12. Kapitel - Sommerferien

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Die nächsten sechs Ferienwochen verbrachte ich in deprimierender Einsamkeit. Mir war von Anfang an klar gewesen, dass es darauf hinauslaufen würde. Also nahm ich mir zu Beginn besonders viel vor, um mich beschäftigt zu halten. Ich packte mir meinen Tag möglichst voll und fühlte mich am Abend gut, wenn ich alle Dinge auf der Liste abhaken konnte. In den ersten Tagen stellte ich meinen Unterrichtsplan zusammen, füllte fehlende Unterlagen aus und organisierte mir den Schulstoff der Einser- und Zweierkurse.

Beim Zusammensammeln des Schulstoffs hatte ich Unterstützung von einigen Lehrkräften. Manche waren bereit mir ihre Aufzeichnungen zukommen zu lassen, während Andere mich an bestimmte Schüler verwiesen, die wohl gewissenhaft mitgeschrieben hatten. Nun könnte man meinen, dass ich wenigstens über das Einsammeln des Unterrichtsstoffs Kontakte zu anderen Schülern knüpfen würde, doch das blieb leider nur eine Wunschvorstellung. Über ein: „Warum brauchst du das?" und „Klar, kein Problem" waren die Gespräche nie hinausgegangen.

Da ich morgens am produktivsten war, stand ich in den ersten Wochen immer gegen halb acht auf und machte mich gleich ans Aufarbeiten des Schulstoffs. Ich lernte einige Stunden vor dem Frühstück, lernte einige Stunden nach dem Frühstück, bis in den Nachmittag hinein. Erst wenn ich alle Aufgaben für diesen Tag abgehakt hatte, hörte ich auf.

Danach hielt ich mich beschäftigt, indem ich verpflichtende Telefonate führte. Ginger hatte mir ihr altes Handy ausgeliehen. In einem ihrer wirklich seltenen, aber doch vorhandenen freundlichen Momente. Ich hatte nicht lange gezögert und ihr Angebot sofort angenommen, bevor sie es sich hätte anders überlegen können. Durch Gingers nette Spende, konnte ich mit allen in Kontakt bleiben. Natürlich bestanden meine Eltern darauf, dass ich mich regelmäßig meldete. Sie waren heilfroh gewesen, als sie das erste Mal wieder von mir gehört hatten. Ich muss zugeben, ich hatte es einige Zeit vermieden bei ihnen anzurufen. Ich war davon ausgegangen, dass sie unfassbar wütend auf mich wären, weil ich mich so lange nicht gemeldet hatte. Aber zu meiner großen Überraschung waren sie das nicht. Sie waren einfach nur erleichtert gewesen. Sie waren zwar weiterhin besorgt und sie wollten alles über meine Umstände wissen, aber sie hatten aufgehört mir Vorwürfe zu machen und das war mehr, als ich erwartet hatte.

Ich fand es wäre am besten ihnen nichts von meinem Wechsel zum Schwarzen Orden zu erzählen. Sie würden nachhaken und mich ausfragen wie es dort sei und wie es mir ginge. Sie würden sich noch mehr Sorgen machen und das wollte ich lieber vermeiden. Ich hielt die Telefonate kurz. Je länger ich mit ihnen telefonierte, desto schwerer fiel es mir den Schein zu wahren, dass es mir hier gut ging. Schließlich konnte ich sie sogar dazu überreden, dass es vollkommend ausreichend war sich nur jeden zweiten Tag zu melden.

Michelle und Connor hielt ich ebenfalls auf Abstand. Michelle war sowieso mehr mit sich und ihrem Leben beschäftigt, sodass wir meisten nur ein bis zwei Mal die Woche telefonierten. Das war auch okay. Ich meine es waren Sommerferien und sie verbrachte die Zeit am liebsten bei ihrem Freund, den sie seit neustem hatte und von dem sie mir gelegentlich erzählte.

Connor war wahrscheinlich ähnlich einsam, wie ich. Außer Linn, hatte er niemanden mit dem er etwas unternehmen konnte. Mit seiner Familie wollte er wahrscheinlich kaum Zeit verbringen und sonst blieb ja auch ihm nicht viel übrig. Er bemühte sich öfter als Michelle um ein Gespräch, wahrscheinlich weil er immer noch glaubte, dass ich wütend auf ihn war. Dabei war ich nicht wütend. Trotzdem war die Stimmung zwischen ihm und mir weiterhin seltsam. Das Vertrauen war einfach weg und mit der Zeit fing ich an mich zu fragen, ob wir Connor überhaupt noch vertrauen konnten. Wenn ihn Janine dazu gebracht hatte beim Weißen Orden zu bleiben, wer weiß zu was sie ihn sonst noch überzeugen konnte. Aber diese unheimliche Vermutung behielt ich vorerst für mich.

Die Gespräche mit Connor wurden also immer oberflächlicher. Wir redeten darüber was wir gemacht hatten und was wir in den nächsten Tagen vor hatten, mehr nicht. Die Tiefe, die unsere Gespräche vor dem Ganzen gehabt hatten, erreichten wir nicht mal im Ansatz.

Magie oder Schicksal? (3.Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt