25. Kapitel

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In der Wohnung fand Karina die Thermoskanne blitzsauber abgewaschen neben der Küchentheke. Die Croissants waren noch da, vorsorglich in ein Papiersäckchen eingeschlagen, damit sie nicht austrockneten. Das sah nicht nach Jitka aus. Sowas tat nur Sylvie, sie hatte die Wohnung verlassen, als sei sie nie hier gewesen. Selbst das Bett war gemacht und die Decke sah glatter aus, als am ersten Tag.

Den Zettel, den Karina ihr geschrieben hatte, musste Sylvie mitgenommen haben. Im Papierkorb lag er jedenfalls nicht. Das war zumindest ein kleiner Trost. Sylvie hatte bis jetzt nicht angerufen, und auch das war nicht weiter überraschend. Karina war sich im Klaren darüber, dass sie die Sache verbockt hatte, jetzt war sie auch dran alles wieder gerade zu biegen. Doch als sie versuchte Sylvie anzurufen, hob sie nicht ab. Normalerweise meldete sie sich gleich nach dem ersten oder zweiten Klingen. Vielleicht war sie unterwegs. Zu dumm zu glauben, dass sie zu Hause saß und auf Karinas Anruf wartete.

Karina nahm sich ihre Noten her und ging den ersten Satz des Beethoven Konzerts noch einmal durch. Sie machte sich Notizen zu den Stellen, die heute gut geklappt hatten, welche sie morgen noch einmal wiederholen sollten und wo es generell noch haperte. Dann versuchte sie es noch einmal bei Sylvie. Wieder nichts. Sie widmete sich dem zweiten Satz, und ging ihre Liste der Stellen durch, von denen sie glaubte, dass sie besondere Sorgfalt im Zusammenspiel mit dem Klavier benötigten und fügte noch ein paar Anmerkungen hinzu. Hier traten Fagott und Flöte besonders hervor, die betreffenden Musikerinnen hatten ihren Part zusammen mit Jean-Luc einstudiert und es würde sich weisen, ob er bei den Holzbläserinnen nicht nur persönlich, sondern auch musikalisch Eindruck hinterlassen hatte.

Wieder rief sie Sylvie an. Diesmal hinterließ sie ihr eine Nachricht:

"Sylvie, wir müssen reden, das gestern war wirklich ziemlich daneben von mir. Ich will mich gerne bei dir entschuldigen. Bitte ruf mich zurück oder schreib mir, wann und wo wir uns treffen können. Küsschen."

Dann verstaute sie das Beethovenkonzert, holte sich ihre Cello-Noten und machte sich auf den Weg zurück auf die Uni. Sie würde sich ein wenig in den Proberaum setzen, um sich abzulenken. Sonst tigerte sie nur die ganze Zeit durch die Wohnung und wartete auf Sylvies Rückruf.

Sie hatte ihre Bach Noten bereits einige Male durchgespielt, dazwischen an einem modernen Stück gefeilt, das sie gerade einstudierte und sich dann noch einmal Bach gewidmet, als endlich Sylvies Nachricht hereinkam. Sie hatte ihr Handy extra auf die höchste Lautstärke gestellt, damit sie das Signal beim Üben nicht überhörte. Normalerweise war das Handy im Proberaum für sie tabu, aber das galt heute nicht.

Mit etwas Enttäuschung las sie, dass Sylvie es anscheinend vorzog den heutigen Nachmittag und Abend mit ihrem Bruder zu verbringen und, dass sie einander morgen sehen konnten. Zähneknirschend nahm sie das zur Kenntnis. Vermutlich hatte sie es nicht anders verdient und morgen war auch noch ein Tag. Auch wenn sie jede verbleibende Minute mit Sylvie auskosten wollte, sah sie ein, dass es an dieser Stelle vielleicht das Beste war, wenn sie einander an diesem Tag eine Pause gönnten.

Nur wenige Augenblicke darauf trudelte eine Nachricht von Jitka herein, die anscheinend ebenfalls erfahren hatte, dass ihre erhoffte Abendplanung wohl nicht aufgehen würde.

"Bin im Café gegenüber der Uni. Hol mich dort ab, aber lass dir nicht zu lange Zeit (JL lädt mich auf einen Drink ein.)"

Karina schmunzelte und tippte ihre Antwort: "Bin in der Uni. Kann jederzeit kommen, um dich zu retten."

"Vielleicht nicht sofort. Halbe Stunde. Maximal."

"Ist in Ordnung."

Sie spielte noch einmal etwas Bach, das half ihr immer bestens, ihre Gedanken zu beruhigen und sich nicht über Dinge aufzuregen, die man ohnehin nicht ändern konnte. Sylvie wollte Zeit mit ihrem Bruder verbringen und es war nicht überraschend, dass sie das ausgerechnet heute wollte. Morgen. Morgen würde sich alles klären.

Das Schicksal spielt in Dur und MollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt