46. Kapitel

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Sylvie blinzelte und räkelte sich unter den glatten, raschelnden Bettlaken. Sie mochte das Gefühl von frischem, gebügeltem Bettzeug auf der Haut. Es roch ein wenig nach Waschmittel, ein wenig nach Karina und war mit einem wilden Muster aus Achtelnoten und Violinschlüsseln bedruckt. Sylvie rollte sich ein wenig zur Seite, um Karina zu betrachten, die dicht neben ihr schlief. Der tagsüber mühelos gestylt aussehende Kurzhaarschnitt, der ihre rötlichen Wellen mit einer etwas längeren, schwungvollen Stirnpartie betonte, stand ihr nun in allen Richtungen vom Kopf ab. Bei aller Ordnungsliebe fand Sylvie diesen zerzausten Zustand ganz entzückend, zumindest für den Moment. Sie war sehr versucht, ihr einfach mit der Hand durch die weichen Locken zu wuscheln. Sie wollte sie aber nicht wecken, sondern sie noch ein Weilchen einfach ansehen, wie sie so friedlich schlafend dalag. Manchmal zuckten ihre Mundwinkel, so als ob sie gerade etwas träumte. Seltsam, wie sie sich selbst auch gleich so viel friedlicher fühlte. Und im Morgenlicht entdeckte sie sogar ein paar Sommersprossen auf Karinas Nase, die ihr vorher nie aufgefallen waren.

Nach einer Weile gab Karina ein leises Brummen von sich und zog die Nase kraus. Sie schien aufzuwachen. Sylvie rückte ein wenig näher und streichelte ihr leicht mit den Fingern ihrer linken, etwas weniger kratzigen Bogenhand über die Stirn. Karina blinzelte, blickte sie dann zufrieden lächelnd an und für einen Moment näherten sich ihre Lippen einander.

"Gut geschlafen?", fragte sie, während sie sich etwas enger an Karinas Schulter schmiegte.

"Hmmm", kam die zustimmende Antwort. "Und du?"

"Hmmm." Eine Weile lang lagen sie einfach nur mit geschlossenen Augen da und genossen den ruhigen Moment. Irgendwann spürte Sylvie, dass Karina sich wieder bewegte. Sie öffnete die Augen und sah, dass die andere nach ihrem Telefon griff, das auf dem Nachtkästchen lag, jedoch ohne ihr Kinn von Sylvies Kopf zu nehmen.

"Zehn Minuten noch bis der Wecker läutet."

"Hmmm", machte Sylvie noch einmal und drückte sich noch etwas enger an Karina.

***

Als Sylvie aus der Dusche kam, hatte Karina in der Zwischenzeit in der Küche liebevoll den Tisch für das Frühstück gedeckt. Es gab drei Sorten Marmelade, Käse, seltsame leicht gebogene Brötchen die Karina Rohliky nannte und dann noch runde Kuchen aus Hefeteig, die mit schwarzem Zeug gefüllt waren. Die Kuchen hießen Kolač und das schwarze Zeug war Powidl, laut Karinas Beschreibung stunden-, beziehungsweise tagelang zu Tode gekochtes, mit Alkohol, vorzugsweise Slibowitz, versetztes Pflaumenmus, das trotz allem recht gut schmeckte. Dazu gab es noch aufgeschnittene Gurken, Tomaten und Paprika und etwas Obst, vermutlich als Alibivitamine.

"Du bist dir sicher, dass du nur mich und nicht dein komplettes Orchester zum Frühstück einladen wolltest?", fragte Sylvie.

"Was übrigbleibt, packen wir einfach für Jitka und Erik ein, die beiden haben bestimmt nicht bis zum Frühstück vorausgedacht", erklärte Karina, womit sie bestimmt Recht hatte. Und sie mussten vor der Orchesterprobe ohnehin noch einmal in die Wohnung zurück, um die Violine zu holen.

"Du trinkst Kaffee, oder?", erkundigte sich Karina und Sylvie nickte.

"Ja. Schwarz, bitte." Sylvie fiel jetzt erst auf, dass das ihr erstes gemeinsames Frühstück war. Die einzige Gelegenheit dazu, die sich in Turin geboten hatte, hatten sie mit einem dummen Streit, der nicht einmal einer gewesen war, vergeudet. Aber wie hätte sie ahnen sollen, dass man sie gleich darauf nach Russland abkommandieren würde. Hätte sie gewusst, was darauf folgen sollte, ... Nun ja, zumindest würde man sie jetzt nicht mehr plötzlich nach Russland schicken. So hatte alles Vor- und Nachteile.

"Du schaust so finster drein", sagte Karina, als sie ihr ihren Kaffee hinstellte und sich neben sie setzte.

"Hm", machte Sylvie. Sie roch und nippte an ihrem Kaffee, Karina schien eine absolut anständige Espressomaschine zu besitzen. "Weißt du, ich habe nur ein wenig bedauert, dass wir das nicht schon früher hatten, gemeinsam aufwachen und frühstücken. Ich hätte mich einfach weigern sollen nach Irkutsk zu fliegen."

Das Schicksal spielt in Dur und MollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt