Mr. Mendeville hatte sein Versprechen nicht gehalten. Als ich meinen zweiten Unterricht besuchte, musste ich feststellen, dass ich immer noch bei Mrs. Denwood im Einserkurs eingeschrieben war. Für mich war das kein großes Problem. Denn ich hatte wieder einen Block Zeit, um selbst an dem Stoff zu arbeiten, den mir Mrs. Denwood zur Verfügung gestellt hatte. Außerdem war ich ziemlich müde und damit auch sehr unkonzentriert. Somit war es wahrscheinlich sogar besser, dass ich erst ab nächster Woche dazu kommen würde, den Dreierkurs im Fach Magiesprüche zu besuchen. Mrs. Denwood regte sich sehr über die unorganisierte Haltung von Mr. Mendeville auf und auch Lian war genervt von ihm. Beide versprachen mir, dass sie ihn darauf ansprechen wollten und dass ich spätestens in der nächsten Woche endlich im richtigen Unterricht sitzen würde. Ich war den Beiden dankbar dafür, trotzdem war es mir an diesem Tag ziemlich egal.
Lian und ich verbrachten die Pause draußen auf einer Bank. Wir aßen unser Mittag und genossen die Ruhe. Er musste mindestens genauso müde sein, wie ich. Er war ungewöhnlich still. Es war kein unangenehmes Schweigen zwischen uns. Es war okay, eigentlich war ich sogar ziemlich froh darüber, denn ich war einerseits hundemüde und andererseits irgendwie mies drauf. Gingers Worte heute morgen hatten doch mehr mit mir angerichtet, als ich mir eingestehen wollte. Seit sie mir so selbstbewusst gesagt hatte, dass ich nie im Leben eine Konkurrenz für sie sein würde, fühlte ich mich irgendwie beschissen. Es war bescheuert sich von ihr so runterziehen zu lassen, das wusste ich selbst. Aber ich kam mir plötzlich dumm vor. Irgendwie ungeschickt und ja... irgendwie nicht besonders schön. Ich hatte auf einmal das Gefühl, dass ich mich wie ein Bauerntrampel bewegte, dass meine Haare fruchtbar aussahen. Diese spröden Locken waren sicher nicht das, was andere schön fanden und mein Nasenring? Was sollte das eigentlich? Versuchte ich damit cool auszusehen oder...
„Bist du eigentlich wirklich nur müde oder ist was?", unterbrach Lian meine Gedanken und erwischte mich eiskalt mit dieser Frage. Innerlich zuckte ich leicht zusammen und ging schnell alle Möglichkeiten durch, die ich hatte. Lügen kam mir irgendwie falsch vor, verschweigen auch. Ich wollte nicht, dass er sich den Kopf über etwas zerbrach, an dem er keine Schuld hatte. Lian wusste ganz genau wann ich ihn anlog. Also entgegnete ich stockend die Wahrheit:
„Ich bin wirklich müde... ich habe nur heute morgen auch... kurz mit Ginger gesprochen und... na ja sie war echt unfreundlich."
„Was hat sie gesagt?" Ich sah ihm in die Augen und überlegte wie ich unser Gespräch wiedergeben sollte, ohne dabei erwähnen zu müssen, dass es um ihn gegangen war.
„Ach eigentlich nicht viel. Ich habe mich nur für Angelina entschuldigt, weil ich das Gefühl hatte, dass sie das echt mitgenommen hat." Lian sah mich ungläubig an.
„Und dann war sie unfreundlich zu dir?"
„Ja, also na ja... sie hat halt klar gemacht, dass ich für sie sowieso keine Konkurrenz bin." Ich spürte wie ich leicht anfing rot zu werden. Es war mir unangenehm das auszusprechen, weil alles was Lian darauf sagen konnte, erzwungen klingen würde.
„Das verstehe ich nicht", antwortete er verwirrt.
„Na ja sie hat ja Recht." Er runzelte die Stirn und schüttelte fragend den Kopf. Ich bekam das Gefühl mich erklären zu müssen.
„Na ja schau sie an und... dann mich... also..."
„Ja? Was soll ich da sehen?" Ich seufzte schwer. Warum hatte ich damit nur angefangen? Zu erklären was ich meinte, kam mir irgendwie noch dümmer vor, als hätte ich einfach gelogen.
„Dazwischen liegen Welten. Ginger ist... einfach schön und ich... na ja keine Ahnung... ist doch auch egal. Ich bin einfach müde und ich hätte das wahrscheinlich einfach nicht so ernst nehmen sollen", sagte ich schnell. Ich merkte wie es mir immer unangenehmer wurde mit ihm darüber zu reden. Ich wollte nicht von ihm hören, dass er sie nicht schön fand. Denn das wäre ja offensichtlich gelogen. Jemanden wie Ginger fand doch jeder schön. Ich wollte aber auch nicht, dass er sagte, dass er mich schön fand, das wäre viel zu erzwungen gewesen. Es war einfach dumm von mir gewesen überhaupt von dem Gespräch erzählt zu haben. Ich hätte das nicht sagen sollen, ich musste ihm ja schließlich auch nicht alles erzählen.
„Wie kommst du darauf? Denkst du das wirklich?"
„Ja natürlich. Komm schon... du kannst ja wohl nicht sagen, dass du sie nicht schön findest."
„Wenn ich sie nicht kennen würde, ja dann würde ich sie wahrscheinlich schön finden."
„Wie meinst du das?"
„Ich mag ihren Charakter nicht und deshalb finde ich sie auch nicht schön. Außerdem ist sie überhaupt nicht mein Typ." So unangenehm mir das alles auch war, ich musste ein wenig schmunzeln. Hätte Ginger das gehört, wäre sie wahrscheinlich ausgerastet.
„Ich bin der Meinung, dass du dir von ihr überhaupt nichts sagen lassen musst. Ignorier sie einfach." Tja das war immer einfacherer gesagt, als getan. Er hatte mir diese Art von Satz schon oft gesagt und langsam fing ich mich an zu fragen, ob die Dinge für ihn wirklich so einfach waren. Wenn ihn etwas runterzog oder ihm Angst machte, dachte er einfach nicht darüber nach, fertig.
„Was ist denn dein Typ?", fragte ich leise, nachdem wir einige Zeit geschwiegen hatten. Er zuckte mit den Schultern.
„Ich glaube ich habe gar keinen bestimmten Typ. Wenn ich jemanden mag, finde ich ihn auch automatisch schön."
„Echt?", fragte ich erstaunt. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er keinen bestimmten Typ hatte, den er toll fand. Hatte den nicht jeder?
„Was ist denn dein Typ?", wollte er wissen. Ich zuckte schnell mit den Schultern. Jayden war mein Typ und ich merkte es immer wieder, wenn ich Typen begegnete, die ihm ähnlich sahen oder die bestimmte Charakterzüge von ihm hatten. Aber das wollte ich Lian nicht antworten. Also behauptete ich, dass ich das noch nicht so richtig herausgefunden hätte.
Als es zum dritten Block klingelte, war ich erleichtert. Ich empfand das Gespräch immer noch als seltsam und war froh, aus der Situation befreit zu werden. Wir liefen zusammen rein und als sich unsere Wege trennten, wollte ich mich nur mit einem kleinen Winken von ihm verabschieden. Doch Lian hielt mich zurück und sah mir ungewohnt ernst in die Augen.
„Ist denn alles okay mit dem... unheimlichen Zeug von gestern?", fragte er vorsichtig, während er mich an der Hand zurückhielt. Ich nickte schnell.
„Ja klar, die Nacht war ja entspannt und wie du schon sagst, wenn ich nicht daran denke, dann passiert es auch nicht." Ich lächelte ihm entgegen und hoffte er würde mich gehen lassen.
„Okay, aber wenn etwas ist, dann melde dich okay?" Ich nickte.
„Ich lass mein Handy auf laut, falls du schreiben willst oder so. Du kannst natürlich auch jederzeit vorbeikommen." Jetzt lächelte ich ehrlich. Es war süß von ihm, dass er sogar extra sein Handy auf laut lassen wollte.
„Danke, das ist lieb", antwortete ich ruhig und umarmte ihn kurz. Ich wollte diese unangenehme Stimmung zwischen uns nicht stehen lassen und war froh, dass alles wieder normal zu sein schien, als ich mich aus der Umarmung löste.
„Ach so und ich wünsche dir viel Spaß beim Edelsteine und Kristalle Kurs", sagte er im Gehen und lächelte mich schadenfroh an. Ich blieb grinsend zurück und schüttelte den Kopf. So ein Spinner. Er wusste genau, dass ich diesen Kurs nicht mochte, weil er einfach zu theoretisch und langweilig war. Das ließ ich nicht auf mir sitzen. Weil er leider schon um die Ecke verschwunden war, schrieb ich ihm.
Ich wusste, dass er heute noch eine Hausarbeit in Geschichte schreiben musste, die er die ganzen Ferien über aufgeschoben hatte und für die er nun eigentlich viel zu wenig Zeit hatte. Ich wünschte ihm also viel Spaß dabei und machte mich dann auf den Weg in meinen Kurs. Als ich mich setzte, bekam ich eine Antwort von ihm. Es war nur ein „Danke", mit einem Augen rollenden Emoji, aber es brachte mich trotzdem zum schmunzeln. Ich hatte mein Handy schon weggelegt, da bekam ich noch eine Nachricht von ihm:
„Und nimm dir das mit Ginger nicht zu Herzen. Sie hat keine Ahnung." Mein Schmunzeln wurde zu einem breiten Lächeln. Schnell antwortete ich, dass ich das nicht tun würde und setzte dahinter einen einfachen Smiley.
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Magie oder Schicksal? (3.Teil)
Spiritual1. Teil: Zufall ode Magie? Sam hat den Sprung ins Ungewisse gewagt. Alleingelassen macht sie sich auf den Weg zum Schwarzen Orden. Doch ist der Schwarze Orden das Richtige für sie? Wird sie Andere von den bösen Machenschaften Janine's überzeugen und...