Kapitel 36 / Anruf

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Es waren zehn Tage vergangen. Kein Lebenszeichen von Kailyn. Weder bei seiner Mum, noch bei einem seiner Freunde, noch bei mir.

Ich hatte ihn jeden Tag angerufen, doch nie war ich durchgekommen, sein Handy war immer ausgeschaltet gewesen.

Es zerfraß mich, nicht zu wissen, wo er war und was er trieb. Ob es ihm gut ging, ob er überhaupt noch lebte.

Luke und Carter waren zu Ryder gefahren, doch der behauptete, Kailyn auch nicht gesehen zu haben.

Ich machte mir so sehr Sorgen um ihn, dass ich in der Schule nicht mal mehr dem Unterricht folgen konnte.

Ich konnte mich auf nichts konzentrieren, außer auf Kailyn und seine Abwesenheit.

Ich war soeben in der Schule angekommen, mit meinem gefälschten Lächeln, in einem von Kailyns Shirts, das ich mir aus seinem Zimmer gestohlen hatte.

Klang vielleicht komisch, aber ich trug in den letzten Tagen immer seine Shirts. Irgendwie hatte ich dann das Gefühl, er wäre hier.

Liz sah mich mitleidig an, ich hatte ihr erzählt, dass er zu seinen Verwandten nach Europa gereist war, weil etwas Familiäres passiert war.

Die Jungs jedoch hatten den Brief gelesen und meinten, ich solle einfach abwarten und dass er auf sich selbst aufpassen konnte.

Liz und Ronny hatten sich wieder versöhnt, da sie anscheinend nicht ohne einander konnten, wofür ich aber beim besten Willen keine Nerven hatte.

Natürlich hatte ich ihr zugehört und war für sie da gewesen, aber meine Gedanken lagen immer bei Kailyn.

Wir hatten jetzt Biologie, also legte Liz den Arm um meine Schultern und zog mich mit.

Sie redete irgendwas von einem Mädchen unserer Stufe, die angeblich im Krankenhaus lag, doch ich hörte wieder nur halb zu.

Kailyn hatte sich, bevor er abgehauen war, eine Schulbefreiung geholt, keine Ahnung, wie er das hinbekommen hatte. Jedenfalls vermisste ihn hier niemand, außer die Jungs und ich.

Nach dem Unterricht kamen uns drei Bitches entgegen, ich hatte sie zuvor schon mal bei uns zu Hause gesehen. Sie gingen geradewegs auf mich zu.

„Du bist doch Kailyns Schwester, nicht?" meinte die eine herablassend. „Ja?" fragte ich müde.

„Wo ist er? Wir vermissen ihn, er antwortet auch nicht auf unsere Nachrichten." Beschwerte sich eine andere.

„Er ist in Europa, bei seinen Verwandten." Meinte ich nur knapp und drängte mich dann an ihnen vorbei.

„Solche kleinen Schlampen!" fluchte ich, weshalb Liz mich lächelnd ansah.

„Du stehst auf ihn." stellte sie fest. „Nein." Fauchte ich. Sie grinste nur noch breiter.

„Du vermisst ihn so sehr, obwohl du weißt, dass es ihm gut geht." Nein Liz, ich wusste nicht mal, ob er noch lebte. Ich schluckte den Kloß hinunter und verdrehte die Augen.

„Ich sehe ihn normal fast 10 Stunden am Tag, natürlich fehlt er mir dann." Seufzte ich.

Der Unterricht verging langsam, unsere Englisch Lehrerin verkündete, dass wir bald einen Ausflug nach Miami machen würden, die jährliche Klassenfahrt.

Doch auch das konnte meine Laune nicht aufheitern.

Ronny kam nach der letzten Stunde zu mir, besser gesagt fing er mich vor meinem Spind ab. „Hast du was von ihm gehört?" fragte er. Ich schüttelte nur den Kopf.

„Okay..." er kratzte sich am Hinterkopf.

„Ich meine, er kann auf sich aufpassen, man muss sich eigentlich nie Sorgen um Kailyn machen. Aber es sind eben schon zehn Tage, normalerweise hätte er sich schon längst gemeldet..."

„Ich weiß!" meine Stimme war ein wenig zu laut, sodass einige Schüler mich ansahen.

Beschämt richtete ich den Blick zum Boden und atmete tief durch, dieser Junge machte mich noch verrückt. „Denkst du, dass was passiert ist?" fragte ich leise.

„Naja, was Luke so erzählt hat, ist dieser Ryder nicht gerade ungefährlich. Aber ich denke, dass Kailyn seine Aufgaben einfach erfüllt und ihm nichts passiert."

Ronnys Gesichtsausdruck unterstützte seine Worte nicht, er sah panisch aus.

„Ich hoffe es." Meinte ich nur und drehte mich dann um, um wie in den letzten Tagen immer, mit dem Bus nach Hause zu fahren. Es ging eben nicht anders.

Ich lag gerade am Bett, war so eben von der Schule nach Hause gekommen und das flaue Gefühl in meinem Magen, wegen dem ich schon seit Tagen fast nichts mehr essen konnte, breitete sich wieder mehr aus.

Es war, als hätte man mir alle Organe rausgerissen, als wäre ich innerlich leer. Ich vermisste es, mit Kailyn zur Schule zu fahren.

Sogar die Stille zwischen uns im Auto vermisste ich. Ich vermisste seine Scherze, wie er versuchte, mich auf die Palme zu bringen und unsere Gespräche.

Die ernsten Gespräche, die niemals jemand sonst hören sollte.

Mein Handy klingelte, mein Herz hüpfte. Meldete Kailyn sich etwa? Es wareine unterdrückte Nummer, trotzdem hob ich ab.

„Kailyn?" fragte ich voller Hoffnung,mit zittriger Stimme.

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Na, denkt ihr, Kailyn meldet sich schon?

Bis zum nächsten Mal! xx

Verlass mich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt