50. Kapitel - Besuch

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Es war ein seltsames Gefühl Linn und Michelle beim Schwarzen Orden zu sehen. Ich hatte mich auf das Treffen mit ihnen gefreut. So sehr sogar, dass ich die paar Stunden davor kaum hatte schlafen können. Ich war nervös gewesen, weil ich mir nicht sicher war, wie unser Wiedersehen sein würde. Würde es sich so wie immer anfühlen? Oder hatten wir uns alle verändert? Immerhin war es mehr als zwei Monate her, dass wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Wir hatten zwar telefoniert und geschrieben, aber sich wirklich wieder gegenüber zu stehen, war dann doch etwas anderes.

Als ich sie den Garten des Schwarzen Ordens betreten sah, tat sich in mir plötzlich ein heftiger Drang auf, ihnen von all den Sachen zu erzählen, die in den vergangenen zwei Monaten passiert waren.

Ich wollte ihnen von meinen Sommerferien erzählen und erklären warum ich so wenig geantwortet hatte. Ich wollte sie fragen wie ihre Ferien gewesen waren, wie es ihnen ging, wie es mit Michelles Freund lief und wie es mit Linn und Connor war. Ich wollte so viel wissen, schon allein weil davon persönlich erzählt zu bekommen, so viel schöner war, als nur ein Text oder ein Anruf.

Jedoch gab es da ein kleines Problem. Es waren nicht einfach nur Sommerferien gewesen, in denen wir uns nicht gesehen hatten, weil wir alle im Urlaub gewesen waren oder unsere Familien besucht hatten. Nein, wir hatten uns nicht gesehen, weil ich vor Janine geflohen war.

Wir sahen uns nicht wieder, um zu quatschen und uns auf den neusten Stand zu bringen, nein wir sahen uns nur wieder, um einen Plan gegen Janine zu entwickeln.

Unser Wiedersehen war also nicht nur sehr zeitlich begrenzt, sondern auch noch sehr schweigsam. Unsere Devise war sie, so schnell und unauffällig wie möglich, in Lians Zimmer zu bringen und dann unauffällig wieder raus zu schmuggeln. Am besten so, dass niemand uns sah und niemand Fragen stellen würde.

Ihr tatsächlicher Aufenthalt bei uns dauerte also nur eine knappe halbe Stunde. In dieser Zeit hatten wir sie in Lians Zimmer gebracht und ihnen einen Zettel gegeben, auf dem Lian und ich das Wichtigste zusammengefasst hatten. Über den Zettel erklärten wir das Ritual. Wie es funktionierte und was wir dafür brauchten. Dann forderten wir Connor aus der Sache rauszulassen und nur als Aufpasser einzusetzen. Und am Ende hatten wir eine Uhrzeit festgelegt, zu der wir uns über das Ritual verbinden würden.

Wenn alles gut ging, schon morgen Abend um kurz vor Mitternacht. Linn und Michelle hatten schnell verstanden, dass wir alle Fragen aufschreiben mussten und nur das Wichtigste klären konnten. Sie hatten also alles schweigend hingenommen und dem morgigen Treffen ohne zu zögern zugestimmt.

Als sie das Gebäude wieder verließen, war es bereits kurz nach halb drei in der Früh. Damit war die erste Sache geklärt. Linn und Michelle waren auf dem Laufenden und hatten den Raum betreten, in dem das Ritual stattfinden sollte. Jetzt war Lian dran. Er musste in Linns Zimmer gewesen sein, bevor wir mit dem Ritual beginnen konnten. Und er war der Überzeugung, dass es heute, genau jetzt, sein musste, so schnell es eben ging. Ich hatte versucht dagegen zu argumentieren. Wir hatten zwar Samstagnacht, halb drei in der Früh und man konnte davon ausgehen, dass die meisten im Weißen Orden schlafen würden. Doch was wenn nicht? Gegen drei Uhr morgens würden sie beim Weißen Orden ankommen und Lian würde, wenn alles gut ging, den Weißen Orden kurz nach Drei wieder verlassen.

Das war eine sehr frühe, beziehungsweise sehr späte Uhrzeit. Eigentlich sollte niemand um diese Zeit auf sein, aber es gab immer Leute, die in der späten Nacht mehr sahen, als im frühen Morgen und um diese Uhrzeit noch wach waren. Oder Leute mit Schlafstörungen, die einfach nur einen Blick aus dem Fenster werfen müssten und schon würden wir auffliegen.

Was, wenn die Falschen von Lians Besuch erfahren würden? Wenn sie Janine Bescheid geben würden? Was wollten sie dann tun? Dann würde der ganze Plan nicht funktionieren, weil sie Lian dabehalten würde. Und Linn und Michelle würde sie zur Sicherheit wohl auch einsperren. Aber davon mal ganz abgesehen, wie stellten sie sich das überhaupt vor? Wollten sie wieder die Wachen am Eingang ablenken? Oder wollten sie einen anderen Eingang nehmen? Gab es überhaupt einen anderen Eingang?

Magie oder Schicksal? (3.Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt