3. Kapitel

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Erik hörte Stimmen. Sie redeten auf ihn ein und zogen an ihm vorbei. Er verstand nichts davon und konnte sich auch nicht vorstellen, was die von ihm wollten. Wenn es ihm einmal gelang irgendein Wort zu identifizieren, dann hörte sich das an wie Russisch. Meinten die überhaupt ihn? Ihm war kalt und sein ganzer Körper tat ihm weh. Warum konnten ihn die nicht einfach in Ruhe lassen. Nur fünf Minuten. Er wollte sich noch fünf Minuten ausruhen und dann musste er wirklich los. Alles wurde wieder ganz dunkel und dann hörte er noch mehr Geschrei und ihm wurde noch kälter. Fremde Hände griffen nach ihm, nach seinen Armen und Beinen und seinem Gesicht. Sie zogen ihm die Kleidung vom Leib, dabei war ihm noch nie zuvor so kalt gewesen. Er fühlte sich alleine und ausgeliefert und er hatte Angst.

Als wieder alles still wurde, war das beinah angenehm und irgendwann drangen wieder Stimmen an sein Ohr. Er konnte sie immer noch nicht verstehen, aber eine kam ihm bekannt vor. Er versuchte, die Augen zu öffnen, um zu sehen, wer da war, doch seine Lider waren so schwer, dass er das nicht schaffte. Aber irgendwann wusste er, wer das war. Sylvie. Das klang wie Sylvie. Das konnte nur Sylvie sein und sie konnte russisch reden wie ein Wasserfall. Aber was machte sie hier? Und auf einmal konnte er sie verstehen. Hatte er irgendwann Russisch gelernt? Er konnte sich nicht daran erinnern. Nein, sie sprach dänisch. Sie sprach jetzt mit ihm.

"Erik", sagte sie und sie schien sich zu freuen ihn zu sehen. "Erik, du bist wach? Schau mich an!"

Er versuchte sie anzusehen, aber es ging immer noch nicht wirklich.

"Ich will meine Sachen wieder haben", brummte er, und bemerkte wie seine Kehle brannte und die Worte wollten ihm nicht so recht über die Lippen kommen. Er spürte ihre Hand auf Seiner und auf seiner Wange und dann wurde sein Blick auch wieder klarer. Er sah Sylvies Gesicht ganz deutlich vor sich.

"Wo bin ich?", fragte er und versuchte sich umzublicken. "Was ist passiert?" Diesmal ließen die Worte sich schon etwas besser formen. "Ich muss los. Ich muss das Taxi anrufen ..."

"Schhh", machte Sylvie. "Du musst jetzt nirgends hin. Du bist im Krankenhaus. Du hast eine sehr schwere Grippe und so hohes Fieber, dass du zwei Tage lang bewusstlos warst."

Nein, das durfte jetzt nicht wahr sein. Er konnte sich nicht mehr erinnern, was passiert war.

"Der Wettbewerb ...", stammelte er.

"Den hast du verpasst. Aber den vergisst du jetzt schön."

"Wie denn? Beim nächsten Mal bin ich zu alt, Das war die letzte Chance." Alles war umsonst gewesen.

"Lass den blöden Wettbewerb. Es gibt noch andere. Jetzt wirst du einmal richtig gesund. Sobald du einigermaßen aufstehen kannst, fliegen wir heim nach Kopenhagen, gut?"

Er nickte und konnte immer noch nicht fassen, dass alles vorbei war.

"Weiß Mama davon?"

"Ich habe ihr kein Wort gesagt. Sie soll sich keine Sorgen machen, wenn wir so weit weg sind von daheim. Und ich habe mich darauf verlassen, dass du mir hier nicht abnibbelst. Das hätt' ich dir nie verziehen, Bruderherz."

Wer würde hier denn von abnibbeln sprechen, er fühlte sich zwar wie der dreimal verdaute Tod, aber so schlimm konnte es ja doch nicht sein.

"Naja, so einen Männerschnupfen kann man auch ganz knapp überleben", sagte er und versuchte zu lächeln. Er wollte lieber nicht wissen, wie es wirklich um ihn gestanden hatte. "Was machst du hier überhaupt. Vermissen die dich nicht bei deiner Zeitung?"

"Ich war zufällig in der Gegend und da hab ich mir gedacht ich schau mir mein altes Konservatorium noch einmal an und höre dir ein wenig zu. Aber da ist ja nichts draus geworden." Sie war gekommen, um ihm zuzuhören. Mit einem Mal war er so gerührt und traurig und enttäuscht zugleich, dass ihm die Tränen kamen, sie hörten nicht auf, ihm übers Gesicht zu laufen. Und Sylvie hielt ihn einfach nur fest, während er hemmungslos in ihre Schulter hinein schluchzte.


Das Schicksal spielt in Dur und MollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt