61. Kapitel - Neumondgespräche

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„Wie war dein Leben eigentlich bevor du hergekommen bist?", flüsterte Lian, den Blick immer noch auf die flackernden Flammen der Kerzen gerichtet. Ich nahm einen tiefen Atemzug und lehnte mich leicht nach vorne.

„Ganz normal eigentlich. Ich bin zur Schule gegangen, habe viel mit meiner besten Freundin gemacht. Ich habe hin und wieder ein neues Hobby ausprobiert."

„Hattest du das Gefühl, dass bei dir etwas anders ist?"

„Du meinst meine Magie?" Lian nickte.

„Nein, nicht so richtig."

„Du hattest also keine Ahnung?"

„Nein, eigentlich nicht. Als Kind habe ich sehr viel Magie gewirkt, mit meiner besten Freundin damals. Aber als wir älter geworden sind, habe ich das irgendwann nur noch für unsere Fantasie gehalten. Ich dachte wir hätten die Realität verdreht und uns eingeredet, dass das was wir am Tag zuvor prophezeit hatten, am nächsten Tag tatsächlich zur Wirklichkeit geworden ist", erklärte ich nachdenklich. Lian sah mich erstaunt an.

„Es ist schon verrückt wie leicht mir das Magie wirken früher gefallen ist. Ich habe mir einfach etwas vorgenommen und am nächsten Tag war es da oder ist genauso passiert. Ich bin jetzt nicht mal ansatzweise so gut mit meiner Magie, wie ich es als Kind war."

„Es ist so schade, dass man immer mehr zu denken anfängt, wenn man älter wird. Wir alle könnten so viel besser mit unserer Magie umgehen, wenn wir die Herangehensweise eines Kindes hätten. Es ist doch so wie mit allem. Sei es ein Hobby oder sonst etwas. Kinder haben keine Angst. Sie probieren die Dinge einfach aus. Deswegen lernen sie so viel schneller. Wir denken über viel zu viel nach und damit machen wir uns die Dinge kaputt. Wenn wir nicht nachdenken würden, dann würden wir auch nicht zweifeln und dann würde die Magie einfach klappen, eben weil wir nicht zweifeln würden", überlegte Lian laut.

„Na ja, aber wenn wir nicht darüber nachdenken würden, dann wären wir auch nicht auf die Konsequenzen gefasst. Kindern machen jede Menge Mist, weil sie noch gar nicht so weit voraus schauen können. Die meisten Kinder haben ja noch gar kein Gefahrenbewusstsein."

„Richtig, deswegen wird die Magie auch erst ab 12 Jahren gelehrt. Vorher sollen die Eltern ihre Kinder von dem Magie Wirken sogar zurückhalten", erklärte Lian und schien über diese Erkenntnis fast ein wenig traurig zu sein. Die Vorstellung, die Dinge noch ein Mal so wie ein Kind sehen zu können, war schön. Man dachte fast nur darüber nach was man in der nächsten Stunde machen wollte. Man setzte sich nicht mit den ganzen Dingen auseinander, die noch zu tun waren oder die unangenehm werden könnte. Man lebte einfach im Hier und Jetzt. Aber so funktionierte das Leben als Jugendliche oder als Erwachsener nicht mehr. Wenn wir nicht planten, dann würden wir Dinge vergessen oder nicht vorbereitet sein. Dann würden wir unseren Alltag gar nicht bewältigen können.

„Und bei dir? Wie war dein Leben vor all dem?", fragte ich interessiert.

„Mein Leben war eigentlich schon immer so."

„Wie meinst du das?"

„Magie hat schon immer eine Rolle in meinem Leben gespielt. Meine Mutter und mein Vater waren Magier. Genauso wie mein Bruder. Deshalb hat sich in meinem Leben auch immer alles um das Thema Magie gedreht. Als Kind fand ich das alles immer spannend und lustig. Ich habe einfach das gemacht was meine Eltern mir gesagt haben und es hat funktioniert."

„Was hast du als Kind für Magie angewendet?"

„Ach nur leichte, kleine Magie. Meine Eltern haben die Regel, als Kind von seiner Magie keinen Gebrauch machen zu dürfen, nicht so eng gesehen.

„Und was ist dann passiert?"

„Ich bin älter geworden und ich habe angefangen an mir zu zweifeln. Ich weiß gar nicht wieso. Meine Eltern haben mir nie einen Grund dazu gegeben. Sie waren sehr liebevoll und fürsorglich. Sie haben mir nie Druck gemacht, aber ich habe mir Druck gemacht. Wir stammen von einer sehr starken Magierlinie ab. Bei uns werden keine Generationen übersprungen. Unsere Magie wird an jeden Nachkommen weitergegeben. Ich hatte das Gefühl, dass andere hohe Erwartungen an mich haben. Ich kam zum Schwarzen Orden und jeder wusste wer ich war. Jeder kannte meine Eltern und jeder hatte eine Vorstellung davon wie meine Fähigkeiten sein sollten. Es hat sehr lange gedauert, bis ich anfing Magie nur noch für mich selbst zu wirken, ohne jemanden beeindrucken zu wollen oder meinem Familiennamen alle Ehre zu machen. Von da an wurde es besser."

Magie oder Schicksal? (3.Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt