Kapitel 70

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Langsam drehte ich mich um und sah Keith an. "Wie war das?" ich hatte mich doch gerade verhört. "Ich bin dein Bruder." nein, ich hatte es doch richtig verstanden. Ich hatte keine Ahnung was ich jetzt sagen oder machen sollte. Es konnte doch nicht sein, dass Keith mein Bruder war. Cameron war mein Bruder und sonst niemand.

Kopfschüttelnd setzte ich mich auf das Bett zurück. Kaum hatte ich mich aber gesetzt, ging die Tür wieder auf und ein Junge kam rein, wobei es junger Mann wohl eher traf. Wortlos schloss er die Tür, zog sich ebenfalls einen Stuhl heran und setzte sich mir gegenüber. Nachdenklich sah ich ihn an. Ich wusste, dass ich ihn schon einmal gesehen hatte, aber ich wusste einfach nicht woher.

"Hast du es ihr schon gesagt?" fragte er und sah Keith an. "Vor zwei Minuten." "Cameron ist mein Bruder." sagte ich. Sofort sahen sie mich an. "Er ist dein Halbbruder, genau wie wir." wie? Jetzt verstand ich gar nichts mehr. Dieser Typ schien wohl zu merken das ich mehr als verwirrt war. "Also nochmal von vorne. Keith kennst du ja schon und ich bin Shawn. Wir sind beide deine Halbbrüder." nachdenklich nickte ich. Irgendwie war ich gerade nicht im Stande einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn einen richtigen Satz hervor zu bringen.

"Chloe?" verwirrt runzelte ich meine Stirn und sah Keith an. "Wie alt seid ihr?" schwach lächelnd sah er mich an. "Ich bin fünfundzwanzig und Shawn ist dreissig." "Willst du mich verarschen? Du gehst in meine Schule. Du bist doch nie so alt." rief ich empört. Ganz ehrlich, sie sahen viel jünger aus als das sie offenbar waren. "Das ist alles nur Show. Eigentlich arbeiten und leben wir in San Francisco." sagte Shawn. So langsam realisierte ich was sie mir hier sagten und kam wieder zu mir.

"Nein!" sagte ich und stand auf. "Wieso erzählt ihr mir so eine Scheisse? Du weisst genau was ich im Moment durchmache und kommst mir jetzt noch mit so einem Schwachsinn? Wieso tust du das?" wütend sah ich Keith an und entfernte mich langsam von ihnen. "Wir lügen dich nicht an. Keith interessiert sich nicht grossartig für andere Menschen. Wieso hat er dir also schon so oft geholfen?" stellte mir Shawn die Gegenfrage. Irgendwie hatte er recht. Keith hatte mir schon so oft geholfen, wieso sonst hätte er das machen sollen und sein Verhalten bei der letzten Party, als mich James in seiner Wut geschlagen hatte, war auch nicht gerade das Verhalten eines Freundes. Er sagte, dass er nicht da war um mich zu beschützen. Diesen Satz hatte ich schon einmal gehört und zwar von Cameron. Keith und Shawn sagten mir also wohl oder übel die Wahrheit.

"Ihr seid meine Halbbrüder?" fragend sah ich sie an, worauf beide nickten. "Wir haben die gleiche Mutter." sagte Shawn. "Wie funktioniert das?" seufzend stand Keith auf, schob mich sanft zurück auf das Bett und setzte sich neben mich. "Mom führte ein Doppelleben. Erst kam Shawn auf die Welt und dann ich. Nach ein paar Jahren lernte sie deinen Dad kennen. Erst als sie mit dir schwanger wurde, kam ihr Doppelleben überhaupt ans Licht. Dad stellte sie vor die Wahl. Entweder sie blieb bei deinem Dad, oder sie entschied sich für uns, dann aber ohne dich und du weisst ja wie sie sich entschieden hast." seufzend nickte ich. "Sie hat sich für euch entschieden." das was ich hier gerade hörte war so surreal. Trotzdem glaubte ich ihnen jedes einzelne Wort.

"Wir haben vor zwei Jahren von dir erfahren und uns sofort auf die Suche nach dir gemacht." schwach lächelnd sah ich sie an. "Ihr habt mich gefunden." ich verstand es einfach nicht. Wieso passierte so etwas immer mir. Wieso konnte ich nicht einfach ein normales Leben führen? Klar, normal war irgendwie langweilig, aber ich würde jetzt alles für dieses normal geben.

"Okay, das ist deine Baustelle." sagte Keith und wechselte mit Shawn den Platz. "Nich weinen Chloe." flüsterte Shawn und legte seinen Arm um mich. "Mein Leben ist das reinste Chaos." rief ich schluchzend. Verzweifelt fuhr ich mit der Hand durch meine Haare und sah zur Tür als sie langsam aufging.

"Chloe, bist du hier?" zögernd betrat Lou das Zimmer und sah erst mich und dann Keith und Shawn verwirrt an. "Was geht hier vor?" sofort wischte ich meine Tränen aus meinem Gesicht und sah Lou an. Ich wollte ja nicht mehr so egoistisch sein und wenn sie sah das ich weinte, würde sie sich nur Sorgen um mich machen und das wollte ich nicht. Ich wollte niemanden mehr mit meinen Problemen belasten. "Gar nichts. Du hast mich gefunden, also was willst du?" einen Moment sah sie mich an. Es schien nicht so als ob sie mir glauben würde, trotzdem beliess sie es dabei. "Ich wollte mit dir reden. Ich hatte gestern keinen Zusammenbruch, so wie es Collin gesagt hat. Ich war einfach betrunken und wenn ich getrunken habe, habe ich meine Gefühle nicht mehr im Griff." langsam nickte ich und sah sie an. Als ob ich ihr das glauben würde. "Aha. Du bist eine schlechte Lügnerin." sie wollte mir widersprechen, aber ich schüttelte bloss meinen Kopf. "Collin hatte recht. Es geht immer nur um mich und dafür möchte ich mich entschuldigen. Ab jetzt wird es sich ändern. Ich komme gleich runter und dann können wir etwas trinken und reden, okay?" gezwungen lächelnd sah ich sie an. Misstrauisch sah sie mich an, nickte aber doch und verliess das Zimmer.

"Du bist so schlecht im Lügen wie Louisa." seufzend stand ich auf und lief zur Zimmertür. "Ich weiss. Ich werde dann mal gehen und mit Cameron reden. Er sollte es wissen." "Er weiss es." flüsterte Shawn. Wieder drehte ich mich um und sah sie an. "Was?" "Ich sagte, dass Cameron es bereits weiss." wiederholte sich Shawn. Das war jetzt doch nicht wirklich sein Ernst. "Cameron weiss, dass ihr meine Brüder seid?" hakte ich nach. "Seit einem Monat." fassungslos schüttelte ich meinen Kopf. Jetzt probierte ich gar nicht mehr meine Tränen zurück zu halten.

Ohne noch weiter etwas zu sagen, stürmte ich aus dem Zimmer und ging die Treppe nach unten. Cameron wusste es. Er wusste es seit einem verdammten Monat und hatte mir nichts gesagt. Wieso hatte er es mir verschwiegen?

Ich nahm keine Rücksicht auf die Leute als ich mir einen Weg in die Küche bahnte. "Chloe?" nur kurz sah ich Andy an und lief weiter. Er war so betrunken, dass er wahrscheinlich in der nächsten Sekunde vergessen würde mich gesehen zu haben.

In der Küche traf ich dann auch noch auf den volltrunkenen Jeff. Ohne ihn gross zu beachten, riss ich den Redcup aus seiner Hand und trank den Inhalt auf ex. "Hey! Das war mein Wodka." angeekelt verzog ich mein Gesicht. Am liebsten hätte ich mich jetzt übergeben, aber ich riss mich zusammen und verliess die Küche wieder, ohne auf Jeffs Protest einzugehen. So schnell ich konnte, lief ich durch das Wohnzimmer und verliess die Villa. Ich wollte jetzt einfach nur noch nach Hause.

Kaum betrat ich die Auffahrt, wo es im Übrigen nur so von betrunkenen wimmelte, stellte sich mir Cameron in den Weg. "Was ist passiert? Hat dich jemand verletzt?" fragte er besorgt als er sah, dass ich weinte. Er legte seine Hand auf meinen Arm, aber sofort schlug ich sie weg. "Fass mich nicht an." sagte ich schluchzend. "Sag mir doch was los ist." wieder wollte er seine Hand auf meinen Arm legen, aber dieses Mal wich ich ihm nach hinten aus.

"Da ist sie." langsam drehte ich mich um als ich Andy hörte. Offenbar hatte er nicht vergessen, dass er mich gesehen hatte, denn er kam mit James direkt auf mich zu. "Chloe, sag mir doch was passiert ist." sofort drehte ich mich wieder zu Cameron und stiess ihn an seinen Schultern von mir. "Ich sagte, du sollst mich nicht anfassen!" schrie ich wütend.

"Was ist hier los?" fragte James und sah uns verwirrt an. "Ich habe keine Ahnung." "Ich möchte nach Hause." sagte ich, lief an Cameron vorbei und die Auffahrt nach unten. "Chloe, warte." seufzend blieb ich stehen und drehte mich zu James um. Besorgt sah er mich an. "Was ist los?" wieder stiegen die Tränen in meine Augen. "Ich möchte einfach nur nach Hause." flüsterte ich verzweifelt. "Okay. Wir gehen nach Hause." dankend sah ich James an und folgte ihm zu seinem Wagen. Ich war gerade wirklich froh, dass er uns hierhin gefahren hatte und ehrlich gesagt war es mir völlig egal, wenn die Jungs jetzt nicht nach Hause kamen. Sie konnten immer noch bei Collin übernachten.


Die ganze Fahrt über sagte keiner von uns etwas. James wusste genaus, dass ich ihm jetzt nichts sagen würde und fragte darum auch gar nicht erst nach. "Wir sind da." wortlos stieg ich aus James' Wagen aus und ging direkt in die Villa. Es interessierte mich nicht, dass im Wohnzimmer noch Licht brannte und Markus und Tracie wohl noch wach waren. Ich zog einfach nur meine Schuhe aus und lief hoch in mein Zimmer.

"Chloe?" abrupt blieb ich in meinem Zimmer stehen als James an meine Zimmertür klopfte. "Mach bitte auf." ich wusste ehrlich gesagt nicht ob ich ihn jetzt sehen wollte oder nicht. Ich wollte jetzt einfach nur meine Ruhe haben und schlafen. Erst nach fünf Minuten wagte ich es mich wieder zu bewegen, zog meine Schlafshorts und Top an und legte mich auf mein Bett.

So sehr ich es auch versuchte, ich konnte einfach nicht einschlafen. Immer wieder dachte ich an Keith und Shawn und an das, was sie mir gesagt hatten. Es war eine Sache das ich auf einen Schlag zwei Halbbrüder hatte, aber eine ganze andere, dass mich Cameron die ganze Zeit angelogen hatte.

"Chloe." kopfschüttelnd probierte ich die Tränen zurück zu halten und drehte mich zu James als er sich neben mich legte. "Egal was passiert ist, es wird wieder gut." flüsterte er und legte seine Arme schützend um mich. "Er hat mich angelogen." sagte ich schluchzend. Verzweifelt hielt ich mich an ihm fest. "Cameron hat mich einfach angelogen." seufzend küsste mich James auf die Stirn. "Es wird alles wieder gut, das verspreche ich dir." er meinte es gut, dass wusste ich, aber im Moment konnte ich ihm einfach nicht glauben. Gerade war einfach alles nur scheisse.

Beruhigend strich James immer wieder mit seiner Hand über meinen Rücken. Ich hätte nicht gedacht, dass ich nach alldem noch schlafen könnte, aber seine Berührung war so sanft und beruhigend, dass ich schon nach wenigen Minuten einschlief.

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