42. Kapitel - Die Zeichnung

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Die Aufregung stieg mit jedem Schritt, den wir in die Richtung meines Zimmers taten. Mein Herz schlug einen Takt schneller, als ich den Schreibtisch sah, auf dem einige Zettel durcheinander lagen. Es waren die Zettel, die ich in meiner Hektik auf dem Tisch verteilt hatte, um den Mond in seiner ganzen Schönheit zu zeichnen. Als ich vor dem Tisch ankam, war es auch der Mond, der mir als erstes auffiel. Er lag dort, von mir gezeichnet und genau so perfekt und realistisch, wie ich es in meinem Traum, besser gesagt diesem Zwischending von Realität und Traum, gesehen hatte. Lian stellte sich neben mich und folgte meinem Blick.

„Hast du das gemalt?"

„Ja", entgegnete ich atemlos.

„Das ist echt gut, ich wusste gar nicht, dass du so gut zeichnen kannst."

„Hm", brummte ich abwesend. Diesen Mond hatte ich also wirklich gemalt. Bedeutete das, dass alles andere auch real gewesen war? Also auch das Schattenwesen, dieses Mädchen? Hatte sich Lian doch geirrt und es gab sie wirklich? Oder war sie mittlerweile real geworden, weil ich mich so sehr vor ihr gefürchtet hatte? Bis eben hatte ich fast angenommen, dass diese merkwürdige Erfahrung, so ähnlich wie mein Traum von dem Fund des Tagebuches meiner Großmutter, gewesen wäre. Ein Traum eben, mit Parallelen in die Wirklichkeit. Doch scheinbar war es mehr.

„Du siehst nicht begeistert aus", schlussfolgerte Lian meinen nachdenklichen Gesichtsausdruck. Ich sah ihm entgegen und begann zu erzählen. Wie entspannt sich alles erst angefühlt hatte, wie ich den Mond zunächst bewundert und ihn dann hatte zeichnen müssen. Wie ich gespürt hatte, dass die Zeit knapp wurde und wie mich die Warnung: Run aufmerksam gemacht hatte. Wie ich aus dem Zimmer geflüchtet war und wie ich dann dem Schattenmädchen begegnet war und wie aus ihr mein Entführer geworden war.

Lian starrte eine Weile gedankenverloren an mir vorbei, aber dann schien ihm ein Licht aufzugehen. Ein Lächeln legte sich in sein Gesicht und er blickte mir erstaunt entgegen.

„Das ist genial", flüsterte er begeistert.

„Was?"

„Dieses Mädchen, das ist kein Schattenwesen."

„Okay... aber was ist es dann? Doch nur meine Fantasie?" Lian schüttelte den Kopf.

„Nein, viel mehr." Viel mehr? Dieses Mädchen war also kein Schattenwesen, aber auch nicht meine Fantasie? Was war sie dann? Doch wohl nicht Jayden, der sich plötzlich verwandeln konnte oder? Das würde nämlich eine ganz andere Dimension annehmen.

„Dieses Mädchen wollte dich warnen, du hättest nie Angst vor ihr haben müssen."

„Okay... ja darüber habe ich auch schon mal nachgedacht", entgegnete ich langsam.

„Aber du verstehst nicht wie brillant das ist!" Ich runzelte die Stirn. Brillant? Dieses geisterhafte, unheimliche Mädchen war also brillant?

„Nein, das verstehe ich wirklich nicht."

„Sie war deine Intuition."

„Was?", entgegnete ich verwirrt.

„Deine Intuition hat schon viel früher gewusst, dass du dich in Gefahr befindest. Deine Intuition hat sich in Form eines Geister ähnlichen Mädchens manifestiert, um präsenter zu sein. Dein Unterbewusstsein hat diese Gestalt aus dem Film zum Leben erweckt, um dich vor deinen Entführern zu warnen", erklärte Lian und wurde dabei immer euphorischer. Er war begeistert von dieser Annahme und ich konnte nicht nachvollziehen warum das so war. Denn für mich machte das alles immer noch keinen Sinn.

„Du meinst also, dass diese Gestalt nie wirklich existiert hat und mich nur warnen wollte." Lian nickte heftig.

„Es tut mir voll leid... ich habe das nicht ernst genug genommen. Ich dachte wirklich, dass dieses Mädchen nur deine Einbildung ist, weil du Angst bekommen hast. Wäre ich mehr darauf eingegangen, dann hätten wir dich vielleicht vor dieser Entführung beschützen können."

Magie oder Schicksal? (3.Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt