Karina war immer fasziniert, wenn Sylvie ihre Violine aus dem Koffer nahm. Wie konnte es denn anders sein, als dass ihr Musikinstrument ein völlig Einzigartiges war. Bestimmt keine Geige, wie sie jeder kaufen konnte. Als sie Sylvie zum ersten Mal beim Stimmen zugehört hatte, war ihr das sofort klar geworden. Ihre Töne klangen so klar und lebhaft wie ein Gebirgsbach, selbst die leisesten Töne trugen fantastisch und man hörte sie bis in den hintersten Winkel des Saals.
„Ich habe damals nur für dieses Instrument beim Violinwettbewerb in Cremona mitgemacht. Er wurde parallel zum Wettbewerb für Geigenbauer abgehalten und der erste Preis war eine persönliche Spezialanfertigung." Natürlich war es Sylvie gewesen, die diese Geige aus Stradivaris Heimatstadt gewonnen hatte. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann gelang ihr das auch. Karina bewunderte das immer wieder. Es war eine Sache sich etwas vorzunehmen, das taten schließlich viele. Aber Sylvie schien so vieles geglückt zu sein, einzig durch ihre eiserne Entschlossenheit. Natürlich war sie auch unglaublich talentiert, aber das waren viele, besonders wenn man begann sich mit den Besten zu messen. Das wusste auch Karina nur zu gut.
„Sie wurde für mich persönlich angefertigt und ich musste ganz schön lange darauf warten, aber es hat sich gelohnt. So ein Instrument ist ein großes Glück. Selbst hätte ich mir das nie leisten können, alleine die Versicherung ist teuer genug."
"Gut, dass du nie auf die Idee gekommen bist, sie zu verkaufen. Nachdem du aufgehört hast ..."
„Ehrlich gesagt habe ich darüber nachgedacht. Zumindest daran, sie zu verleihen, an jemanden der sie besser gebrauchen kann, als ich. Aber das habe ich immer vor mir her geschoben und mich bis jetzt nicht dazu durchringen können." Sie sah die Violine lächelnd an, beinahe liebevoll und in Karina keimte wieder die Hoffnung auf, dass Sylvie nur auf den Moment gewartet hatte, die Geige aus ihrem Dornröschenschlaf zu holen und die Welt daran teilhaben zu lassen.
"Erzähl mir nicht, du hättest am Ende gar eine persönliche Beziehung zu ihr entwickelt. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut", sagte Karina neckend und grinste dabei. Alle Musiker entwickelten eine ganz besondere Beziehung zu ihrem Instrument. Für Karina war es das Natürlichste auf der Welt. Nicht einmal Sylvie konnte das abstreiten. Auch wenn sie immer stolz darauf zu sein schien, dass ihr Sentimentalitäten jeder Art fremd waren.
"Ich habe ihr zumindest keinen Namen gegeben", sagte sie mit einem schiefen Lächeln. Für Karina war das Zugeständnis genug. Abgesehen davon, dass sie ihre Violine als unbeseeltes Ding bezeichnete, schien sie ihr mehr Aufmerksamkeit und Zuneigung entgegenzubringen, als den meisten Menschen.
"Mein Cello heißt Sophie", verriet Karina. Sylvie hob daraufhin neugierig eine Augenbraue. "Sophie?", fragte sie nach und Karina nickte, innerlich triumphierend. Sie hatte sich schon auf ein missbilligendes Schnauben gewappnet und darauf, dass Sylvie es überhaupt nicht zu schätzen wusste, dass sie ihr das anvertraut hatte. Der Name ihres Cellos war nicht etwas, das sie jedem Dahergelaufenen erzählte. Sie war äußerst abergläubisch, was das betraf.
„Wer ist Sophie?", fragte Sylvie neugierig.
"Eine alte und langweilige Geschichte", sagte Karina leichthin. "Wenn es dich interessiert, erzähl' ich dir's später. Jitka ist sicher gleich da." Es war eine Geschichte, die Sylvie sich zuerst verdienen musste. Karina war gespannt, ob sie die Sache interessant genug finden würde, um später noch einmal nachzufragen.
Sophie war damals in Brno ihre Cellolehrerin gewesen. Damals war sie fünfzehn gewesen und hatte Sophie verehrt und angehimmelt. Sie hatte wunderschöne, schwarz gelockte Haare, und war eine fantastische Cellistin. Die beste auf der ganzen Welt natürlich, zumindest hatte sie das damals so gesehen, und sie war mindestens doppelt so alt gewesen wie sie.
![](https://img.wattpad.com/cover/146250105-288-k858850.jpg)
DU LIEST GERADE
Das Schicksal spielt in Dur und Moll
General FictionManchmal kommt alles anders als man denkt. Eine unerwartete Begegnung. Ein Blinzeln. Ein Moment des Glücks. Und plötzlich ist nichts mehr wie es war. Du sammelst die Scherben von etwas ein, von dem du dachtest es sei ganz und heil. Warum hast du die...