Ein riesiger Baum war durch das Küchenfenster gestürzt, er ragte samt Stamm bis ins Wohnzimmer.
„Hallo?!" schrie Kailyn, denn der vorhergehende Schrei ließ vermuten, dass jemand hier sei.
Doch es war still. Das einzige, was man hören konnte, war das Pfeifen des Sturms und die Hagelkörner, die auf den Fließenboden schlugen.
Wie angewurzelt standen wir am Treppengeländer und konnten uns nicht bewegen. Doch da entdeckten wir Dad, der aus dem Schlafzimmer kam, einen besorgten Gesichtsausdruck aufgesetzt.
Er riss die Augen auf, als er den Baum sah. „Erica!" schrie er und rannte ins Wohnzimmer. „Dad!" schrie ich, damit er stehen blieb.
Ich rannte zu ihm und hielt ihn fest, die Hagelkörner waren gefährlich und es konnte noch was reinstürzen.
Dad wurde ganz bleich im Gesicht. „S-Sie wollte... sie wollte eine Taschenlampe holen, da... da hab ich das Klirren gehört..." stotterte er. Mein Magen drehte sich um.
Erica lag unter dem Baum.
Ich sah zu Kailyn, der immer noch an der Treppe stand und meinen Dad ungläubig ansah. „Ich rufe die Rettung!" schrie Dad hysterisch und holte sein Handy aus der Tasche.
Ich derweil versuchte, die Ruhe zu bewahren und ging langsam zu Kailyn, legte meine Hand auf seine und zog ihn an mich. Er stand wie angewurzelt da, sein Blick lag auf dem Baum.
Nur wenige Minuten, die wir einfach nur dagestanden und uns wie gelähmt gefühlt hatten, später traf auch schon die Rettung und Feuerwehr mit Sirenen und Blaulicht ein.
Die Feuerwehrleute stürmten ins Haus, Elle nahm meinen Dad in den Arm, da dieser beinahe hyperventilierte und ich hatte meinen Arm um Kailyns Hüfte gelegt, um ihn zu halten.
„Wir müssen Sie bitten, rauszugehen, sie bekommen Infos, sobald es was Neues gibt." Schrie uns ein Feuerwehrmann zu.
Alles ging ziemlich schnell, wir vier stellten uns vor das Haus, wo die Feuerwehr- und Rettungsautos sich versammelt hatten und sahen dem Geschehen zu.
Kailyn stand steif da, als wäre er gelähmt. Sein Blick war leer, seine Hände zitterten aber. Er hatte Angst, das konnte ich sehen.
Seinen Arm legte ich mir um die Schultern, meinen um seine Taille. Er verlagerte sein Gewicht auf mich, als wäre ich ein Anker, an dem er sich vor dem Ertrinken rettete.
Dad rannen die Tränen vor Angst nur so über die Wangen, Elle war ganz blass und hatte ihr Augen stets auf die Haustür gerichtet. Dad und sie umarmten sich die ganze Zeit über.
Ich fühlte mich, als hätte man mir in den Magen getreten, ich hatte Angst um Erica. Die ganze Zeit hörte ich ihren Schrei in meinen Ohren.
Aber ich war die, die ihr von uns vieren am wenigsten nahestand und somit musste ich den kühlen Kopf behalten.
Kurze Zeit später kam einer der Feuerwehrleute aus dem Haus, nahm seinen Helm ab und atmete tief durch, während er auf uns zuging.
Dad rutschte zu mir, sodass ich nun einen Arm um Kailyn und den anderen um Dad hatte.
„Es tut mir leid, aber Miss O'Neill wurde von dem hereinstürzenden Baum am Genick getroffen, sie war sofort tot."
Seine Worte hallten durch meine Ohren, wie in einem Tunnel. Ich konnte selbst nicht mal reagieren, denn Kailyns Beine gaben nach, er sackte zusammen.
Sofort hielt ich ihn auf und er legte seine Arme fest um meinen Hals, sodass ich ihn auf den Beinen halten konnte.
Dad und Elle starrten den Mann mit leeren Blicken an, bewegten sich keinen Zentimeter. Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, doch ich musste stark bleiben.
Ich spürte Kailyns Tränen, die auf meinen Hals tropften und das Zittern, das seinen ganzen Körper durchfuhr.
Seine Mutter war tot.
Gefühlte zehn Minuten standen wir so da, Dad und Elle ohne jegliche Reaktion, Kailyn in meinen Armen, seinen Kopf tief in meinem Hals vergraben und am ganzen Körper zitternd.
Er schluchzte immer wieder auf, hielt sich noch enger an mir fest. Ich strich ihm über den Rücken, versuchte stark zu bleiben.
Elle löste sich aus ihrer Starre und nahm meinen Dad in den Arm. Eine einzelne Träne rann über ihre Wange, den Rest schluckte sie hinunter, ich konnte ihr Leiden in den Augen sehen.
„Es tut mir wirklich leid. Haben Sie jemanden, wo Sie unterkommen können?" fragte der Feuerwehrmann an mich gerichtet.
Ich überlegte kurz, nannte ihm dann den Namen von Justins Eltern. Sie würden uns bestimmt aufnehmen, andere Verwandten hatten wir jedoch nicht wirklich in der Stadt.
Zwei Stunden vergingen. Eine halbe Stunde lang hielt ich Kailyn im Arm, bis sein Schluchzen versiegte und er sich langsam von mir löste. Elle nahm ihn dann in den Arm, während ich Dad an mich zog.
„Die beiden Frauen, die ich geliebt hab, sind gestorben." Schluchzte er. Seine Stimme war voller Schmerz, sie ging mir durchs Mark.
Eine Träne schaffte den Weg über meine Wange, dann riss ich mich aber zusammen. Ich musste für die anderen da sein.
Auch Elle nahm ich eine Zeit lang in den Arm, sie kämpfte dagegen an, zu weinen.
Irgendwann wurde ein silberner Sarg aus dem Haus getragen, was aber Gott sei Dank nur ich sehen konnte, die anderen standen mit dem Rücken zum Haus.
Die Rettungsleute riefen die Rogers an, welche nach einer Weile auch mit dem Auto kamen. Der Tornado hatte mittlerweile komplett aufgehört, es regnete nur noch.
Justins Eltern umarmten uns alle lange, sprachen uns ihr Beileid aus und fuhren uns dann gegen vier Uhr morgens zu ihnen.
Es fielen nicht viele Worte, wir waren alle in Gedanken.
Vor meinem inneren Auge sah ich Ericas Lachen, ihre hilfreichen Worte hörte ich. Wie sie für jeden nur das Beste wollte, wie sie mir immer half, jeden Fehler sofort vergab. Ich spürte nichts, es war, als wäre das Leben um uns vier herum stehen geblieben, als Erica gegangen war.
Elle setzte sich mit Justins Mum zusammen, sie redeten fast eine Stunde lang und danach ging es Elle viel besser. Währenddessen wollte ich mich um Dad kümmern, doch er meinte, er wolle einfach nur allein sein.
Also führte Justins Dad, der selbst ziemlich mitgenommen aussah, Kailynund mich in ein Gästezimmer, in dem wir schlafen würden.
Er legte sich sofort in die Kissen, vergrub seinen Kopf darin. „Ich hab niemanden mehr, Sky. Meine Mum ist tot und mein Dad ist abgehauen." Schluchzte er.
Ohne zu Antworten zog ich ihn an mich, sodass sein Kopf an meiner Brust lag und seine Arme um mich geschlungen waren, er krallte seine Finger in meiner Hüfte fest.
„Du bist nie allein, hörst du?" war alles, was ich sagte.
Bis in die frühen Morgenstunden saßen wir so da; es war, als hätte Erica alle unsere Worte, unser aller Leben mit in den Tod genommen.
Ab und zu spürte ich Kailyns Zucken, wenn ihn die Tränen überkamen, dann drückte ich ihn ganz fest an mich. Sonst war ein gar nichts zu hören, außer meine Gedanken, die mich anzuschreien schienen.
Die neun Monate, in denen ich Erica gekannt hatte, kamen mir vor, wie Jahre. Sie war eine Bezugsperson für mich geworden, ein Teil meiner Familie. Und dann wurde sie uns allen weggerissen.
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Helloooo... bin irgendwie nicht zufrieden mit dem Kapitel, hab's nicht so emotional rübergebracht wie ich wollte, hab ich das Gefühl.
Hoffe, ihr fühlt trotzdem, wie sehr es Kailyn den Boden unter den Füßen weggerissen hat, wie viel er mit seiner Mutter verloren hat. Das ist nämlich grundlegend für das Ende des Buches.
Bis zum nächsten Mal! xx
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Verlass mich nicht
Teen Fiction-- „Wieso, Kailyn? Wieso?! Wieso verabschiedest du dich von mir, obwohl du weißt, dass wir uns wiedersehen werden?! Wieso sagst du mir, ich soll dich vergessen? Wieso lässt du mich alleine, nur weil ich in Gefahr sein könnte?!" ich hatte Tränen in d...