3. Akt: Winter in Kopenhagen - 80. Kapitel: Reisen mit Sophie

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Als der Flieger zur Landung ansetzte, breitete sich unter ihnen flache Landschaft aus, grün-weiß gefleckt. Vor einigen Tagen hatte es geschneit, das hatte Erik Jitka in etwas wirren Worten erzählt. Er hatte davon gesprochen, dass er den Schnee für sie fotografieren hatte wollen, aber aus irgendeinem Grund, war ihm das nicht gelungen. Jitka war nicht ganz schlau geworden aus seinen Worten.

Manchmal, wenn sie telefonierten, kam es ihr vor, als säße er irgendwo auf seinem eigenen Planeten und, als funktionierte sein Funkgerät zur Erde nicht immer. Wenn er zusammenhanglos von einem Thema zum nächsten sprang, oder ihr von irgendwelchen Überlegungen erzählte, die für ihn bestimmt Sinn ergaben. Doch ihr fehlten oft wesentliche Teile der Geschichte, um zu verstehen, worum es überhaupt ging. Und wenn sie nachfragen wollte, war er oft schon beim nächsten Thema. So war das auch mit der Schnee-Geschichte gewesen.

Doch nun schien es bereits wieder zu tauen. Die Landschaft bestand vor allem aus Inseln, die flach auf einem metallgrauen Meer schwammen. Sie versuchte, sich den Anblick einzuprägen. Wie oft Erik wohl schon auf dem Heimflug auf diese Landschaft geblickt hatte? Und bestimmt sah das hier zu jeder Jahreszeit anders aus. Sie entdeckte die lange Brücke, die in einem langen, elegant geschwungenem Bogen über den Öresund von Dänemark hinüber nach Schweden führte. Sie begann gleich hinter dem Flughafen von Kopenhagen und Erik hatte ihr erzählt, dass man in kaum fünfzehn Minuten drüben in Malmö war. Bald nachdem sie die Brücke entdeckt hatte, waren sie auch schon gelandet. Sie wartete geduldig auf ihrem Platz, während sich alle in den Gang drängten und ihre Sachen aus den Gepäcksfächern holten, obwohl die Türen des Flugzeugs noch nicht einmal geöffnet waren.

Es war ihr und Karina beim Einchecken nicht mehr gelungen nebeneinander liegende Sitzplätze zu bekommen. Vor allem da Karinas Cello einen Fensterplatz haben musste und Karina den Platz daneben. Das war schon schwierig genug zu finden gewesen. Nach Turin war sie mit ihrem Reisecello geflogen, ein günstigeres Modell an dem ihr Herz nicht sonderlich hing und das sie ohne gröbere Bauchschmerzen als Gepäckstück einchecken konnte. Um das Geld, das sie dadurch sparte, ihrem Cello nicht jedes Mal ein eigenes Flugticket kaufen zu müssen, um es in die Kabine mitnehmen zu dürfen, konnte sie sich gewiss mehr als ein Reisecello kaufen.

Für Sophie kam es allerdings auf keinen Fall in Frage, als Gepäckstück aufgegeben zu werden. Und für das Vorspielen beim Dänischen Radiosymphonieorchester musste Sophie mit. Jitka war zwar der Meinung, dass Karina auch mit ihrem Reisecello, das kein so schlechtes Instrument war, genug Eindruck schinden könnte, aber sie schien Sophie auch als Glücksbringer zu betrachten, und wenn es um Bewerbungen ging, vor allem um Bewerbungen in Kopenhagen, machte Karina keine halben Sachen. So kam es, dass Karina im Flugzeug neben Sophie saß und nicht neben Jitka.

Schließlich ließen sie die anderen Leute vor und verließen den Flieger zuletzt. Sie liefen durch die langen Gänge des Flughafens, holten das restliche Gepäck vom Fließband, hoben dänisches Geld ab und standen irgendwann in einer hohen unübersichtlichen Halle, in der hunderte von Menschen mit ihren Rollkoffern an ihnen vorbei wuselten und blickten sich ratlos um. Doch nicht lange, denn im nächsten Moment entdeckten sie schon die Gestalt in grauem Mantel und türkiser Kappe, die mit raschen Schritten auf sie zueilte: Sylvie.

Jitka hatte gewusst, dass Erik nicht zum Flughafen mitkommen würde. Trotzdem fühlte es sich komisch an, Sylvie alleine hier zu sehen. Er hatte sich während der letzten Tage nicht besonders gut gefühlt und Sylvie hatte anscheinend darauf bestanden ihn zu schonen und ihn zu Hause warten zu lassen. Gestern hatte er noch davon gesprochen, dass er am Flughafen auf jeden Fall dabei sein wollte, doch, wie es aussah, hatte er sich nicht durchsetzen können. Und vermutlich hatte Sylvie auch Recht damit gehabt, ihn zu Hause zu lassen. Er versuchte beim Telefonieren immer, sich von seiner besten Seite zu zeigen, aber Jitka hatte trotzdem gemerkt, wie müde er war und wie ihn das gleichzeitig ärgerte und bedrückte. Er war nicht besonders gut darin, sich zu verstellen.

Karina und Sylvie fielen einander um den Hals, und schienen auch gar nicht mehr loslassen zu wollen. Sie wusste, wie sehr Karina Sylvie vermisst hatte. Vor allem nach den letzten anstrengenden Wochen und den Weihnachtsfeiertagen. Karina diskutierte diese Dinge nicht besonders ausführlich. Sie wollte sich nicht mit Negativität aufhalten, sagte sie. Aber sie hatte erzählt, dass die Feiertage bei der Familie für sie eher mühsam gewesen waren. Voller dummer Bemerkungen und unausgesprochener Vorwürfe.

Doch auch, dass sie zu ihrem eigenen Erstaunen ausgerechnet ihren komischen Cousin, diesen Honza, als Verbündeten gewonnen hatte. Karina war der Meinung, Sylvie habe ihn absolut beeindruckt und er sei angetan von ihrem Humor. Für Karina schien es das Natürlichste der Welt zu sein, dass Honza Sylvies Charme verfallen sein sollte. Jitka war immer noch der Meinung, dass Karina da irgendwas falsch verstanden hatte. Oder sie hatte ein paar Schlückchen vom Selbstgebrannten ihres Schwagers zu viel getrunken, um den Weihnachtsbraten und die Verwandtschaft zu verdauen. Das schien ohnehin die plausibelste Erklärung.

Und jetzt ließ sie Sylvie gar nicht los, die ihr auch irgendwie ausgehungert vorkam, wie sie ihre Arme um Karina schlang und ihr Gesicht sogar einen kurzen Moment lang an Karinas Schulter in deren flauschigem, smaragdgrünen Plüschmantel vergrub. Es war einer der seltenen Augenblicke, in denen Sylvie, wie ein Mensch wirkte. Doch kurz darauf löste sie sich ruckartig von Karina, blinzelte und kam auf Jitka zu, um sie ebenfalls zu umarmen. Irgendwie steif, doch Jitka wusste zu schätzen, dass sie überhaupt umarmt wurde. Mittlerweile konnte sie Eriks Schwester und deren etwas bizarre Verhaltensweisen besser einschätzen.

"Du wirst bereits ganz sehnsüchtig erwartet", sagte Sylvie und lächelte dabei. "Also beeilen wir uns um Himmels Willen", sagte sie, schnappte sich Karinas Rollkoffer und schritt äußerst zügig voran durch die große Halle und dann nach links durch den Ausgang, der zu den Zügen in Richtung Stadt führte.

Das Schicksal spielt in Dur und MollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt