85. Kapitel: Kissenschlacht und Geigenarm

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„Weißt du, Sylvie", bemerkte Karina, während sie sich an diesem Abend zum Schlafengehen fertig machten. „Ich hatte echt Angst, du würdest mir ein Bügeleisen schenken."

„Sehe ich aus, als käme ich auf solch abstruse Ideen?" Sylvie gab sich Mühe ahnungslos dreinzuschauen.

„Du hast mir's angedroht", warf Karina ihr vor und schoss mit einem Sofakissen nach ihr. Sylvie fing es mit ihrer rechten Hand ab.

„Und du hast mir gedroht, wenn ich dir ein Bügeleisen schenke, sind wir geschiedene Leute. Oder sowas in die Richtung." Sylvie schoss mit dem Kissen scharf zurück.

„Und das hättest du nicht riskieren wollen?"

„Hätte ich nie gewagt!"

Sie befanden sich im hinteren Eckzimmer. Sylvie schlief dort meistens, wenn sie hier übernachtete. Doch vor Karinas Ankunft hatte sie noch ein wenig aufgeräumt. Ihre Mutter pflegte hier nämlich die Bügelwäsche zu lagern, sowie Kleidungsstücke an denen irgendwo ein Knopf, oder sonst eine Kleinigkeit fehlte und ausgebessert werden musste. Außerdem alles, was sie sonst irgendwie aus dem Weg haben wollte. So hatte Sylvie gebügelt, Knöpfe angenäht und die entsprechenden Kleidungsstücke wieder in die Schränke der dazugehörigen Personen gehängt, bzw. zur Altkleidersammlung gebracht, wenn die Eigentümer der Meinung waren, sie zögen das ohnehin nicht mehr an. Oder, wenn sie mittlerweile herausgewachsen waren, was bei den meisten Kleidungsstücken der Kinder der Fall war. Die Kindersachen kamen in eine eigene Tasche, da drei Häuser weiter entsprechend kleinere Abnehmer dafür wohnten.

Karina räumte in ihrem Koffer herum und hielt noch einmal die Bluse hoch, die Sylvie ihr geschenkt hatte, bevor sie sie sorgfältig auf ihre anderen Sachen legte. Dunkelgrün und mit Spitzeneinsätzen. Genau Karinas Stil, wie Sylvie fand.

„Wir müssen irgendwo hingehen, wo ich die Ausführen kann. In ein Konzert oder in die Oper, oder in eine schicke Bar."

„Das machen wir, um dein erfolgreich absolviertes Vorspielen zu feiern. Dann kann ich deine Ohrringe auch gleich verwenden." Karina schien eine Vorliebe dafür zu haben, Sylvie mit großen Ohrringen zu beschenken. Die brächten ihren Hals so schön zur Geltung. Sie wäre selbst nie auf den Gedanken gekommen, ihren Hals zur Geltung bringen zu müssen, aber Karina schien der Meinung zu sein, dass sich das lohnte.

„Übrigens", sagte sie und nahm ein sorgfältig gebügeltes und zusammengelegtes Kleidungsstück vom Tisch. „Die kannst du wieder haben. Ich hab sie dir leider entwenden müssen, um zu sehen, ob die Größe passt."

„Was?", staunte Karina. „Die war bei dir? Da kann ich lange suchen." Sie faltete die Bluse auseinander. „So schön war die übrigens noch nie gebügelt."

Sylvie räusperte sich. „Um noch einmal auf das Thema Bügeleisen zurückzukommen ..."

„Hör bloß auf damit. Du hast also schon in Prag gewusst, dass du mir eine Bluse schenken willst, und hast deswegen eine von mir mitgenommen?"

„Ja, was ist so seltsam daran?", antwortete Sylvie schulterzuckend. Natürlich gehörte es sich nicht, die Kleidungsstücke anderer Leute einfach mitgehen zu lassen. Aber Karina hatte die Bluse ja wieder zurückbekommen. Und das war besser, als ihr etwas zu kaufen, das ihr nicht passte, und sich dann mit dem Umtausch herumärgern zu müssen, während sie die kurze Zeit, die Karina hier in Kopenhagen verbrachte, anders besser nutzen konnten.

„Ich hatte sie schon zuvor in einem Schaufenster gesehen und dachte, sie müsste dir perfekt stehen. Deswegen."


"Du hättest wegen der Größe einfach aufs Etikett schauen können", bemerkte Karina spitzfindig.

"Das hast du abgeschnitten. Außerdem passt dir diese Bluse perfekt und der Schnitt ist so ähnlich." Es hatte Sylvie auch gefallen, dass die Bluse nach Karina roch, aber das war natürlich nicht der Grund gewesen. Mittlerweile hatte sie sie außerdem gewaschen.

„Oh Sylvie, dich gibt's auch nur einmal", sagte Karina in amüsiertem, aber durchaus anerkennendem Tonfall und fiel ihr immer noch mit dem Sofakissen in der Hand um den Hals.

„Das will ich hoffen", antwortete Sylvie.

„Absolut. Noch so eine Sylvie wäre unerträglich."

„Finde ich allerdings auch."

„Aber eigentlich krieg ich nicht genug von dir!"

„Das sagst du nur, weil du mich noch nie länger als zwei Wochen an der Backe hattest", erwiderte sie und setzte sich neben Karina auf das Bett.

„Ich finde das jammerschade."

„Hoffen wir, dass das mit deinem Vorspielen beim Rundfunkorchester was wird. Dann werde ich dich so bald nicht mehr los." Sylvie legte einen Arm um Karinas Schulter und dann ließen sie sich beide rücklings auf das Bett fallen.

„Ja, das hoffe ich so sehr", seufzte Karina, sie nahm Sylvies Hand und begann wieder mit ihren Fingern herumzuspielen, dabei drehte sie ihren Arm in einen unguten Winkel, nichts abnormales, aber im Moment war das ... Sylvie biss die Zähne zusammen und wollte ihre Hand beiläufig wegziehen, doch da hatte Karina ihre Reaktion schon bemerkt. Sie drehte sich zu ihr und strich ihr leicht über den Handrücken.

„Was ist mit deinem Arm, ich habe schon vorhin bemerkt, dass du ihn irgendwie schonst."

„Gar nichts, ich bin das viele Geigenspielen eben nicht mehr gewöhnt. Der Vivaldi in der Marmorkirche ... ich bin keine Zwanzig mehr und außerdem ein klein wenig aus dem Training." Karina runzelte skeptisch die Stirn.

„Der Vivaldi ist mindestens drei Wochen her."

„Es ist auch nicht dramatisch. Ich habe diesen Arm immer schon ein wenig gespürt, fällt mir gar nicht mehr auf."

„Auch als du vorhin zusammen mit Erik gespielt hast? Du solltest dir das anschauen lassen."

„Ja, mach ich. Können wir jetzt bitte damit aufhören", sie richtete ihren Oberkörper ebenfalls leicht auf. „Sonst muss ich dich leider wieder mit diesem hübschen Sofakissen hier abschießen." Sie nahm das Kissen demonstrativ in die linke Hand, auch wenn es tatsächlich etwas weh tat. Sie ärgerte sich darüber, dass Karina es angesprochen hatte. Vor allem darüber, dass sie nicht verhindern hatte können, dass sie es bemerkte. Bis dahin hatte sich das herrlich ignorieren lassen. Andrerseits hatte sie ohnehin in nächster Zeit kein Geigenkonzert mehr. Das waren alles absolute Ausnahmen gewesen und dabei würde es bleiben.

Also wen kümmerte es, ob ihr Arm ein wenig schmerzte oder nicht. Ihr selbst war es absolut klar gewesen. Wenn sie sich für die Konzerte in Prag oder in der Marmorkirche den Arm ruiniert haben sollte, dann hatte sie definitiv ein Problem weniger und eine Entscheidung weniger zu fällen. Das konnte ihr doch nur recht sein. Und sie war absolut nicht gewillt Karina oder Erik, die es gewiss nur gut meinten, in ihren Entscheidungsprozess mit einzubeziehen. Das war verdammt noch einmal ihre Sache.

Das Schicksal spielt in Dur und MollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt