116. Kapitel - Die einfache Lösung ...

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Während der letzten drei Monate hatte Erik nur noch auf Sparflamme gelebt, das wurde ihm jetzt erst so richtig bewusst. Jetzt wo er ständig dazu aufgefordert wurde, die Grenzen, die ihn täglich mehr eingeengt hatten, wieder auszuweiten. Es war körperlich anstrengend und ihm blieb meist nicht besonders viel Zeit oder Energie, sich überhaupt darüber Gedanken zu machen, ob sich die Anstrengung bereits gelohnt hatte. Bei anderen Leuten hatte es doch auch was genützt, warum sollte es also bei ihm anders sein.


Trotzdem konnte er nicht richtig glauben, was man ihm sagte. Dass er in ein paar Wochen hier hinaus spazieren und sein ganz normales Leben wieder aufnehmen konnte. Fast wie vorher. Schließlich sei das doch der Sinn der Sache. Dass er dann wieder arbeiten gehen konnte, sogar Sport machen, Radfahren, seine Laufrunden wieder aufnehmen. Eben alles, was er vorher auch getan hatte.

Seine momentanen kläglichen Versuche auf dem Laufband gaben ihm jedoch noch wenig Anlass zur Hoffnung. Angeblich liefe es schon ganz gut und alles würde nur noch besser werden. Besser er ging das Schritt für Schritt an und dachte erst gar nicht lange darüber nach, was er alles noch nicht konnte, was er in ein paar Wochen schaffen sollte und was überhaupt noch vor ihm lag. Immerhin war das hier seine einzige Aufgabe und es gab wenig Ablenkung. Er konnte sich in geschütztem Rahmen ausprobieren, ohne ständig daran denken zu müssen, dass seine Mutter und seine Schwester ihn wieder aufklauben mussten, falls er zu Hause zusammenklappte, wenn er sich übernommen hatte. Hier gab es geschulte Ärzte und Pfleger, die sofort reagieren konnten, falls irgendwas nicht stimmte und sie sagten ihm genau, wie er seine Übungen machen musste, ohne sich damit selbst zu schaden. Meist vertraute er darauf, dass alles seinen Gang zum Besseren nehmen würde.

Abends war er meist so erledigt, dass ihn nicht einmal das Ticken mehr störte. Erst wenn er in der Nacht wieder aufwachte, hielt es ihn vom Einschlafen ab. Aber dann hatte er seine Kopfhörer und seine Musiksammlung, zu der Jitka ihm ständig neue Aufnahmen schickte, damit ihm nicht langweilig wurde.

Er vermisste es ein wenig, Leute um sich zu haben, die ihn kannten und verstanden. Er plauderte mit anderen Patienten, mit Pflegern, mit den Angestellten in der Kantine. Sogar mit dem Pastor, der zwei Mal pro Woche vor Ort war, redete er jetzt manchmal, seit er ihn einmal gefragt hatte, ob er hie und da auf dem Klavier im Andachtsraum spielen durfte, wenn er gerade niemanden damit störte.

Die Meisten waren nette und freundliche Menschen, aber es stellte sich auch bald heraus, dass er als Künstler ein ziemliches Kuriosum hier darstellte. Manche konnten ihn offenbar nicht so richtig einordnen und wussten nicht, was sie mit ihm reden sollten, und er infolgedessen auch nicht. Es kam nicht selten vor, dass er gefragt wurde, was denn sein richtiger Beruf sei. Viele konnten sich offenbar nicht vorstellen, dass man vom Klavierspielen leben konnte. Dann musste er ihnen erklären, dass das schon irgendwie ging.

Manchmal bekam er auch den wohlgemeinten Rat, dass es jetzt nach der schweren Krankheit doch besser war, sich was ‚Richtiges' zu suchen. Einmal bekam er sogar den Ratschlag, seine Mutter sollte, da sie doch Beamtin sei, auf ihrem Amt ein Wörtchen für ihn einlegen, da ließe sich doch sicher was machen. Er verstand nicht, warum das besser sein sollte, aber wenn er erklärte, dass er doch das Tonstudio hätte, dann waren sie meist einigermaßen zufriedengestellt. Auch wenn er dort nicht fix angestellt war, kam das wohl dem, was sich die Leute unter einem ‚richtigen' Job vorstellten, recht nahe. Es verschaffte ihm ein einigermaßen regelmäßiges Einkommen, dazu kamen diverse Spezialaufträge. Das lief doch ganz gut.

Wenn es in diesen Gesprächen dann noch darum ging, wie denn das mit der Krankenversicherung sei, war meist der Punkt erreicht, an dem er sich unter einem Vorwand verabschiedete. Nicht, dass ihm das Thema unangenehm war, aber es interessierte ihn einfach überhaupt nicht, ewig über solche Dinge zu reden. Und er sah auch nicht ein, warum er diesen im Grunde wildfremden Menschen sowas auseinandersetzen sollte. Außerdem hatte er dafür im Moment noch weniger Geduld, als sonst.

Das Schicksal spielt in Dur und MollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt