55. Kapitel - Gebundenes oder ungebundenes Wahrheitsserum

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Ich löste mich aus ihrer engen Umarmung und machte einen Schritt nach hinten. Rosie musterte erst mich noch einmal genauer und blickte dann zu Lian. Dieser nahm nun auch seinen Helm vom Kopf und reichte ihr die Hand.

„Ihr kennt euch also nicht? Das ist Lian... ähm ein Freund vom Schwarzen Orden", sagte ich etwas verlegen.

„Freut mich Sie kennenzulernen. Sie sind die Großmutter von Angelina, richtig?" Rosie machte ein überraschtes Gesicht.

„Du kennst meine Enkelin?"

„Ja, wir sind befreundet. Sie meinte, Sie könnten uns vielleicht weiterhelfen?" Rosies leichte Skepsis verschwand und sie wurde wieder zu der freundlichen, offenen und überfürsorglichen alten Dame, wie ich sie kennengelernt hatte. Natürlich bot sie auch Lian gleich das Du an und forderte uns auf, uns zu setzen. Dann eilte sie in ihre Küche und servierte uns wenig später selbst gebackene Vanillekipfler und Lavendeltee.

„Bedient euch gerne, die sind gerade fertig geworden. Sie sollten noch etwas warm sein."

„Dankeschön, ich habe echt Hunger", antwortete ich und nahm mir einen Vanillekipfler von dem Servierteller.

„Meine Enkelin hat euch also zu mir geschickt? Um was geht es denn?", fragte Rosie neugierig und pustete über ihren heißen Tee.

„Wir brauchen etwas, das einem verbietet..." Ich lehnte mich zu ihr nach vorne und flüsterte ihr so leise ins Ohr, dass ich es selbst kaum hörte: „... zu lügen."

„Kannst du so etwas herstellen?", fragte ich zögernd. Rosies freundliche Augen verengten sich. Sie stellte ihre Tasse Tee ab und lehnte sich dann mit verschränkten Armen an der Lehne ihrer Couch an.

„Etwas das einem verbietet zu..."

„Psst", machte Lian energisch und legte den Finger auf die Lippen.

„Wie kommt ihr darauf? Und wie kommt ihr auf die Idee, dass ich das herstellen könnte?", fragte sie skeptisch. Ich blickte zu Lian. Wie sollten wir ihr das erklären, ohne zu offensichtlich darüber zu reden? Lian musste sich das Gleiche fragen. Er sah nachdenklich aus.

„Du erinnerst dich doch an die Nacht, in der ich mich bei dir versteckt habe oder?"

„Ja."

„Da wollten wir zur richtigen Zeit etwas gegen eine bestimmte Person unternehmen. Und jetzt wäre der richtige Zeitpunkt." Rosies Blick wurde ernster.

„Hast du Angelina in diese Sache mit reingezogen?", fragte sie aufgebracht. Lian und ich schüttelten heftig den Kopf.

„Nein, wir wissen nur, dass sich Angelina gut mit dieser Art der Magie auskennt und haben sie gefragt, ob sie das hinbekommen würde. Aber sie meinte ihr würde dafür einiges an Wissen fehlen, also hat sie uns zu dir geschickt", erklärte Lian schnell. Ich war froh, dass er das übernahm, denn mir wäre diese Lüge im Halse stecken geblieben. Rosie sah uns noch eine Weile prüfend an. Dann stand sie auf, holte ein, in Leder gebundenes, Buch und breitete es auf dem Tisch aus. Tief versunken in handschriftlichen Aufzeichnungen, die wie eine Sammlung von verschiedenen Ritualen aussahen, blätterte sie langsam die Seiten um.

Ich sah Lian von der Seite an. War es ihm genau so unangenehm wie mir Rosie zu belügen? Ihr schien es wirklich wichtig zu sein Angelina aus dem Ganzen herauszuhalten und ich konnte es mit jedem Tag mehr verstehen. Es kam mir falsch vor Rosie so zu belügen. Doch wir hatten keine andere Wahl. Einerseits hatten wir es Angelina versprochen und andererseits hatte ich die Befürchtung Rosie würde uns nicht länger helfen, wenn sie die Wahrheit kannte.

„Sind das alles Rituale, die du aufgeschrieben hast?", fragte Lian leise. Obwohl er wirklich leise sprach, klang es in der konzentrierte Stille trotzdem zu laut. Rosie sah von ihrem Buch nicht auf, während sie antwortete:

Magie oder Schicksal? (3.Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt