„Gut." Gut? Lian ging es gut. Das war schön, doch ich hatte mir durchaus mehr Informationen erhofft.
„Du hast also noch all' deine Emotionen?", fragte ich vorsichtig. Es brachte ja alles nichts, wenn man ständig nur um den heißen Brei herumredete. Lian lachte ungläubig auf.
„Ja ich habe noch alle meine Emotionen", antwortete er genervt. Ich kam mir fast wie seine Mutter vor, die ihn fragte, ob er seine Hausaufgaben erledigt hatte.
„Gut." Mehr sagte ich nicht. Was hätte ich auch antworten sollen?
„Du brauchst dir wirklich keine Gedanken zu machen Sam. Ich habe noch alle meine Emotionen und ich werde sie auch in Zukunft behalten", versicherte er mir und griff nach meiner Hand. Ich sah ihn zweifelnd von der Seite an. War das wirklich so? Würde er seine Gefühle auch in Zukunft behalten? Ich war mir nicht sicher.
„Aber findest du das nicht heftig? Du hast echt verzweifelt gewirkt, als du mir gesagt hast, dass du nichts fühlst." Lian biss die Zähne fest zusammen und schwieg.
„Ich habe überlegt, ob es für dich nicht gut wäre, wenn du eine Therapie machen würdest", sagte ich direkt. Ich hatte zwar Angst vor seiner Antwort, aber ich wusste auch, dass er das hören musste. Das was mit ihm passiert war, war definitiv nicht normal. Lian sah mich überrascht an und schüttelte dann heftig den Kopf.
„Ich brauche keine Therapie! Es ist doch normal, dass man ein Bisschen neben der Spur ist, wenn so etwas passiert. Deswegen brauche ich nicht gleich eine Therapie!", antwortete er energisch und versuchte dabei nicht zu vertuschen, dass er sich von meinem Vorschlag angegriffen fühlte.
„Aber du warst nicht nur ein Bisschen neben der Spur, Lian. Du hast nichts mehr gefühlt. Du hast gesagt, dass es dir egal gewesen wäre, wenn jemand von uns gestorben wäre. Das ist nicht normal und das sollte man nicht empfinden", antwortete ich ernst. Ich wusste selbst nicht wo ich den Mut hernahm, Lian meine Meinung so direkt zu sagen. Vielleicht, weil ich mir so große Sorgen machte. Ich wollte ihn nie wieder dabei erleben, wie er mir sagte, dass er nichts fühlte und dass es ihm egal wäre, wenn ich sterben würde. Ihn noch mal so zu sehen, war mittlerweile zu meiner größten Angst geworden.
„Eine Therapie bedeutet ja nicht, dass man verrückt ist oder Medikamente braucht oder so und..." Ich verstummte und hielt mich davon ab, ihm zu erzählen, dass ich selbst auch ein paar Sitzungen bei Mrs. Rutherford gehabt hatte. Es wäre mir unangenehm gewesen ihm davon zu erzählen. Denn offenbar hatte er eine ganz andere Einstellungen zu dem Thema Therapie, als ich.
„Das weiß ich. Trotzdem brauche ich keine. Ich habe mich vielleicht nicht gleich mit dem Tod meiner Eltern und meines Bruder auseinandergesetzt, aber jetzt habe ich das doch gemacht. Worüber soll ich denn mit einem Therapeuten noch quatschen?" Ich sah Lian in die Augen und runzelte die Stirn. Stellte er sich blöd oder glaubte er selbst, was er da sagte? Er hatte sich doch immer noch nicht richtig damit auseinandergesetzt. Als er es zwangsweise musste, hatte er, wie auch immer er das gemacht hatte, einfach seine Gefühle abgestellt. Und seitdem seine Gefühle wieder da waren, hatte er kein Wort mehr darüber verloren. Vielleicht waren wir auch unterschiedliche Typen was das Trauern anging. Aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es das jetzt gewesen war. Und noch weniger konnte ich mir vorstellen, dass es gut wäre, wenn wir so tun würden als wäre nichts passiert und kein Wort mehr darüber verloren.
„Okay, wenn du dich jetzt so gut damit auseinandergesetzt hast, dann kannst du mir auch davon erzählen", forderte ich nachdrücklich. Lian starrte einen Moment nachdenklich an mir vorbei und versuchte wahrscheinlich einen Weg zu finden, wie er aus dieser Nummer wieder rauskommen sollte.
„Okay, was willst du wissen?", fragte er schließlich seufzend, als ihm ausfiel, dass es dafür keine gute Ausrede gab. Ich musterte ihn einen Moment skeptisch, bevor ich die vielen Fragen in meinem Kopf durchging.
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Magie oder Schicksal? (3.Teil)
Spiritual1. Teil: Zufall ode Magie? Sam hat den Sprung ins Ungewisse gewagt. Alleingelassen macht sie sich auf den Weg zum Schwarzen Orden. Doch ist der Schwarze Orden das Richtige für sie? Wird sie Andere von den bösen Machenschaften Janine's überzeugen und...