118. Kapitel - Aufbruchsstimmung

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Jitka hatte sich gerade von einer Klavierschülerin verabschiedet, die sie im Wohnzimmer unterrichtet hatte und nun sortierte sie die verwendeten Noten zurück in den Schrank. Sie nutzte die Gelegenheit gleich dazu, ihr eigenes Fach aufzuräumen. Jedes Familienmitglied hatte einen Bereich im Notenschrank und ihrer war mittlerweile ziemlich vollgestopft. Sie bemühte sich, laufend Ordnung zu halten, doch mit der Zeit sammelte sich eben alles Mögliche an.


Momentan war sie ziemlich in Fahrt, wenn es darum ging aufzuräumen und auszusortieren und sich von Dingen zu verabschieden, die sie nicht mehr brauchte. Sie hatte den Inhalt ihres Kleiderschranks entschlackt und Sachen, die sie nicht mehr trug im Internet verkauft. Die Option Kleider an Freundinnen abzugeben entfiel bei ihr, da kaum jemand ihre Größe hatte. Außer vielleicht ihrer Mutter, und der hatte sie auch immer wieder das eine oder andere Stück abgetreten – oder umgekehrt. Meist fanden sich auch Käufer. Immerhin hatte sie einiges an sehr schicken und extravaganten Kleidern, die sie sich für Auftritte zugelegt hatte und es war eben auch der eine oder andere Fehlkauf dabei gewesen. Beim Einkaufen ging schon einmal der Übermut mit ihr durch und dann hingen die glitzernden Dinger kaum getragen im Schrank.

Ihr war nicht entgangen, dass ihre Mutter diese Aufräumwut mit etwas betrübtem Gesicht beobachtete. Es war der Gedanke daran, dass sie in absehbarer Zeit nicht mehr hier wohnen würde, der sie anspornte auszumustern. Aber sie wussten schließlich beide, dass sie nicht ewig bei ihren Eltern wohnen würde. Dass es sie in die weite Welt hinaus ziehen würde. Vielleicht war das immer ein Thema gewesen, irgendwo im Hinterkopf. Dass sie auch einmal ein Abenteuer erleben wollte, irgendwo anders als zu Hause. So wie Karina und viele andere, die sie kannte. Seit sie Erik in ihrem Leben hatte, war dieser Gedanke eben viel konkreter geworden. Auch wenn sie vermutete, dass es bis dahin noch etwas dauern konnte. Erik ging es immer besser, aber man musste eben abwarten, wie sich nun alles entwickelte.

Sie legte doppelt und dreifach kopierte Notenblätter zur Seite, sowie einige der Notenbücher und Hefte, die sie schon ewig nicht mehr in der Hand gehabt hatte. Bald war sie von einer Anzahl an Papier- und Bücherstapeln umgeben. Während des Sortierens schrieb sie immer wieder Nachrichten mit Karina, um sich für den Abend mit ihr zu verabreden.

Sie stellte einen Stapel an Blättern, Ordnern und Heften auf dem Boden ab und setzte sich mit überkreuzten Beinen davor um alles bequem durchschmökern zu können, als sie die Türklingel hörte. Gefolgt von Schritten, die draußen an der Wohnzimmertür vorüber eilten. Ihre Mutter war wohl gegangen, um zu öffnen. Sie hoffte nur, dass das jetzt kein Schüler war, den sie übersehen hatte, jetzt wo sie die Noten quer über den Teppich verstreut hatte. Doch sie hörte nur undeutliches Gemurmel, ihre Mutter schien sich eine Weile lang leise mit jemandem zu unterhalten und Jitka vermutete deshalb, dass der Besuch ohnehin ihre Mutter anging und so fuhr sie fort, alles auf die unterschiedlichen Stapel zu verteilen.

Es dauerte jedoch nicht lange, da klopfte es an der Wohnzimmertür. Seltsam. Das machte ihre Mutter sonst nicht. Sie kam einfach ins Zimmer, wenn sie was wollte, also warum dieses Getue?

„Jiti", hörte sie die Stimme ihrer Mutter, nur wenige Schritte hinter ihrem Rücken. „Du hast Besuch."

Jitka blickte auf und ihr fiel gleich der Ausdruck im Gesicht ihrer Mutter auf, den sie nicht richtig deuten konnte. Und dann sah sie, wer hinter ihr ins Zimmer gekommen war.

„Sylvie!", rief sie erschrocken. Und sofort darauf: „Ist was mit Erik?" Es war der erste Gedanke, der ihr bei Sylvies Anblick durch den Kopf schoss. Was konnte es sonst bedeuten, dass ihre Mutter so seltsam dreinschaute, und dass ausgerechnet Sylvie auf einmal hier auftauchte.

Doch Sylvie zuckte nur in ihrer gewohnt ungerührten Art mit den Schultern. „Erik geht es gut, soweit ich weiß", sagte sie und Jitka atmete erleichtert aus. „Du musst dir überhaupt keine Sorgen machen", fügte Sylvie dann noch hinzu. War nicht sie diejenige, die immer darauf hingewiesen hatte, dass es absolut angebracht war, sich Sorgen zu machen?

Das Schicksal spielt in Dur und MollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt