Kapitel 111

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Wincent

,,Hey Dina, ist etwas passiert?", frage ich alarmiert. ,,Wincent, bist du gerade bei Kevin oder zu Hause?", fragt sie und ihre Stimme klingt ein bisschen belegt. ,,Bin zu Hause", antworte ich und schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter. ,,Kannst du vielleicht ins Krankenhaus kommen? Ich bräuchte dich hier." ,,Was ist los?", frage ich unsicher. ,,Das würde ich dir ungern am Telefon sagen." ,,Ich mach mich auf den Weg. Ich beeile mich", sage ich schnell. ,,Mach das, aber fahr vorsichtig. Einer reicht mir hier", murmelt sie. ,,Mach ich, versprochen", antworte ich leise und lege auf. Schnell gehe ich hoch ins Schlafzimmer und ziehe mich an. Als ich zum Bett schaue, geht mein Blick sofort zu dem Bild auf Ellis Nachttisch. Langsam gehe ich zum Bett uns setze mich auf ihre Bettkante. Vorsichtig greife ich nach dem Bilderrahmen und streiche über das Bild. Das Foto ist dieses Jahr auf Tour entstanden. Amelie hat es heimlich von uns gemacht. Es zeigt uns wie ich mich von hinten anschleiche und sie erschrecke. Wir lachen beide aus vollstem Herzen und in diesem Moment dachten wir beide, wir sind auf einem gutem Weg, sind glücklich. Mit Tränen in den Augen stelle ich das Bild wieder hin und verlasse das Schlafzimmer. Unten ziehe ich mir schnell ein paar Schuhe an, schnappe mir meine Schlüssel und verlasse die Wohnung. So schnell es die Verkehrsregeln es zulassen, mache ich mich auf den Weg ins Krankenhaus. Wie die letzten 120 Tage in meinem Leben betrete ich mit zittrigen Beinen das Gebäude und laufe hoch zur Intensivstation. Der Weg zu zur Station fühlt sich jeden Tag wie eine halbe Ewigkeit an. ,,Hallo Wincent", lächelt Lina und öffnet mir die Tür. Auch diesmal ist Elli auf der Station auf der Schwester Leonie, Lina und Pfleger Metin arbeiten. Und es fühlt sich echt gut an, jemanden zu kennen. ,,Ist etwas mit Elli?", frage ich unsicher. ,,Das erklärt dir lieber Dr. Behrend", lächelt sie sachte und geht Richtung Schwesternzimmer.

Gerade als ich Ellis Zimmer betrete, sehe ich den Arzt bei Dina stehen. Dina hat ein Klemmbrett in der Hand und unterschreibt einen Zettel. ,,Was ist los?", frage ich sofort und bleibe bei ihnen stehen. ,,Herr Weiß, wir müssen ihre Freundin nochmal operieren. Wir haben auf dem MRT gesehen, dass wir eine Quetschung nicht komplett beseitigen konnten, als wir sie vor ein paaar Tagen operiert haben", erklärt er mir. ,,Aber was bedeutet das", stammle ich. ,,Das bedeutet erstmal nichts Neues. Es bedeutet, dass wir immer noch abwarten müssen, was Elisa fühlen kann wenn sie wach ist", spricht er. ,,Tut mir leid, ich muss los mich vorbereiten", verabschiedet er sich und legt mir aufmunternd eine Hand auf die Schulter. ,,Sie schafft auch das. Wärst du mir böse wenn ich kurz etwas essen gehe", fragt Dina und schaut mich aufmunternd an. ,,Geh ruhig", lächle ich und nehme sie kurz in den Arm. ,,Hey Süße, ich bin wieder da", flüstere ich und hauche Elli einen Kuss auf die Stirn. Ich schnappe mir einen Stuhl und setze mich neben sie. ,,Was machst du denn für Sachen", lächle ich leicht und nehme ihre Hand in meine. ,,Aber das schaffst du jetzt auch noch okay? Und wenn du fertig bist, bin ich hier", rede ich einfach und schaue sie an. ,,Als ich heute Morgen gegangen bin, bin ich zu Kevin gefahren. Kevin und Lisa denken auch ganz fest an dich", spreche ich weiter und drücke vorsichtig ihre Hand. ,,Wincent, wir würden sie jetzt mitnehmen", stehen plötzlich Leonie und Lina neben mir. Sofort nicke ich und stehe auf. ,,Du schaffst das. Ich liebe dich, meine kleine Kämpferin", flüstere ich drücke ihr nochmal einen Kuss auf die Stirn. Als ich mich rumdrehe, lächeln mich die beiden liebevoll an und fangen an, die Geräte zu entfernen. Ich beobachte sie dabei und begleite Elli noch bis zum Aufzug.

Die Wartezeit überbrücke ich indem ich nach unten gehe und Dina aufsuche. Ich finde sie in der Cafeteria an einem Tisch sitzen. ,,Wurde sie schon geholt?", fragt sie als ich mich hinsetze. Ich nicke und hole mein Handy heraus. Ich schreibe eine Nachricht in unsere Gruppe um alle zu updaten. Auch Mum schreibe ich schnell eine Nachricht. ,,Wince, ich sag das jetzt ungern. Aber du siehst nicht gut aus", sagt Dina einfühlsam und schaut mich besorgt an. ,,Schläfst du überhaupt mal?", fragt sie weiter. ,,Ich schlafe zwar ein, wache aber kurz darauf wieder auf", seufze ich. ,,Wince, du brauchst den Schlaf." ,,Ich weiß", murmle ich und kribble mir an den Fingern herum. ,,Sie fehlt mir so sehr", flüstere ich und schaue auf. ,,Mir auch Wince, mir auch. Aber ich hoffe du weißt auch, dass es nicht einfacher wird wenn sie aufwacht." ,,Wenn sie überhaupt wieder aufwacht", wimmere ich. ,,Rede so etwas nicht", flüstert Dina den Tränen nahe. ,,Tut mir leid", hauche ich und wische mir die aufkommenden Tränen weg. ,,Ich habe so Angst wie sie reagieren wird, wenn sie aufwacht und die Diagnose erklärt bekommt", sagt sie nach einer kurzen Stille. ,,Ich auch, wie oft meinte sie im letzten Jahr, sie könne nicht mehr. Und jetzt muss sie noch mehr kämpfen", antworte ich niedergeschlagen. ,,Erstmal muss sie wieder im Leben ankommen, dass wird auch nochmal schwer", seufzt sie und reibt sich übers Gesicht.

1 1/2 Stunden später werden wir informiert das Elli wieder da ist. Als wir das Zimmer betreten steht der Arzt noch bei ihr am Bett und checkt ihre Werte. ,,Ah da sind sie ja schon", begrüßt er uns und legt die Akte weg. ,,Wie ist es gelaufen?", fragt Dina direkt. ,,Sie müssen sich keine Sorgen machen. Es ist alles nach Plan verlaufen. Elisa geht es den Umständen entsprechend gut", antwortet er und verabschiedet sich schon wieder. ,,Hey Kleine, wir sind hier", sage ich leise und setze mich wieder neben sie. Irgendwann lege ich meinen Kopf vorsichtig auf ihre Beine und vor lauter Erschöpfung muss ich wohl eingeschlafen sein, denn plötzlich werde ich von Dina geweckt. ,,Hey Wincent, aufwachen. Die Besuchszeiten sind gleich vorbei", sagt sie leise und streichelt meinen Rücken. ,,Bin ich echt eingeschlafen", murmle ich und reibe mir die Augen. ,,Ja, du hast eine Stunde geschlafen. Komm fahren wir nach Hause, da kannst du dich wieder hinlegen", antwortet sie. Nachdem wir uns von Elli verabschiedet haben, verlassen wir das Krankenhaus. Auf dem Parkplatz verabschieden wir uns und gehen zu unseren Autos. Zu Hause angekommen mache ich mir noch etwas Kleines zu essen und lasse es mir vor dem Fernseher schmecken. Irgendwann später am Abend lasse ich mich ins Bett fallen und hoffe diese Nacht ein bisschen mehr schlafen zu können.

Am nächsten Morgen werde ich wieder recht früh wach. Nach einem kurzen Blick auf mein Handy, stelle ich seufzend fest, dass es erst 8 Uhr ist. Aber wenigstens habe ich ein bisschen mehr Schlaf abbekommen. Erstmal beantworte ich ein paar Nachrichten und ca. eine halbe Stunde später stehe ich auf und ziehe mir etwas an. In der Küche mache ich mir erstmal etwas zum Frühstück und setze mich mit einem Kaffee hinter den Laptop. Auch wenn ich mich zurückgezogen habe, muss ich Mails beantworten. Als ich zu Ende gegessen habe und mit den Mails fertig bin, ist es schon kurz vor halb 10. Da im Krankenhaus die Besuchszeit um 10:00 Uhr beginnt, mache ich mich fertig und breche zeitnah auf. Nach einem kurzen Stopp an der Tankstelle, betrete ich pünktlich Ellis Zimmer. ,,Guten Morgen Süße", sage ich und hauche ihr einen Kuss auf die Stirn. ,,Ah guten Morgen", begrüßt mich Pfleger Metin und schließt eine neue Infusion an. ,,Gibt es etwas Neues?", frage ich hoffnungsvoll. ,,Leider nein. Aber heute Morgen bei der Visite wurde gesagt, dass ihre Werte immer besser werden", lächelt er. ,,Hörst du, man sieht wie du kämpfst. Also immer weiter machen okay? Ich brauche dich nämlich", flüstere ich und streichle ihren Arm. Als Dina um 13:00 Uhr kommt, verabschiede ich mich, denn ich muss meine Mum vom Flughafen abholen. Sie wird über das verlängerte Wochenende kommen und mich ein bisschen unterstützen. Pünktlich stehe ich eine Stunde in der Empfangshalle und warte auf Mama. Ich bin wahnsinnig froh, wenn sie endlich kommt. 20 Minuten später sehe ich sie schon kommen und als ich sehe, dass sie nicht alleine ist, muss ich augenblicklich über beide Ohren grinsen.

,,Na Kumpel", ruft Marco und kommt die letzten Meter auf mich zu gerannt. ,,Was machst du denn hier", lache ich und schließe ihn in meine Arme. ,,Als ich gehört habe, dass Angela herkommt, habe ich meinen Chef gefragt ob ich den Freitag freibekomme. Das bedeutet, du hast jetzt vier Tage deinen besten Freund an der Backe", lacht er. ,,Damit kann ich leben", grinse ich und drücke ihn nochmal an mich. ,,Lass dich mal begrüßen", kichert Mum neben uns. ,,Wollte Shay nicht mitkommen?", frage ich sie während ich sie umarme. ,,Sie kommt mit der Situation nicht so gut klar. Sie wollte bei ihrem Vater bleiben", antwortet sie. ,,Warst du heute schon bei Elli?", fragt Mum als ich den Motor starte. ,,Ja, der Arzt meinte heute bei der Visite das ihre Werte immer besser werden", antworte ich. ,,Das klingt doch schonmal ganz gut", lächelt Marco. Zu Hause angekommen tragen wir erstmal das ganze Gepäck hoch und kommen an. ,,Wince, alles gut?", fragt Mum als sie zu mir in die Küche kommt. ,,Was soll den gut sein", murmle ich und reibe mir die Stirn. ,,Wince", flüstert sie und drückt meine Schulter. ,,Wir haben so viel geplant dieses Jahr. Wir haben uns so gefreut, waren so glücklich. Und jetzt?", flüstere ich. ,,Ihr werdet auch wieder glücklich Wincent. Elli hat schon so viel geschafft, dass wird sie auch noch schaffen. Vor allem mit deiner Unterstützung." ,,Danke Mama", flüstere ich und lasse mich in ihre Arme ziehen. Nachdem Marco auch wieder unten ist, setzen wir uns aufs Sofa und reden noch ein bisschen über alles mögliche.

Den restlichen Tag haben wir damit verbracht, dass wir einkaufen waren. Danach waren wir noch ein bisschen und am Abend waren wir alle nochmal kurz bei Elli. Jetzt sitzen wir mit unserer bestellten Pizza auf dem Sofa und schauen einen Film. Als ich bei der Hälfte bin, lege ich das Stück Pizza seufzend weg. ,,Wince, du hast gerade mal eine halbe Pizza gegessen", sagt Mama besorgt. ,,Ich habe keinen Hunger mehr", murmle ich und stelle sie weg. ,,Bei jedem Bissen wird mir total schlecht", flüstere ich schließe meine Augen um mich zu beruhigen. ,,Du musst dir nichts runterzwingen aber bitte iss wenigstens immer eine Kleinigkeit, versprich mir das bitte", flüstert Mum und legt einen Arm um mich. Könnten die beide bitte die ganze Zeit hier sein, denn ich merke wieder, wie gut mir ihre Anwesenheit tut. Aber ich kann auch nicht mit ihnen mitgehen. Ich muss hier in Ellis Nähe bleiben.

Wie tief muss man tauchen, bis man die Tränen nicht mehr siehtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt