46. Kapitel - Die Gestalt

33 8 0
                                    

Ich konnte es nur herausfinden, wenn ich ihr folgte. Also lief ich der Gestalt weiter hinterher, so vertieft in meinen grübelnden Gedanken, dass ich erst verstand wo ich war, als wir in das Zimmer traten. Sie hatte mich in mein Zimmer geführt. Aber warum? Was sollte ich hier? Das Buch war ganz bestimmt nicht in meinem Zimmer. Das musste heißen, dass sie mich in eine Sackgasse führen wollte, weg von dem Buch. Damit hatte sie mir aber auch verraten, dass das Buch dort unten in der Bibliothek sein musste und das war mehr Information, als ich mir erhofft hatte.

Ich blieb in der Mitte des Raumes stehen und beobachtete sie dabei, wie sie an Gingers Bett herantrat. Sie deutete darauf. Ich machte ein paar Schritte an sie heran und versuchte zu verstehen, was sie meinte. Doch an Gingers Bett war nichts auffällig. Sie hatte ihr Bett gemacht und eine Tagesdecke darüber gelegt.

Ich sah zu der Gestalt und wartete auf eine Erklärung, doch sie deutete nur immer wieder auf das Bett. Irgendetwas musste da also sein. Ich begann das Bett abzutasten. Ich sah unter der Bettdecke nach, unter dem Bett selbst, unter dem Kopfkissen, in der Lücke zwischen Bett und Wand. Einfach überall, aber ich fand nichts, überhaupt nichts. Die Gestalt schien ungeduldig zu werden. Sie deutete immer energischer auf das Bett und ich wurde immer hektischer. Was meinte sie?

„Da ist nichts", sagte ich schließlich und sah sie verwirrt an. Sie wandte sich dem Fenster, neben Gingers Bett zu, vor dem ein leicht durchsichtiger Vorhang hing. Sie zeigte darauf, wedelte mit ihrer Hand immer wieder zur Seite. Also trat ich an den Vorhang heran und schob ihn weg. Ich blickte aus dem Fenster, doch auf dem Schulhof war niemand zu sehen. Die Gestalt trat neben mich, nahm meine Hand und führte sie auf die rechte Seite des Fensterbrettes. Ein Kribbeln legte sich über meine Hand und im nächsten Moment berührte ich eine raue, unebene Oberfläche, die definitiv nicht das Fensterbrett war.

Aber als ich hinsah, lag da nichts. Ich blickte zu der Gestalt zurück, doch da war sie schon verschwunden und das Kribbeln auf meiner Hand hörte auf.

Ich trat einen Schritt zurück und sah wieder zum Fensterbrett. Jetzt entdeckte ich was ich da berührt hatte. In der Ecke, neben Gingers Bett, lag ein schwarzer Kristall. Nicht so schwarz und glänzend, wie der Schwarze Turmalin, nein viel durchsichtiger. Fast wie ein Bergkristall mit einem schwarzen Schleier darüber. Ich nahm den Kristall in meine Hand und untersuchte ihn genau. Er hatte die Strukturen eines typischen, ungeschliffenen Kristalls. Uneben, mehrere Ausbuchtungen, spitz, rau und leicht schimmernd.

Ich hatte jetzt also einen Kristall in meiner Hand, dessen Bedeutung ich nicht kannte. Ich wusste nicht was für ein Kristall das war und ich wusste auch nicht was ich damit anfangen sollte. Die Frage war überhaupt wieso hatte ich ihn in Anwesenheit der Gestalt nicht sehen können? Erst als sie verschwunden war, hatte er sich mir offenbart. Und es musste irgendeine Verbindung zwischen ihm und Gingers Bett geben. Eine Verbindung zwischen ihm und Ginger... Er gehörte ihr und er verbarg irgendetwas. Ich war mir plötzlich sicher, dass er irgendeine Magie ausstrahlte, die etwas versteckte. Mit der Ginger etwas versteckte. Ginger! Virginia! Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Wieso war ich eben nicht darauf gekommen? Ginger war es also gewesen, die dieses Buch vor etwa einer Woche ausgeliehen hatte.

Aber hatte wirklich Ginger das Buch, das wir suchten? Es musste so sein! Und der Kristall? Er versteckte das Buch. Aber wie bekam ich es zu Gesicht? Ich musste den Kristall zerstören. Ich starrte ihn an, ließ meine Hand locker und sah zu wie er zu Boden raste. Dumpf prallte er auf, zersprang in genau zwei Teile. Keine Splitter, keine abgebrochenen Stücke, nur entzweit. Ich traute meinen Augen nicht, als der schwarze Schleier wich und der Kristall plötzlich glasklar wurde. Mein Blick wanderte zum Bett. Und tatsächlich oben drauf lag das Buch. Magische Kreise richtig ziehen und anwenden.

Magie oder Schicksal? (3.Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt