Kapitel 35 / Du bist nicht allein

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Mum, Dylan, Elle, Sky.

Es tut mir leid, aber ich brauche eine Auszeit. Ich schlafe für ein paar Tage bei einem Freund, ich habe ein paar Dinge zu klären und brauche dazu meine Ruhe. Bitte versucht nicht, mich anzurufen oder nach Hause zu holen. Mir geht's gut, ich passe auf mich auf.

Wir sehen uns,

Kailyn.

Verdammt, verdammt, verdammt. Er war abgehauen.

Ich setzte mich erst mal neben Dad und las die Zeilen immer wieder, bis ich verstand.

„Er hat den Zettel auf den Tisch geknallt und ist mit einer Reisetasche verschwunden." Erklärte Erica schluchzend.

Ich atmete erst mal tief durch, dann umarmte ich sie eng. „Es geht ihm gut, er kann gut auf sich selbst aufpassen. Und er wird wieder zurückkommen." Versprach ich ihr.

Er war abgehauen, wahrscheinlich um den Deal mit Ryder abzuwickeln. Er wollte nicht, dass Erica davon erfuhr, dass er ihr Jahrelang verschwiegen hatte, dass ihr Mann sie ständig betrog.

Und wenn er den Deal nicht für Ryder abwickeln würde, würde sie es von ihm erfahren.

Verdammt, wieso hatte ich ihn nicht aufgehalten?! Er würde wieder in diese Szene reingeraten und diesmal nicht wieder rauskommen!

Innerlich zerfraß die Sorge mich, äußerlich ließ ich mir nichts anmerken.

Eine Weile umarmte ich Erica noch, dann beschlossen wir zu viert, ihm die Zeit zu lassen, die er brauchte und uns nicht um ihn zu sorgen.

Die anderen kochten Abendessen, mir jedoch war der Appetit vergangen und ich verkroch mich auf mein Zimmer.

Sofort wählte ich Kailyns Nummer. Er hatte sein Handy ausgeschaltet, weshalb nur die Mailbox ranging.

Doch ich war so wütend und besorgt zugleich, dass ich eine Nachricht hinterließ.

„Was zum Teufel fällt dir eigentlich ein?! Weißt du eigentlich, wie sehr du deiner Mum wehgetan hast?"

"Einen verfickten Abschiedsbrief zu schreiben und ihr das Gefühl zu geben, sie wäre eine schlechte Mutter gewesen, weil sie nicht gemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte!" ich atmete tief durch.

Ob es nun auf mich oder auf Erica bezogen war, war mir nicht so wirklich klar.

„Du hast es mir versprochen, Kailyn. Du hast mir versprochen, dass du das Angebot nicht annimmst. Du hast mir heute Morgen in die Augen gesehen und nichts gesagt!"

"Du wirst wieder in die Drogenszene geraten und diesmal nicht mehr da rauskommen!" fuhr ich fort.

„Weißt du was? Fick dich einfach. Bleib, wo du bist, du egoistisches Arschloch!" Am Ende brach meine Stimme, doch ich legte auf, bevor er hören konnte, wie weh es mir tat.

Ich versuchte, Hausaufgaben zu machen und mich so abzulenken.

Doch mein Kopf war voll. Mit Szenarien, wie Kailyn wieder dealte, wie er mit Drogenbossen und Lieferanten am Tisch saß und tausend Dollar schwere Deals abwickelte.

Ich hatte Angst. Angst, dass er sich in dieser Szene wohlfühlen würde und dortbleiben würde.

Keine Ahnung woher diese Sorge kam, aber ich hatte das Gefühl, er dachte, dass er nicht mehr nach Hause kommen könnte, solange er Ryders Forderungen nicht erfüllt hatte.

Nach zwei Stunden frustriert auf meinen Block zeichnen, gab ich es auf. Ich warf den Bleistift in den Mülleimer und den Block stopfte ich in meine Schultasche.

Kailyn war gerademal ein paar Stunden weg und trotzdem fühlte alles in mir sich so leer an. Ich wusste aber auch, wie Kailyn sich fühlen musste, und das tat mir am meisten weh.

Alle, die von seiner Vergangenheit – oder zumindest einem Teil davon – wussten, waren dafür, dass er diesen Deal machte.

Denn er würde viel Geld bekommen und sie fanden es nicht schlimm, schließlich hatte er es früher auch getan.

Ich wusste, dass er es nicht tun wollte, aber er dachte, er wäre alleine mit dieser Sichtweise. Er dachte, er würde seine Freunde enttäuschen, wenn er es nicht tun würde.

Er dachte, wenn er es nicht tun würde, würde seine Mutter durch die Wahrheit enttäuscht werden.

Er dachte, er wäre ganz alleine, wenn er den Deal nicht durchziehen würde. Aber das stimmte nicht.

Er hatte mich. Mir wurde klar, dass ich all meine Energie für ihn geben würde, Tag und Nacht bei ihm bleiben würde, wenn es ihm nicht gut gehen würde – so wie er es für mich getan hatte.

Gegen Mitternacht hinterließ ich die zweite Nachricht auf seiner Sprachbox: „Es tut mir leid. Die letzte Nachricht tut mir leid."

"Ich weiß, du denkst, wenn du den Deal nicht machst, enttäuscht du alle. Deine Mum dadurch, dass sie die Wahrheit erfährt und deine Jungs dadurch, dass du dann das Weichei bist."

"Wo ist der alte Kailyn, seit wann scheißt du dich so an? Du hast Angst, dass sie enttäuscht von dir sind, weil sie was Anderes erwartet haben. Du hast Angst, dass du alleine bist." Ich atmete tief durch, bevor ich weiterredete.

„Aber das bist du nicht, verdammt. Du hast mich. Egal, welche Entscheidung du triffst, du hast mich."

"Ich bleibe gern Tag und Nacht bei dir, wenn es dir nicht gut geht. Ich verteidige dich gern vor deiner Mum oder sag den Jungs mal gehörig die Meinung, dass es scheiße ist, was sie erwarten."

"Aber du bist nicht allein, Kailyn. Nie. Ich bin kein Mensch, der andere im Stich lässt. Nur, dass du es weißt. Du kannst immer nach Hause kommen."

Ich legte auf. Dann trottete ich ins Bad und putzte meine Zähne, wusch mir mein Gesicht und schlüpfte dann in meine Schlafklamotten.

Dann legte ich mich ins Bett und starrte an die Decke. Mit aller Kraft versuchte ich, auf andere Gedanken zu kommen. Doch vergeblich.

Warum bemerkte man immer erst, wie wichtig einem jemand war, wenn die Person nicht mehr da war?

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Viel Drama, i know i know. Aber dieser Teil ist extrem wichtig für die Geschichte, ich musste ihn also ziemlich ausbauen, sorry :D

Was haltet ihr von Kailyns Aktion?

Bis zum nächsten Mal! xx

Verlass mich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt