88. Kapitel - Kopenhagen für Touristen

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Es war absolut gegen Karinas Gewohnheit, im Urlaub derart früh aufzustehen. Es war gegen ihre Gewohnheit überhaupt so früh aufzustehen – zumindest, wenn es sich vermeiden ließ. Was natürlich nicht immer der Fall war. Ihr Tag zog sich meist bis spät in den Abend hinein und begann selten zur Unzeit. Doch hier schien es anders zu laufen. Als sie zusammen beim Frühstück saßen, machten Sylvie, Erik und Magrethe alle drei einen recht munteren Eindruck, während Jitka, so wie sie selbst noch sehr verschlafen aus der Wäsche blickte.

Sie trank einen Schluck Kaffee und nahm sich etwas Käse und Marmelade auf ihr Brötchen.

„Ich hätte schwören können, ich hätte mitten in der Nacht die Goldberg-Variationen aus eurem Zimmer gehört", merkte sie dann in Jitkas und Eriks Richtung an. „Oder zumindest etwas das sehr danach klang. Hast du das nicht auch gehört, Sylvie?"

Sylvie zuckte mit den Schultern. „Ich habe nichts gehört. Vermutlich habe ich geschlafen, wie ein Murmeltier. Aber nächtliche Goldberg-Variationen gibt's hier öfter. Sehr frei nach Bach, wohlbemerkt", erklärte sie.

„Nächstes Mal stellt das Klavier gerne etwas lauter, dann haben Sylvie und ich auch was davon", schlug Karina vor. Sie hätte bestimmt nichts dagegen gehabt deutlicher mitzuhören.

„Kommt nicht in Frage", protestierte Jitka. „Das hat Erik nur für mich gespielt."

„Heute Nacht können wir uns das ja überlegen", sagte Erik daraufhin lächelnd. Doch Jitka machte ein Gesicht, als wollte sie sein nächtliches Klavierspiel alleine für sich beanspruchen, was Karina äußerst geizig von ihr fand.

Doch im Moment fand Erik es wichtiger, sie in die Geheimnisse des dänischen Frühstücks einzuweisen. Woanders auf der Welt war es vielleicht üblich, sich zur Vervollkommnung des ungesunden Frühstücks gezuckerte Haselnusscreme aufs Brot zu schmieren. Hier stand eine Schachtel mit dünnen Schokoladeplättchen von Größe und Format kleiner Spielkarten auf dem Tisch. Man strich sich zuerst etwas Butter auf das Brot und legte dann ein solches Plättchen drauf, in dunkler oder in Milchschokolade. Pålægschokolade, wurde das genannt. Belagschokolade.

„Mmm", machte Karina. „Daran könnte ich mich gewöhnen. Finde ich besser als Haselnusscreme."

„Ich auch", sagte Sylvie. „Aber nicht, dass du glaubst, wir frühstücken sowas jeden Tag. Erik war der Meinung, wenn schon mal Besuch aus dem Ausland kommt, müssen diesem auch solche Unarten beigebracht werden."

„Bin ich sehr dafür", sagte Karina und kaute nachdenklich ihr Brötchen. „Die dunkle Schokolade ist am Besten. In Kombination mit dieser Kirschenmarmelade hier müsste das noch besser sein ..."

„Tu was du nicht lassen kannst", erwiderte Sylvie.

„Was sind die Pläne für heute?", fragte Magrete schließlich. Sie hatte wohl auch etwas Zeit gebraucht um richtig wach zu werden und sich ins Gespräch einzubringen.

„In die Stadt", sagte Sylvie. „Karina war noch nie in Kopenhagen, da braucht sie einen gründlichen Überblick."

Aus den Augenwinkeln sah Karina, dass Erik und Jitka einander vielsagende Blicke zuwarfen. Anscheinend waren sie froh, dass ihnen Sylvie keinen „gründlichen Überblick" angedeihen lassen würde.

„Du musst ihr die kleine Meerjungfrau zeigen", sagte Magrethe.

„Mal sehen, ob wir so weit kommen, aber die kleine Meerjungfrau ist nur was für Touristen", winkte Sylvie ab.

„Aber ich bin doch Touristin", protestierte Karina. „Und ich will unbedingt ein Selfie mit dir und der kleinen Meerjungfrau." Die anderen lachten und Sylvie rollte mit den Augen.

Das Schicksal spielt in Dur und MollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt