Noch nie in meinem Leben war ich so nervös. Wie kam ich überhaupt auf diese bescheuerte Idee? Ja, richtig, ich wollte freiwillig in die Schule gehen und wie kam ich da am besten an vier Erwachsenen vorbei, von denen zwei noch Polizisten waren und mich nicht aus den Augen liessen? Genau, durch das Fenster!
Ich warf einen letzten Blick durch Camerons Fenster nach unten und schulterte meine Tasche. Ich würde das schaffen! Tief durchatmend stand ich draussen auf die Fensterbank und schloss Camerons Fenster. Immerhin wollte ich ja nicht, dass sie gleich wussten wie ich hier weg kam. "Nicht nach unten sehen!" ermahnte ich mich selbst und griff nach der Regenrinne auf meiner linken. Vorsichtig folgten meine Füsse und umklammerten sie so, als ob mein Leben davon abhing. Langsam kletterte ich Stück für Stück immer weiter nach unten, bis meine Füsse endlich den Boden berührten. Erleichtert atmete ich durch und sah mich um. Weit und breit war niemand zu sehen und das musste ich ausnützen, solange ich noch konnte. Darauf bedacht keinen Lärm zu machen, schlich ich zur Strasse und rannte los, kaum hatten meine Füsse den Bürgersteig betreten.
Ausser Atem kam ich in der Schule an und lief auf direktem Weg zu meinem Spind. Der Unterricht hatte schon angefangen, worüber ich mehr als froh war. Ich wollte nicht, das Cameron oder James mich sahen, denn dann bekam ich 1. einen gewaltigen Anschiss und 2. würden sie mich sofort wieder nach Hause bringen. Schnell stopfte ich meine Bücher für die nächsten Stunden in meine Tasche und ging zum Klassenzimmer.
Ohne zu klopfen betrat ich das Zimmer und setzte mich an meinen Platz neben Mike. Dieser sah mich irritiert an und wollte etwas sagen, aber ich schüttelte meinen Kopf. "Später." flüsterte ich, worauf er nickte. Langsam drehte ich mich auf meinem Stuhl um und sah Andy an, der bereits sein Handy in der Hand hatte. Wusste ich es doch. "Solltest du auch nur daran denken ihnen zu schreiben das ich hier bin, dann setzt es was Andy." zischte ich. Kopfschüttelnd sah er mich an. "Du bist hier nicht sicher Chloe." flüsterte er. "Das ist mir völlig egal, ich-" "Miss Johnson! Sie kommen wann sie wollen und reden ununterbrochen in meinem Unterricht. Nachsitzen!" sagte er aufgebracht. Stöhnend drehte ich mich wieder um und sah Mr. Roberts an. "Nichts lieber als das." sagte ich falsch lächelnd und legte mein Buch auf den Tisch. Mir war es nur recht, denn so musste ich nicht gleich wieder nach Hause gehen. Sobald ich wieder Zuhause war, hiess es ab zum Safe House und das wollte ich auf gar keinen Fall.
Als es zum Ende der Stunde läutete, packte ich meine Sachen zusammen und wollte aufstehen, aber Mike legte seine Hand auf mein Bein und hinderte mich so daran. Erst als alle Schüler und Mr. Roberts den Raum verlassen hatten, liess er mich los und drehte sich zu mir. Andy hatte den Raum wohl auch nicht verlassen, denn er setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber und sah mich an. "Kann es sein, dass du sterben willst?" fragte Mike. Verwirrt runzelte ich meine Stirn. "Nein, wieso?" "Ernsthaft? Vielleicht weil ein Irrer hinter dir her ist und du hier in aller Seelenruhe sitzt?" "Wie?" "Wir waren in den letzten Tagen ständig bei dir Zuhause Chloe. James ging es miserabel." sagte Andy. Seufzend schloss ich meine Augen. "Ihr habt keine Ahnung." sagte ich und sah sie wieder an. "Ich will nicht in einem Haus eingesperrt sein und darauf warten, dass die Polizei diesen Anthony endlich verhaftet. Wegen mir ging es James beschissen, weil ich ihm nicht geglaubt habe und er hat Sofie meinetwegen umgebracht. Wenn er mich unbedingt haben will, soll er kommen und mich holen. Ich bin lieber in seiner Gewalt, als dass noch jemand wegen mir verletzt wird."
"Hey Andy, wo bleibst du denn?" wir sahen zur Tür als sie geöffnet wurde und Jeff rein kam. Sofort stand ich auf und wollte zu ihm, liess es aber als er mich wütend ansah. "Du!" knurrte er und kam auf mich zu. "Jeff, nein!" sagte Andy und sprang wie Mike ebenfalls auf. "Das ist alles nur deine Schuld. Geh zur Seite Andy!" kurz sah Jeff zu Andy, der sich ihm in den Weg gestellt hatte. "Nein, du wirst jetzt nichts machen!" sagte er warnend. Jeff sah wieder zu mir und sein Blick sprühte nur so vor Hass. "Es ist deine Schuld. Wegen dir wurde Sofie umgebracht!" schrie er. Erschrocken wich ich einen Schritt nach hinten. Er hatte recht. Nur wegen mir hatte Tom meine beste Freundin umgebracht. Wegen mir musste sie sterben. "Es tut mir leid." flüsterte ich. Erfolgslos probierte ich die Tränen zurückzuhalten. "Weil ich Tom eine Abfuhr erteilt habe, hat er Sofie umgebracht. Es tut mir verdammt nochmal leid!" schrie ich und rannte aus dem Klassenzimmer.
Ohne auf die Schüler zu achten die im Flur liefen, rannte ich in die Bibliothek, lief durch die Regale und lies mich in einer Ecke auf den Boden sinken. So hatte ich mir meinen Schultag garantiert nicht vorgestellt, aber ich musste Jeff recht geben. Es war ganz alleine meine Schuld. Wegen mir hatte er und seine Familie Sofie verloren. Nie in meinem Leben würde ich das je wieder gutmachen können.
"Chloe? Bist du hier?" nein, ihn wollte ich jetzt am wenigsten sehen. Sofort stand ich auf, wischte die Tränen aus meinem Gesicht und machte das ich aus dieser Bibliothek verschwand. Ich hätte es geschafft, wenn Jeff mich nicht bei der Tür aufgehalten hätte. Langsam drehte ich mich zu ihm um und wollte etwas sagen, aber er liess es gar nicht soweit kommen und umarmte mich. "Es tut mir leid Chloe. Ich bin völlig durchgedreht." flüsterte er. Verwirrt legte ich meine Arme um ihn. "Du hast keine Schuld an ihrem Tod, hörst du? Der Einzige dem wir die Schuld geben müssen, ist Tom und diesem Anthony." langsam liess er mich los und sah mich an. "Aber-" "Nein. Du hast keine Schuld. Rede dir das bitte nicht ein Chloe, dass würde Sofie nicht wollen." ergeben nickte ich. "Tut mir leid das ich so ausgerastet bin." "Ist schon in Ordnung." sagte ich. "Na los, auf dem Schulhof wartet jemand auf dich." verwirrt runzelte ich meine Stirn. "Hast du..?" ich liess meinen Satz offen, aber auch so verstand Jeff. "Denkst du wirklich, dass wir dich hier schutzlos herumlaufen lassen? Wenn du schon niemandem sagst das du hier bist, müssen es wenigstens James und Cameron wissen." grinsend führte Jeff mich aus der Bibliothek. "Das ist mein Todesurteil." murmelte ich, weshalb Jeff nur lachte.
Auf dem Schulhof angekommen, führte mich Jeff einmal um das Gebäude zu Mike, Andy, Cameron und James. Sie standen an der Mauer, die die Schule von der Strasse trennte und unterhielten sich. Ich hatte auch so eine Ahnung worüber, denn Cameron und James waren mehr als wütend. "Jungs!" rief Jeff. "Nein." sagte ich und blieb stehen. Ich wollte wieder gehen, aber es war zu spät. Alle vier drehten sie ihre Köpfe zu uns und sahen mich an. Jeff schob mich an meinen Schultern zu ihnen. Unbehaglich sah ich sie an. "Ähm hey." murmelte ich und sah auf den Boden. "Wir wissen wieso du hier bist und verstehen dich." überrascht hob ich meinen Kopf und sah Cameron an. "aber-" fing er an. War doch klar das so etwas noch kommen musste. "es ist nicht in Ordnung." "Sag es ihnen Chloe." verwirrt sah ich zu Andy und brauchte einen Moment bis ich verstand was er meinte.
Ich wusste ganz genau wie bescheuert das war, was ich vorhin noch Andy und Mike sagte, darum schüttelte ich nur meinen Kopf. "Sie möchte lieber das er sie holen kommt, als das noch jemand verletzt wird." sagte Andy. Cameron seufzte und zog mich in eine Umarmung. Was war denn jetzt los? "Wir können auf uns aufpassen Kleines." flüsterte er und sah mich an. "Wir machen es so: du bleibst in der Schule, aber einer von uns bleibt bei dir und bevor du etwas sagst. Ich kann auch John anrufen, wenn du das unbedingt möchtest." sofort schüttelte ich meinen Kopf, worauf Cameron grinste. Auch die anderen lachten jetzt, nur James nicht. "Also los, gehen wir rein." sagte Cameron nachdem er James angesehen hatte, liess mich los und ging mit den anderen zurück.
Kaum waren sie ausser Sichtweite, packte mich James an den Schultern und drückte mich gegen die Wand. Erschrocken sah ich zu ihm hoch. Sein anfänglich kalter Blick wurde in Sekunden wieder weicher. "So etwas möchte ich nie wieder hören." sagte er und legte seine Hand an meine Wange. "Versprich mir, dass du dich ihm nicht auslieferst. Ich möchte dich nicht verlieren, hörst du?" ergeben nickte ich und legte meine Hand auf seine. "Ich möchte nur mein altes Leben wieder haben." "Das wirst du auch. Versprochen." flüsterte er und küsste mich sanft auf meine Lippen.
"Hey ihr Turteltauben. Der Unterricht geht weiter." grinsend löste sich James von mir und sah zu Collin. "Seit wann gehst du freiwillig in die Schule?" "Seit meine Eltern mir gedroht haben mir mein Geld, Handy und Auto wegzunehmen, wenn ich nicht gehe." schmunzelnd nahm ich James Hand in meine und zog ihn hinter mir her zu Collin. "Schön dich wieder zu sehen Chloe." sagte er lächelnd und umarmte mich. "Kann ich nur zurückgeben du Stinkstiefel." angewidert verzog ich mein Gesicht und sah ihn an. Er stank wirklich unglaublich nach Schweiss. "Sorry du Memme, ich hatte gerade Sport. Verzeih wenn ich erst jetzt duschen gehe." "Wie auch immer, ich habe Hunger." sagte James und zog mich diesmal hinter sich her.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es doch noch ein guter Tag werden würde. Auch wenn ich Zuhause mein blaues Wunder erleben würde.
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Silent girl
Teen FictionFür Chloe gibt es nichts wichtigeres im Leben als ihre Familie und das Surfen. Als ihre Mutter einen neuen Mann kennen lernt, muss sie mit ihrem Bruder nach Malibu ziehen. Für Chloe eigentlich keine grosse Sache, gäbe es da nicht ein Problem. Chloe...