hilfe von uns anderen an. Ja du sagst, du bekommst das bin, aber es macht dich nicht zu einem schlechteren Menschen wenn du von anderen Hilfe annimmst", sagt er und schaut mich eindringlich an.

Wie tief muss man tauchen, bis man die Tränen nicht mehr siehtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt