90. Kapitel - Von Spionen und Meerjungfrauen

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„Willst du jetzt zur Meerjungfrau?", fragte Sylvie, als sie mit Karina in der Bahn Richtung Innenstadt saß.

„Ich dachte, es wäre albern die Meerjungfrau zu besuchen?"

„Das habe ich nicht gesagt. Ich wollte lediglich zu bedenken geben, dass es ein Umweg ist und mit den vielen Menschen dort wohl kaum ein Vergnügen."

„Und jetzt hast deine Meinung geändert?"

„Nein, aber umdisponiert. Wenn wir ein paar Haltestellen früher aussteigen, dann können wir auf dem Weg dorthin am Kastell vorbei spazieren, und das wiederum lohnt sich." Immerhin handelte es sich um die am besten erhaltenste Befestigungsanlage Nordeuropas. Sie galt einerseits als Kulturdenkmal, und wurde immer noch genutzt. Hier gab es Kasernen, außerdem waren der Heeresnachrichtendienst und verschiedene andere militärische Institutionen hier untergebracht. Gleichzeitig waren viele Bereiche frei zugänglich und so traf man hier auf Spaziergänger, Jogger, Touristen und Leute, die ihre Kinder oder Hunde ausführten.

Als sie von der Bahnstation kamen, nahmen sie einen der Fußwege, die über die begrünten, jetzt von Schnee eher grau-weiß gefleckten Wälle führten. Von dieser etwas erhöhten Position konnte man die sternförmige Anlage mit ihren roten Gebäuden gut überblicken. Sie spazierten an einer Windmühle vorbei in Richtung Hafen. Währenddessen setzte Sylvie Karina alles Wissenswerte zur dänischen Landesverteidigung auseinander, was Karina allerdings gar nicht so brennend zu interessieren schien. Allerdings schien sie mitzudenken.

„Und wie war das? Der dänische Verteidigungsminister ist der mit deinem russischen Spezialfreund?", fragte sie schließlich dazwischen. Solche Räubergeschichten schienen sie mehr zu interessieren.

„Ein ehemaliger Verteidigungsminister", korrigierte Sylvie. „Heutzutage nennt er sich Geschäftsmann."

„Der jetzt mit dänischen Armeegeheimnissen in Russland Geschäfte macht?", spekulierte Karina. „Aber was kann dein russischer Geschäftsmann für Interesse an dänischen Armeegeheimnissen haben?", fragte sie weiter.

„Also erstens einmal ist er weder 'mein' Geschäftsmann, Spezialfreund oder sonst irgendwass." Karina schien das alles ja äußerst faszinierend zu finden, aber Sylvie schäumte immer noch vor Wut, wenn sie daran dachte, dass dieser Mensch sich einzubilden schien, er müsste nur mit den Fingern schnippen und sie würde ihre gesamte Karriere auf den Kopf stellen.

„Zweitens sind ihm die dänischen Militärgeheimnisse per se vermutlich herzlich egal. Er ist aber gut vernetzt. Und es ist kein Geheimnis, dass die letzten Kriegseinsätze an denen Dänemark beteiligt war, darauf ausgelegt waren gewissen anderen Kriegsteilnehmern der sogenannten westlichen Welt entgegenzukommen. Natürlich würden Details, die ein ehemaliger Verteidigungsminister beisteuern könnte, kaum ins Gewicht fallen ..."

„Aber sie könnten für Geheimdienste trotzdem interessant sein."

„Wie auch immer, hier wird es schon sehr spekulativ und damit gebe ich mich nicht ab. Hätte ich mehr Beweise oder Puzzlesteinchen, dann würde ich im Moment weniger dumm aussehen. Wir werden es vielleicht nie erfahren."

„Anscheinend hattest du deine Nase wirklich dicht dran, wenn er dir solche Aufmerksamkeit schenkt."

Zum Glück zog nun der Gefion-Springburnnen Karinas Aufmerksamkeit auf sich und hielt sie davon ab, sich in tiefer in diese Spionagegeschichen zu verrennen. Um diese Jahreszeit floss zwar kein Wasser, was den Brunnen noch eindrucksvoller wirken hätte lassen, aber selbst jetzt im halb schneebedeckten Zustand, fand Sylvie, dass er um ein vielfaches mehr hermachte, als jede Meerjungfrau.

Sie lieferte nun einen Exkurs in die nordische Mythologie, der Karina mehr zu interessieren schien, als faktenbasierte Eckdaten zur dänischen Landesverteidigung. Sylvie erklärte ihr Darstellung der Göttin Gefion, die an der höchsten Stelle des Brunnens, mit ihren vier zu Ochsen verwandelten Söhnen das Land pflügte. Auf diese Weise sei Seeland, die größte der dänischen Inseln entstanden, auf der auch Kopenhagen lag. Den so entstandenen Aushub nannte man später den Mälarsee, dort lag heute Stockholm.

Das Schicksal spielt in Dur und MollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt