Den Rest des Frühstücks redeten wir nur noch sporadisch miteinander. Wenn wir es taten, überlegten wir laut und für Außenstehende wahrscheinlich sehr verwirrend, wie wir die Sache mit Janine am besten anstellen könnten. Wenn wir nicht redeten, dann dachten wir darüber nach.
Nach dem Frühstück begaben wir uns direkt in die Bibliothek. Als wir eintraten, führte uns Lian an einen Tisch, recht weit vorne am Eingangsbereich. Wir setzten uns und es dauerte einen Moment, bis ich das Mädchen mit den schwarzen, langen Haaren überhaupt wahrnahm und schließlich auch erkannte. Es war Angelina, die nachdenklich in einem Buch blätterte. Sie musste so versunken gewesen sein, dass sie uns nicht bemerkt hatte. Erst als Lian sie fragte, ob sie schon etwas Brauchbares gefunden hatte, hob sie kurz den Kopf und brummte ein angespanntes: „Nein." Ich war mir nie sicher, ob Angelina mit Absicht so abweisend und einschüchternd wirkte oder ob das einfach ihre Art war. Ich hatte sie einmal freundlich erlebt. Das war in meinem Kurs für Magiesprüche gewesen.
Gelegentlich warf ich einen knappen Blick zu ihr rüber und wartete darauf, dass sie mich ansah und mir irgendeine Mimik entgegenbringen würde, die mir verriet, dass sie mich nicht abgrundtief hasste.
Obwohl wir uns im Unterricht fast so etwas wie gut verstanden hatten, spürte ich jetzt wieder ihre starke Ablehnung. Die Frage war nur, ob sie die gegen mich oder gegen das Leben generell hatte. Lian schien sich davon jedenfalls nicht beeindrucken zu lassen und blickte weiterhin so fröhlich drein, wie er es sonst auch tat. Sein Verhalten war für mich wirklich rätselhaft. Ich fragte mich ernsthaft, wie man sich neben ihr wohlfühlen sollte. Schon allein mit ihr in einem Raum zu sein, machte mich nervös.
Lian sah sich um. Ich folgte seinem Blick und stellte fest, dass die Bibliothek wesentlich größer war, als ich angenommen hatte. Überall standen hohe Bücherregale, die bis fast an die Decke zu reichen schienen. Darin tausende von Büchern.
„Komm wir sehen uns mal um", sagte er und stand auf. Hektisch sprang ich auf und folgte ihm. Ich wollte unter keinen Umständen alleine mit Angelina zurück bleiben.
„Wo fangen wir an?", fragte ich vorsichtig.
„Ich habe keine Ahnung. Vielleicht sollten wir einfach Regal für Regal durchgehen", entgegnete er schulterzuckend und lief in die Richtung des Eingangs.
„Dauert das nicht viel zu lange?", warf ich ein, als wir vor dem ersten Regal angekommen waren und ich bemerkte, was für eine endlos lange Reihe von Bücherregalen sich vor uns erstreckte.
„Wahrscheinlich oder hast du eine andere Idee?" Ich dachte einen Moment lang nach und schüttelte dann den Kopf. Mit Google kämen wir wahrscheinlich nicht besonders weit und eine Internetplattform für Magier gab es wahrscheinlich auch nicht, sonst hätten Lian und Angelina dort längst gesucht.
„Wonach soll ich überhaupt schauen?" Lian sah mir in die Augen.
„Ich schätze am besten nach dem Überbegriff Rituale. Es wird nur vermutlich sehr lange dauern, weil es Unzählige davon gibt und ich keine Ahnung habe wie wir den Radius einschränken sollen. Das Problem bei den meisten Magiebüchern ist, dass sie kein bestimmtes Oberthema haben. Die meisten Autoren schreiben von ihren Erfahrungen.
Magie verläuft in den seltensten Fällen gradlinig. Das bedeutet sie fangen vielleicht mit einem Reinigungsritual an, machen dann aber mit einem Ritual zur Selbstfindung weiter, weil sie merken sie verlieren sich gerade selbst und plötzlich kommt ein Ritual zur Austreibung negativer Energien, weil sie gemerkt haben, sie hatten doch nicht den Kontakt zu sich selbst verloren, sondern dieser war lediglich von den negativen Energien gestört. Es geht meist mehr um den Zusammenhang und den Übergang von bestimmten Ritualen. Wie sind sie darauf gekommen, welche Bedingungen haben sie gebraucht und so weiter. Es gibt natürlich auch einzelne Bücher, in denen die gängigsten Rituale aufgelistet und erklärt sind, doch da werden wir nicht fündig. Unser Ritual ist viel zu speziell. Ich bin mir leider nicht mal sicher, ob wir hier überhaupt etwas finden werden. Diese Bibliothek ist so groß und vielseitig, es wird Monate dauern und trotzdem könnte es nicht dabei sein", erklärte Lian missmutig.
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Magie oder Schicksal? (3.Teil)
Spiritual1. Teil: Zufall ode Magie? Sam hat den Sprung ins Ungewisse gewagt. Alleingelassen macht sie sich auf den Weg zum Schwarzen Orden. Doch ist der Schwarze Orden das Richtige für sie? Wird sie Andere von den bösen Machenschaften Janine's überzeugen und...