Die Zeit verging schneller, als Erik befürchtet hatte. Zwei Tage nach der Operation wurde er auf die normale Station verlegt. Er schlief viel und wenn er aufwachte, wartete meist schon Besuch auf ihn. Seine Mutter, Jitka, Sylvie und Karina wechselten einander ab. Jitka war am häufigsten hier, auch wenn sie ab und zu die Anderen auf Erkundungen in die Stadt begleitete. Er hatte darauf bestanden, dass sie nicht die ganze Zeit neben seinem Bett sitzen sollte. Wenn sie schon einmal hier war, sollte sie sich auch ein wenig in Kopenhagen umsehen.
Während der ersten Tage war er ohnehin kein unterhaltsamer Zeitgenosse, schließlich schlief er die meiste Zeit nur. Dazwischen wurde er immer wieder dazu angehalten aufzustehen, das Bett zu verlassen und zu versuchen herumzugehen. Er lernte, wie er sich am besten aufsetzte und wie er aus dem Bett kam, ohne sich dabei weh zu tun oder die Operationswunde unnötig zu beschädigen.
Der Plan war, dass er jeden Tag ein wenig üben sollte. Solange, bis es ihm einigermaßen gelang, auf dem Gang hin und her zu spazieren, mit Hilfe der Physiotherapeutin ein paar Stufen hinauf und hinunter zu steigen und ein paar andere Kunststücke zu vollführen, die für ein Leben außerhalb des Krankenhauses nicht unerheblich waren: Waschen, Anziehen, unfallfrei aus dem Bett kommen, ohne dabei großartig auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Wenn er das alles konnte, durfte er nach Hause. Das alles erschien ihm am Anfang noch wie ein ungeheuerliches Vorhaben, aber die Augenblicke, in denen es aussah, als wäre das in absehbarer Zeit irgendwie machbar, wurden mehr.
Die meisten Leute verbrachten nach so einer Operation eine Woche bis zehn Tage im Krankenhaus. Das kam Erik jetzt gar nicht mehr so lange vor. Einerseits freute er sich schon darauf, endlich hier raus zu dürfen, andrerseits machte ihn der Gedanke daran manchmal etwas nervös. Immerhin waren die Chancen, dass ihm noch irgendwas Schlimmes passierte, solange er nur hier im Krankenhaus war, viel geringer. Und selbst wenn, so waren hier Ärzte zur Hand, die wussten, was zu tun war.
Der Gedanke zuhause von Sylvie bewacht zu werden behagte ihm nicht besonders. Er hoffte, dass sie bis dahin diese ständige Alarmbereitschaft endlich aufgab. Alle sagten, dass er auf dem Weg der Besserung war. Er selbst war meistens auch dieser Meinung. Eines Tages würde sich das hoffentlich bis zu Sylvie durchsprechen.
Seit er nicht mehr von der Geräuschkulisse der Intensivstation umgeben war, fiel ihm etwas anderes auf. Etwas, das ihm die Erleichterung darüber, dass bisher alles im Grunde gut gelaufen war, beinahe verdarb. Es war dieses Klicken und Ticken. Er hatte es schon früher immer wieder bemerkt. Doch jetzt wo alles um ihn viel ruhiger war und die Wirkungen der Narkosemittel einigermaßen abgeklungen, merkte er, wo das herkam. Das war nämlich in ihm drin.
„Das ist Ihre neue Herzklappe", erklärte ihm Dr. Nørregard, als er ihn fragte, ob das denn normal sei.
„Aber das hört doch irgendwann auf?", wollte er wissen. Bestimmt musste sich das nur irgendwie einspielen. Doch das verneinte der Kardiologe und Erik spürte ein Gefühl der Verzweiflung in sich hochsteigen. Er würde doch nicht für den Rest seines Lebens immer dieses Ticken hören?
„Das kann nicht sein. Warum hat mir das niemand gesagt?", stammelte er. „Wenn ich das gewusst hätte ..."
„Was hätten sie dann getan, Herr Jarnvig? Sie hätten vermutlich eine falsche Entscheidung getroffen. Glauben Sie mir, viele reagieren wie sie. Aber sie werden sehen, sie gewöhnen sich schneller daran, als sie denken."
Natürlich reagierten auch andere so. Wie sollten sie sonst reagieren? Aber was genau hatte er da jetzt davon?
„Ich bin doch Musiker, ich brauche es manchmal still ... Wie soll ich Musik machen, wenn das in mir so tickt?"
„Sie sind nicht der erste Musiker, den ich operiert habe, und die Anderen haben nachher alle wieder problemlos musiziert. Sie werden merken, man kann sich arrangieren." Erik konnte sich das wirklich nicht vorstellen, er wollte es auch gar nicht.
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Das Schicksal spielt in Dur und Moll
Fiksi UmumManchmal kommt alles anders als man denkt. Eine unerwartete Begegnung. Ein Blinzeln. Ein Moment des Glücks. Und plötzlich ist nichts mehr wie es war. Du sammelst die Scherben von etwas ein, von dem du dachtest es sei ganz und heil. Warum hast du die...