77. Kapitel - Doppeltes Rot

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Ich starrte die zweite Frau an. Sie hatte den Blick konzentriert auf die Bühne gerichtet und begann drei Mal, mit dem linken Zeigefinger, auf die oberste Seite ihres rechten Handgelenks zu tippen. Plötzlich war es still. Niemand regte sich. Auch ich blieb in der Bewegung stehen. Mein Herz hatte aufgehört zu klopfen, mein Atem war angehalten worden und ich konnten meinen Körper keinen Millimeter bewegen. Ich bekam nicht einmal mehr Sauerstoff in meine Lunge. Dieses Gefühl hätte Panik in mir auslösen sollen. Aber ich brauchte keinen Sauerstoff. Es war als hätte sie unsere Körper versteinert und unseren Geist im Hier und Jetzt gelassen. Meine Ängste, die sonst in meinem Kopf entstanden und sich auf meinen ganzen Körper ausbreiteten, blieben im Kopf. Mein Herz konnte nicht anfangen zu rasen und auch mein Atem konnte nicht unregelmäßig werden.

Erstarrt sah ich zu, wie sie sich nach oben auf die Bühne stellte, vor die Masse, als wolle sie einen Vortrag halten.

„Niemand bewegt sich", ordnete sie laut an und tippte wieder drei Mal mit dem Finger auf ihr rechtes Handgelenk. Sauerstoff floss in meine Lunge. Ich bekam wieder einen Herzschlag und meinen Körper spürte ich auch. Ich konnte mich wieder bewegen. Aber ich tat es nicht, genauso wie alle anderen in diesem Raum. Alle blieben stehen, als hätten sie nicht mitbekommen, dass sie die Macht über ihre Körper zurückerlangt hatten.

Mrs. Edevane, die Frau in der roten Bluse, die eigentlich zum Obersten Rat gehörte, trat nach vorne auf die Bühne und blieb neben ihrem Klon stehen. Im Vergleich zu einander, wurde eins ganz deutlich. Die Frau, die aus dem Nichts aufgetaucht war, hatte die größere Macht. Ich hatte die Macht des Obersten Rates für allmächtig gehalten. Ich hatte gespürt, wie mächtig sie waren, allein bei ihrem Anblick. Doch die andere Frau, die den roten Mantel trug, hatte die tatsächliche Macht. Und sie hatte es uns allen bewiesen. Sie hatte uns gezeigt wie mächtig sie war. Denn sie hatte tausende Magier dazu gebracht regungslos stehen zu bleiben. Sie hatte ihnen den Herzschlag und den Atem genommen. Mehr sogar, sie hatte sie mit einfachen Worten dazu gebracht, sich keinen Millimeter mehr zu bewegen, obwohl sie jetzt wieder dazu in der Lage wären.

„Was soll dieser Aufstand?", fragte sie genervt und sah ihrem Abbild wütend entgegen.

„Geplant war eine Informationsveranstaltung über die Forschung von Janine Silver."

„Was kann bei dieser Art von Veranstaltung schief gehen?", wollte sie gereizt wissen. Ich begann mich immer mehr zu fragen welche Verbindung die zwei Frauen zueinander hatten. Die Frau im roten Mantel konnte jedenfalls kein Klon sein, sonst würde sie der anderen Frau nicht so herrisch gegenübertreten. Ob sie Schwestern waren? Egal welche Verbindung sie zueinander hatten, eine von ihren stand definitiv im Schatten der Anderen.

„Mrs. Silver hat einige beunruhigende Aussagen getroffen." Die Augenbrauen der höher gestellten Schwester schossen kritisch nach oben.

„Deshalb rufst du mich hier her? Während ich in einem wichtigen Diskurs war?" Es kam mir falsch vor den Beiden so offensichtlich bei ihrem Streit zuzusehen. War das nicht etwas, das sie untereinander ausmachen sollten? Aber uns allen blieb keine andere Wahl. Niemand von uns durfte sich regen.

„Ja, ich fand es sinnvoll dich dazu zu holen." Die Miene der Schwester im roten Mantel wurde immer finsterer. Offenbar schien sie das hier für einen unnötigen Kindergartenkonflikt zu halten. Für etwas Lästiges, das sie von der wichtigen Arbeit abhielt.

„Hast du diesen kleinen Haufen an Magiern etwa nicht unter Kontrolle?", fragte die höher gestellte Schwester arrogant. Langsam wurde es wirklich unangenehm für alle Beteiligten. Sie führte ihre Schwester vor. Vor den Magiern, über die sie eigentlich die Macht haben sollte. Das war unangebracht, schlimmer noch. Es war unnötig. Denn mit jeder Sekunde, in der sie ihr Vorwürfe machte, hatte Janine eine Sekunde mehr, um zu verschwinden.

Magie oder Schicksal? (3.Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt