18. Kapitel

122 20 10
                                    

Zum zweiten Mal an diesem Tag überwand Jitka mutig ihre Höhenangst und kletterte hinauf in Eriks Schlafnische, während er am Fuß der Leiter stand bereit sie aufzufangen, falls sie doch abrutschte. Was sie natürlich nicht tat, aber sie hatte ihm erklärt, sie fühle sich sicherer, wenn er aufpasste.

"Du kannst auf der Innenseite schlafen, dann fällst du nicht einmal bei einem Erdbeben runter."

"Wenn's ein Erdbeben gibt, dann ist das auch schon egal", gab Jitka von oben zurück, während er nachkletterte. "Gibt es sowas hier nicht häufiger?"

"Zwei bis drei Mal im Jahr", sagte er und setzte sich neben ihr auf die Matratze. "Turin liegt anscheinend knapp an der Erdbebenlinie. Aber in letzter Zeit hat es hier nie besonders stark gebebt. Meistens um die Drei auf der Richterskala, also gerade so, dass man es spürt."

"Ja, dann ...", sagte Jitka und lehnte sich neben ihm gegen die Wand. "Warum weißt du sowas überhaupt? Steht das auch in Sylvies Reiseführer?"

"Natürlich nicht", lachte er. „Hab irgendwann nicht schlafen können, da schaut man dann auf einmal solche Sachen nach." Jitka machte es sich in der Ecke neben ihm bequem und schaute immer noch etwas skeptisch drein.

"Du kannst immer noch runter auf das Sofa übersiedeln, falls du es dir anders überlegst," sagte er augenzwinkernd. Immerhin hatte er nichts getan um sie zu überreden, oben bei ihm zu übernachten.

"Oh nein, du hast mir ja versprochen, dass mir nichts passiert," sagte sie und grinste ihn an. "Außerdem hast du es sehr gemütlich hier."

"Ja, da hast du Recht", die Fläche war geräumig und die Matratze mehr als groß genug für Zwei. "Man hat von hier einen sehr guten Überblick. Sylvie merkt meistens gar nicht, wenn ich schon wach bin und sie beobachte, wie sie unten herumräumt - nicht, dass das besonders interessant wäre ... Aber zumindest kommt sie nicht so schnell auf die Idee mich aufzuscheuchen, wenn sie mich nicht im Blickfeld hat. Ich stehe ja nicht ganz so früh auf wie sie."

"Aber früh genug. Hast du nicht gesagt, du gehst laufen?"

"Ja, aber da muss ich nicht so früh raus, wenn wir um neun mit der Probe anfangen. Aber ich versuche das so zeitig wie möglich hinter mich zu bringen, die Hitze hier ist ja nicht normal."

"Wow, das würde ich nie schaffen."

"Das habe ich mir angewöhnt. Aber im letzten halben Jahr hatte ich auch so einen spießig regelmäßigen Tagesablauf wie noch nie. Regelmäßige Arbeitszeiten, immer um die gleiche Zeit ins Bett, immer um die gleiche Zeit aufstehen. Keine Abendauftritte, keine späten Proben, keine Reisen. Vielleicht hie und da mal abends mit Freunden was trinken gehen. Sylvie sagt, das ist gesund, aber ewig kann man das auch nicht machen."

"Willst du jetzt wieder durchstarten?" Er spürte, wie ihre Finger ihm durch die kurzen Haare fuhren und schloss für einen Moment die Augen, um ihren Duft einzuatmen. Doch sie roch jetzt nach Sylvies Duschgel und Sylvies Waschmittel, das fand er etwas irritierend.

"Vielleicht", antwortete er. "Ich glaub schon. Mir hat das alles gefehlt. Aber ich habe noch keinen Plan. Es ist ja nicht so, dass ich momentan von Angeboten überschüttet werde. Ich habe das in letzter Zeit auch nicht so verfolgt, vielleicht sollte ich mich wieder irgendwie ins Gespräch bringen." Natürlich hatte er keine Ahnung, wie er das überhaupt angehen wollte. Er hatte alles auf sich zukommen lassen, sich vorgenommen, bis zu dieser Meisterklasse zu warten, und darauf, wie das Schlusskonzert über die Bühne ging. Wenn er an diesen Auftritt dachte, dann fühlte er schon wieder dieses Kribbeln im Bauch und er wusste noch nicht genau, ob sich das gut oder schlecht anfühlte. Vielleicht beides gleichzeitig.  Er wollte danach entscheiden, was er weiterhin tun wollte. Es war gewiss an der Zeit, dass er in sein altes Leben zurückkehrte.

Das Schicksal spielt in Dur und MollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt