Kapitel 1

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Ein letztes Mal sah ich mein leeres Zimmer an und schloss die Tür. Das war's dann wohl. "Chloe kommst du?" rief meine Mutter von unten. Ich klopfte zweimal gegen meine Tür und hob den Umzugskarton hoch. "Gut, wir fahren in zehn Minuten los." mit der Kiste in der Hand lief ich die Treppe runter wo Mum und mein Bruder Cameron schon warteten. "Komm gib die mal her." sagte er und nahm mir die Kiste aus der Hand um sie in den Umzugswagen zu bringen.

Mein ganzes Leben wohnte ich schon in diesem Haus und jetzt mussten wir umziehen, nur weil Mum zu ihrem neuen Freund ziehen wollte. Weder ich noch Cameron hatten ihn schon kennengelernt. Wir wussten nicht einmal das sie einen neuen Freund hatte, umso schockierender war es, als sie sagte das wir zu ihm und seinen Sohn nach Malibu ziehen würden. Ich sträubte mich dagegen, aber wenn Mum sich etwas in den Kopf gesetzt hatte gab es kein Nein.

18 Jahre Erinnerungen lagen in diesem Haus. 18 Jahre mit Höhen und Tiefen. Das grösste Tief hatten wir vor acht Jahren, als Dad bei einem Autounfall ums leben kam. Ich kann mich noch gut daran erinnern wie zwei Polizisten zu uns nach Hause kamen und die Nachricht überbrachten. Mum war am Boden zerstört, genauso wie ich. Tagelang kam ich nicht aus meinem Zimmer und schrie immer nach Dad, das er doch wieder zurück kommen sollte. Cameron war da völlig anders. Er verkraftete den Tod von Dad viel besser und hatte sozusagen seinem Platz eingenommen. Auch wenn wir damals erst 10 Jahre als waren, verstand er es viel besser. Er war schon immer reifer für sein Alter als andere.

Und jetzt acht Jahre später hatte sich das nicht gross geändert, naja, bis auf die Mädchen. Sagen wir es so: die Mädchen lagen ihm zu Füssen. Was auch kein Wunder war. Er war um die 1.90 gross, hatte braune Augen sowie braune Haare und er war mehr als gut gebaut. Cameron sah einfach gut aus. Er war der Badboy von San Francisco, aber auch wenn er einige Mädchen im Bett hatte, hatte er sie nie nach Hause gebracht. Soviel respekt hatte er uns gegenüber. Was Cameron aber neben der Schule machte, wenn er abends nicht nach Hause kam, wollte ich ehrlich gesagt überhaupt nicht wissen. Solange es ihm gut ging, ging es mir auch gut.

"Also los geht's. Wir wollen schliesslich noch heute ankommen." sagte Mum und schob mich sanft aus dem Haus. Ich ging zu Cameron der die Türen des Umzugswagens schloss und tippte auf seine Schulter. "Was gibt's Chloe?" ich hob meine Hand und machte eine wellenartige Bewegung und zeigte dann auf den Umzugswagen. "Dein Surfbrett habe ich sicher im Wagen verstaut, keine Angst Kleines." ich warf ihm einen wütenden Blick zu und schüttelte meinen Kopf.

Er wusste genau das ich es hasste wenn er Kleines zu mir sagte. Wir waren zwar Zwillinge, aber wir könnten unterschiedlicher nicht sein. Im Gegensatz zu Cameron mit seinen 1.90, war ich gerade mal 1.75 und hatte blaue Augen und blonde lange Haare. Es war schon öfters vorgekommen, dass man dachte wir wären ein Paar wenn wir auf der Strasse rumliefen, nur weil wir so unterschiedlich aussahen.

Eigentlich wollte ich ja mit Cameron im Umzugswagen mitfahren, aber Mum hatte klipp und klar gesagt ich müsse mit ihr im Auto mitfahren. "Chloe!" ich verdrehte bloss meine Augen und ging zum Auto wo Mum schon hinter dem Steuer sass. Schnell öffnete ich den Kofferraum um mich zu vergewissern das Cody auf seinem Platz sass und setzte mich dann neben Mum auf den Beifahrersitz. Cody hatte ich vor zwei Jahren bekommen, er war ein schwarzer Flat coated Retriever und mein ein und alles.

Seufzend sah ich ein letztes Mal auf unser Haus als Mum losfuhr. "Ich weiss es ist nicht einfach Schatz, aber du wirst dein neues Zuhause lieben." plapperte sie freudig los. Das war mein Zeichen um abzuschalten. Ich setzte meine Kopfhörer auf, schaltete die Musik an und sah aus dem Fenster. Auf wiedersehen San Francisco, ich werde dich vermissen.

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"Chloe Schatz, wach auf. Wir sind da." müde öffnete ich meine Augen, legte meine Kopfhörer um meinen Hals und sah aus dem Fenster. Wenn das unser neues Haus sein würde, dann musste dieser Markus wirklich Geld haben. Fassungslos sah ich zu Mum und zeigte auf das Haus. "Ja, das ist es. Komm, lass uns gehen." sagte sie und stieg aus. Das liess ich mir nicht zweimal sagen und stieg aus dem Auto, wobei ich mich am Sicherheitsgurt verhedderte und fast auf die Schnauze gefallen wäre. Ich warf Cameron einen vernichtenden Blick zu als er sich über mich schlapp lachte und öffnete den Kofferraum. Da Cody mir nie von der Seite wich, brauchte ich ihn auch nicht anzuleinen. Freudig sprang er aus dem Kofferraum und lief mir hinterher zur Haustür, wo Mum gerade einen mittvierziger abknutschte. Das musste dann wohl Markus sein. "Ihr müsst dann wohl Cameron und Chloe sein. Ich freue mich eich endlich kennenzulernen." sagte er und reichte uns die Hand. "Freut uns auch Markus." sagte Cameron lächelnd. Er reichte auch mir die Hand die ich mit einem Lächeln schüttelte. "Chloe, deine Mum sagte du surfst?" ich nickte auf seine Frage. "Na dann geh hier mal links ins Wohnzimmer und sie dich etwas um." verwirrt befolgte ich was er sagte und begrst das Wohnzimmer. Auf den ersten Blick sah ich nichts besonderes. In der Ecke stand ein Kamin und daneben eine riesige Fernsehfront mit einer schwarzen grossen Couch davor. Verwirrt drehte ich mich nach rechts und konnte meinen Augen nicht trauen. Eine riesige Fensterfront verlief zu einer Terrasse, aber es war nicht die Terrasse die mich so faszinierte, sondern das dahinter. Schnell riss ich die Tür auf und rannte über die Terrasse und blieb einen Moment stehen. Vor mir erstreckte sich der Strand und das Meer und die Aussicht war einfach wunderschön.

In San Francisco musste ich immer zuerst eine Halbe Stunde fahren bis ich am Strand war und hier? Genau vor der Tür! Unglaublich! Ich wollte gerade mit Cody runter gehen, als Mum mich aufhielt. "Stopp! Erst wird eingeräumt und dann kannst du gehen." ich drehte mich zu ihr um und sah sie mit meinem besten Hundeblick an. "Vergiss es! Erst einräumen und dann kannst du machen was du möchtest." ergeben nickte ich und ging wieder zurück zum Hauseingang, wo mir Cameron grinsend eine Kiste in die Hand drückte. Ja und wo sollte ich die hinstellen? "Frag Markus." sagte Cameron nur und ging wieder raus. Seufzend stellte ich die Kiste auf den Boden und ging zurück in das Wohnzimmer wo ich Markus fand. Vorsichtig tippte ich ihm auf die Schulter. "Wie kann ich dir Helfen?" fragte er lächelnd nachdem er sich zu mir umgedreht hatte. Ich zeigte auf die Kiste und zuckte mit den Schultern. "Ach so. Komm mit, ich werde euch sofort eure Zimmer zeigen." er sprach so langsam und gleichzeitig laut, dass ich etwas zurück wich. "Markus, sie ist stumm und nicht taub." sagte Cameron lachend, worauf Markus rot anlief. Sah irgendwie süss aus. "Natürlich, tut mir leid. Kommt mit!" sagte er schüchtern, nahm meine Kiste und ging voraus die Treppe hoch. Wir folgten ihm grinsend. Oben im Flur gab es lediglich zwei Zimmer und eine Treppe die weiter nach oben führte. "Das links ist das Schlafzimmer eurer Mutter und mir und gegenüber ist das Badezimmer. Eure Zimmer sind ein Stockwerk höher." sagte er und wieder folgten wir ihm. Im oberen Stock gab es gerade mal drei Türen. Sollte ich mir jetzt mit Cameron ein Zimmer teilen oder was?

"Links ist das Zimmer von James, meinem Sohn. Leider lernt ihr ihn erst Morgen kennen, da er heute bei seinen Freunden ist. Die Zimmer rechts und am Ende des Flurs gehören euch. Aber ich denke, dass unsere Surferin hier das Zimmer am Flurende nehmen sollte." ich sah ihn verwirrt an und steuerte die Tür an, da Cameron schon das Zimmer rechts in beschlag nahm. Langsam öffnete ich die Tür und wieder einmal war ich fassungslos. "Gefällt es dir?" ich nickte heftig und umarmte Markus, der gerade noch so die Kiste auf den Boden stellen konnte. Mit den Lippen formte ich ein 'Danke' und sprang auf das grosse Himmelbett an der linken Wand.

Markus verliess lachend mein Zimmer. Es war der Hammer. Wie im Wohnzimmer hatte ich eine riesige Glasfront die auf das Meer zeigte. Atemberaubend. Gegenüber von meinem Bett an der anderen Wand stand wie im Wohnzimmer eine Fernsehfront mit einem gigantischen Fernseher in der Mitte. Ja, dieser Markus hatte wirklich Geld. Langsam stand ich auf und öffnete die Tür neben meiner Zimmertür die mit Bad angeschrieben war. Wie geil war das denn, ich hatte mein eigenes Badezimmer und es war riesig. Zufrieden ging ich wieder raus und öffnete die Tür ganz links an der Wand. Ja, ich hatte drei Türen nebeneinander, was wohl etwas verwirrend ist. Als ich auch diese Tür geöffnet hatte und den kleinen Raum betrat wusste ich sofort was es war. Ankleidezimmer. Ich glaube, hier wird es mir gefallen!

Ich war so damit beschäftigt mein Zimmer zu bestaunen, dass ich nicht mal gemerkt hatte das alle meine Kisten mittlerweile in der Mitte des Zimmers standen. Na was soll's, hatte ich halt nichts zu schleppen. Grinsend fing ich an alles Kisten auszuräumen und meinem neuen Zimmer leben einzuhauchen.


Drei Stunden später hatte ich auch die letzte Kiste ausgeräumt und sah mich zufrieden in meinem Zimmer um. Nach der Arbeit kam doch bekanntlich das Vergnügen oder. Schnell ging ich in das Ankleidezimmer und zog mir kurze Sporthosen und ein Sport BH an. Mit Cody im Schlepptau lief ich die Treppen runter und ging in das Wohnzimmer wo Mum, Cameron und Markus sassen. Ich lief einmal um die Couch damit ich die Aufmerksamkeit von Mum hatte. Ich zeigte auf mich, dann auf Cody und dann auf die Terrasse. "Du gehst mit Cody spazieren?" fragte sie worauf ich nickte. "Ich weiss nicht, es dämmert schon." sagte sie nach einem blick nach draussen. "Mum, lass sie gehen. Chloe hat ja Cody dabei und er passt auf sie auf." mischte sich Cameron ein. Wie ich meinen Zwilling doch liebte. "Na gut. Aber du bist spätestens um 22.00 Uhr wieder hier. Morgen ist Schule." ich nickte eifrig und ging raus auf die Terrasse.

Auch wenn ich stumm war, folgte Cody mir ohne Probleme. Wir hatten unsere eigene Art miteinander zu 'reden'. Fröhlich folgte er mir die Treppe runter die zum Strand führte und blieb neben mir stehen während ich mich dehnte. Nachdem ich mich genug gedehnt hatte, klatschte ich einmal in die Hände und joggte los. Das war das Zeichen für Cody das es los ging und er liess sich das natürlich nicht zweimal sagen.

Hätte ich aber gewusst was mich noch erwarten würde, hätte ich es mir zweimal überlegt und wäre nicht weg gegangen.

Silent girlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt