71. Kapitel

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Und nun saßen sie wieder im Konzertsaal. Karina hatte eine Stunde herausschlagen können, länger würde es gewiss nicht dauern. Erik justierte die Mikrophone und nahm verschiedene Einstellungen auf seinem Laptop vor, während Jitka testweise unterschiedliche Tonlagen und Lautstärken auf dem Klavier anspielte. Karina und Sylvie saßen im Zuschauerraum, und warteten bis die beiden bereit waren, mit der Aufnahme zu beginnen.

Es war bereits der zweite Tag nach dem Konzert und für Sylvie und Erik der letzte Nachmittag in Prag. Morgen früh würde Karina die Beiden wieder zum Flughafen bringen. Es fühlte sich an, als sei der Tag an dem sie die Zwei abgeholt hatten nicht erst eine Woche her. Sie hatte mit Sylvie während dieser kurzen Zeit einiges erlebt, vieles ausdiskutiert und sie waren einander wieder näher gekommen. Näher als sie sich in Turin jemals gewesen waren.

Karina fühlte sich zuversichtlicher, als noch vor Sylvies Ankunft, als sie keine Ahnung gehabt hatte, wie das alles weitergehen würde. Ob es überhaupt etwas gab, das weitergehen konnte. Jetzt kam ihr Sylvie nicht mehr so hart und fremd vor wie am Anfang, an diesem ersten seltsamen Abend in ihrer Wohnung. Das Konzert hatte ihr gutgetan, das war schon bei der Probe vollkommen klar gewesen. Vielleicht hatte Sylvie hier etwas ausleben können, das sie sich lange Zeit versagt hatte. Für immer längere Zeiträume hatte sie diese harten Panzer fallen lassen, die sie sich vielleicht in jahrelanger Mühe aufgebaut hatte. Karina hatte nicht gewagt, sie zu fragen, wie sie über all das dachte und, ob sie sich nicht vorstellen könnte, bald wieder einmal aufzutreten. Karina hoffte inständig, dass der Blumenstrauß von diesem russischen Geschäftsmann in ihr nicht so eine Art Trotzreaktion auslösen würde. Dass sie diesen Idioten nicht als Veranlassung sehen würde, nie mehr wieder aufzutreten, um ihm nur ja keine Bestätigung zu liefern. Sowas war Sylvie jedenfalls zuzutrauen.

Karina wünschte sich, sie könnte sie hierbehalten und ihr helfen wieder die zu werden, die sie sein sollte. Sie wollte sie nicht mehr zurücklassen in ihren Alltag, der ihr ganz und gar nicht gut zu tun schien. Aber es würde nur für ein paar Wochen sein. Dann würden sie einander wieder sehen und bis dahin ließ sich vielleicht daran arbeiten, dass sie dauerhafter zusammen bleiben konnten.

„Ich habe einige Bewerbungen abgeschickt. Mein Vertrag hier läuft mit nächstem Sommer aus und ich denke es wäre Zeit für was Neues", sagte Karina schließlich zu Sylvie, die interessiert eine Augenbraue hochzog.

„Unbedingt", pflichtete ihr Sylvie bei. „Du hast dich lange genug an Jugendorchestern ausprobiert und Erfahrungen gesammelt. Du bist gut und routiniert, du musst jetzt raus zu den großen Orchestern. Du willst dir doch einen Namen machen. Und du musst wieder zu Wettbewerben, die Leute sollen von dir reden!"

„Hast du schon mal drüber nachgedacht, Karriere-Coach für Musiker zu werden?", lachte Karina.

„Hör nicht auf mich, du weißt, wie es meinem Bruder ergangen ist, nachdem er alle meine Ratschläge befolgt hat."

„Keine Angst. Ich habe mich bereits für den Dirigentenwettbewerb im nächsten Sommer bei den Salzburger Festspielen beworben. Und es gibt auch einen in Kopenhagen, denen habe ich auch schon mein Bewerbungsmaterial geschickt."

„Dann komme ich selbstverständlich, um dir zuzujubeln. Und Salzburg im Sommer klingt, finde ich, auch sehr verlockend."

„Falls ich ins Finale komme. Übrigens hat das Dänische Radiosymphonieorchester Subdirigenten- und Korrepetitorenstellen ausgeschrieben."

„Echt! Bewirb dich sofort. Das wäre genial!"

Karina atmete innerlich auf. Sylvie würde sich also tatsächlich freuen, Karina in ihrer Nähe zu haben.

„Du fändest das also in Ordnung?", fragte sie noch einmal nach. „Weißt du, ich wollte das auf jeden Fall zuerst mit dir besprechen, wenn dir das im Moment nicht passt ..."

„Wie kannst du das nur annehmen", widersprach ihr Sylvie heftig, sah ihr dann aber sehr ernst in die Augen und nahm ihre Hand. „Ehrlich. Alles wäre gleich um so vieles besser, wenn ich dich nur bei mir hätte." Diesmal war es Sylvie, die Karina zu sich zog, sie spürte die mittlerweile vertrauten harten Fingerkuppen, die leicht über ihre Wange kratzten.

„Wir werden einander also nicht wieder zwei Monate lang anschweigen?"

„Auf keinen Fall", sagte Sylvie. „Mein Bruder hat mir ungefragt Beziehungstipps gegeben. Und er meint, ich soll dir öfter sagen, dass ich dich liebe und, dass du mir wichtig bist. Und das tue ich hiermit, auf die Gefahr hin sentimental zu werden."

Danke, Erik!, dachte Karina bei sich und beschloss insgeheim, sich bei ihm zu revanchieren. „Meinetwegen kannst du so oft sentimental werden, wie du willst", sagte Karina. „Ich finde da gar nichts dabei."

Sylvie lächelte. „So oft wird das nicht vorkommen", sagte sie augenzwinkernd. „Aber ich bin wohl immer noch emotional ganz durchgeschüttelt, von dem Konzert, unserer privaten Seifenoper und der ganzen Aufregung drumherum, und immerhin ist heute unser letzter Tag zusammen." Sylvies Stirn berührte die ihre, sie spürte Sylvies Atem auf ihrer Wange und ihre Arme auf Schultern und Rücken, die sie in eine Umarmung zogen. Doch da wurden sie durch ein Räuspern gestört.

„So ihr sentimentalen Turteltäubchen", sagte Erik und benutzte genüsslich die Wortwahl, mit der Sylvie sonst immer ihn und Jitka bedachte. „Darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten?" Er saß bereits neben Jitka am Flügel und wie abgemacht begaben sich Karina und Sylvie zu dem Tisch auf dem er seinen Laptop aufgebaut hatte. Auf sein Zeichen drückte Karina den Aufnahmeknopf und sie lehnten sich gespannt lauschend zurück, während Erik und Jitka ihre gegenseitige Liebeserklärung für die Ewigkeit aufzeichneten.


So meine Lieben, mit diesen romantischen Tönen verlassen wir Prag und den 2. Akt. Am Sonntag geht es dann an einen Ort, an dem wir schon lange nicht mehr waren. Dort wird das vorweihnachteliche und später sogar weihnachtliche Intermezzo losgehen. Und bei soviel Harmonie ahnt die eine oder der andere vielleicht schon, dass das nächste Drama nicht lange auf sich warten lassen wird.

Als Soundtrack habe ich euch diesmal das dritte der Kaprálová Stücke gepostet, jetzt könnt ihr, falls ihr mal drauf Lust habt das ganze Prag-Konzert nachhören ;-) An dieser Stelle wäre es natürlich schön gewesen, Eriks wunderbares vierhändiges Klavierstück zu verwenden, das ja der eigentliche Soundtrack zu der Szene ist, aber das Stück wird ja soeben erst aufgenommen und existiert bisher nur auf Eriks Laptop, da habe ich leider keinen Zugang. Aber in der Phantasie des Einzelnen hört es sich, denke ich, ohnehin am allerschönsten an ;-)

Und an dieser Stelle wieder, ich kann es nicht oft genug sagen, danke an alle fleißigen Leser, die Kommentierer, die Sternchengeber und nicht zuletzt auch die stillen Mitleser. Ich freue mich über Jede und Jeden von euch. An dieser Stelle noch schöne Grüße von Sylvie, Karina, Erik und Jikta, die natürlich, so wie ich hoffen, dass ihr im dritten und letzten Akt dann auch noch mit dabei seid und euren Spaß dran habt.

Das Schicksal spielt in Dur und MollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt