Sehnsüchtig sah ich auf das Meer hinaus. Ich vermisste es. Nicht nur auf meinem Board zu stehen, sondern auch die Ruhe und die Gelassenheit, die mir das Surfen immer bereitete. Die Wellen, die rauschend am Strand ankamen oder hart gegen die Klippen schlugen, wenn draussen ein Gewitter herrschte.
"Chloe?" widerwillig riss ich meinen Blick von dem Wasser los und sah zu Jeff. Langsam trat er zu mir an den Strand und setzte sich neben mich in den Sand. "Wie lange soll das noch weiter gehen?" einen Moment sah ich ihn an, ehe ich wieder auf das Meer sah und mit den Schultern zuckte. "Du redest jetzt schon seit einer Woche mit niemandem mehr. Irgendwie verstehe ich dich ja, aber denkst du nicht, dass du es Cam langsam sagen solltest?" fragte er und sah mich von der Seite an.
Jeff verstand mich eben nicht. Er wusste nicht wie es war, wenn man einfach mal so erfuhr, dass man achtzehn Jahre lang mit einer Lüge lebte. Mein Vater, mein Vorbild, war nicht mein Vater sondern irgendein Mann, den ich noch nie in meinem Leben getroffen hatte. Gut, es war Kyles und Shawns Vater, trotzdem änderte es nichts an der Tatsache, dass ich mit nicht verwandten Menschen aufgewachsen war.
Ich liebte meine Familie, das war gar keine Frage, trotzdem konnte ich ihnen nicht die Wahrheit sagen. Wie sollte ich Cameron denn auch weiss machen, dass er nicht mein Halbbruder, sondern nur mein Adoptivbruder war? Ich konnte und wollte ihm das nicht sagen.
Ich gab es ja zu. Ich hatte Angst. Angst davor, dass er sich von mir abwenden würde, genau so wie Mum. Nicht nur weil ich Angst hatte, redete ich seit einer Woche nicht mehr, sondern auch, weil es mir einfach nur beschissen ging.
Mein Tagesablauf: Aufstehen, Schule, nach Hause gehen und schlafen. Ich ass nur das Nötigste, weil ich einfach nichts herunterbekam und von meinen Freunden hielt ich mich auch fern. Zwar hielt ich mich in der Schule bei ihnen auf und verbrachte auch die Pausen mit ihnen, aber nach der Schule verkroch ich mich gleich in mein Zimmer.
Ausser mit James und Jeff hatte ich nicht wirklich grossen Kontakt zur Aussenwelt. Ich wusste, dass sich die anderen Sorgen um mich machten, aber ich konnte einfach nicht anders. Ich fühlte mich einfach nur schlecht und so sah ich auch aus.
Trauer und Angst. Das beschrieb meine momentane Situation am besten und genau das hatte mich wieder zu 'Silent' gemacht.
"Bitte Chloe, rede doch wieder mit uns." kopfschüttelnd rappelte ich mich auf und nahm meine Krücken in die Hand. "Hier seid ihr." kaum hörte ich Lou, sah ich auch schon wie sie mit den Anderen zu uns kam. Stimmt, sie wollten heute an den Strand. Das hatte ich wohl wieder vergessen. Wie so vieles in der letzten Woche.
Da ich nicht mit ansehen wollte wie sie ins Wasser konnten, während ich hier dumm rumsitzen musste, pfiff ich einmal. Es verging eine Minute, bis Black schwanzwedelnd die Treppe nach unten und zu mir rannte. In dieser Hinsicht war Black genau wie Cody. Wir verstanden uns auch ohne Worte. Vielleicht hatte diese Hunderasse das irgendwie an sich.
"Ich komme mit, okay?" kurz sah ich James an, ehe ich nickte und los lief. Zwar war es nicht so angenehm mit den Krücken durch den Sand zu laufen, aber alles war besser als bei den Anderen zu bleiben.
Minuten liefen wir schweigend über den Strand, wobei Black immer wieder den Ast holte, der ihm James weg warf. "Was ist los?" durchbrach James die Stille. Ich blieb stehen und sah ihn verwirrt an. "Nein Chloe, fang gar nicht erst so an. Ich kenne dich besser als du denkst und weiss genau, wenn es dir nicht gut geht. Ausserdem siehst du nicht gut aus." empört schnappte ich nach Luft. Fand mich mein Freund seit neustem abscheulich oder was?
James verstand wohl was ich meinte, denn er schüttelte sofort seinen Kopf. "So habe ich das nicht gemeint. Du bist wunderschön und das weisst du, aber ich beobachte dich. Du isst viel zu wenig und seit einer Woche redest du nicht mehr. Ich weiss genau, dass Jeff weiss um was es geht und ich weiss auch, dass er so loyal ist und mir nichts sagen wird. Also frage ich jetzt dich. Was ist passiert?" ja, er war verdammt gut. Wieso musste er mich auch so gut kennen.
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Silent girl
Teen FictionFür Chloe gibt es nichts wichtigeres im Leben als ihre Familie und das Surfen. Als ihre Mutter einen neuen Mann kennen lernt, muss sie mit ihrem Bruder nach Malibu ziehen. Für Chloe eigentlich keine grosse Sache, gäbe es da nicht ein Problem. Chloe...