Es war noch überraschend warm für Ende September und die im Garten versammelte Gesellschaft war bester Laune. Karina schaute so unauffällig wie möglich auf die Uhr, aber die Zeit verging überhaupt nicht. Es war erst halb drei und vor dem Kaffee konnte sie sich nicht gut verabschieden. Zumindest nicht ohne Diskussionen und gespielt beleidigte Gesichter.
Ihre ältere Schwester Jana, die etwas außerhalb von Brünn wohnte, hatte Geburtstag und auch wenn solche Familienfeste nicht unbedingt zu Karinas bevorzugten Wochenendbeschäftigungen zählten, waren sie eben manchmal unumgänglich. Ihre Eltern, Tanten, Onkeln, Cousinen und Cousins, sowie deren diverse Anhänge hatten sich im Garten von Jana und ihrem Mann Radek versammelt. Das Haus wurde wie immer ausgiebig bestaunt. Sie bastelten schon seit ihrer Hochzeit, die nun etwa zehn Jahre zurück lag, daran herum, aber ganz fertig war es noch immer nicht.
Radek wollte alles selbst machen, und so werkten sie an Wochenenden und im Urlaub an dem Haus herum. Sie holten, Karinas Empfinden nach, etwas zu oft, die Meinung von superschlauen Freunden oder der Cousins ein. Die mussten ja wissen, wie man ein Badezimmer richtig verflieste oder elektrische Leitungen verlegte, weil das schon bei ihnen nicht unfallfrei funktioniert hatte. Aber jeder brauchte schließlich ein Hobby. Die wichtigen Räume waren außerdem schon lange fertig. Mittlerweile ging es eher um Dinge wie Partykeller, Hobbyraum, die Garage und auch den Außenverputz der auch noch nicht ganz fertig war.
Jana war, wie sie vor einigen Wochen glücklich verkündet hatte, nun mit dem zweiten Kind schwanger und ständig darauf bedacht, dass Kind Nummer eins, die dreijährige Tereza nicht ständig auf den Bergen aus Bauschutt herumkletterte und sich ihr hübsches neues Kleidchen ruinierte. Was, wie Karina fand, ein hoffnungsloses Unterfangen war. Dreck und Kinder zogen einander eben magnetisch an, da war nichts zu machen. Doch natürlich war es keine Option, dem Kind von vornherein, irgendwas anzuziehen, das auch dreckig werden konnte. Die Cousinen hatten ihre Sprösslinge ja genauso herausgeputzt und jetzt rannten die anwesenden Mütter abwechselnd ihren Kindern hinterher und zerrten sie immer wieder von den Erdhaufen herunter. Sie versuchten sie mit Keksen, Eis und Smartphonespielen dazu zu bringen, wenigstens ein paar Minuten still zu sitzen.
Karina beobachtete das sich ihr bietende Schauspiel und wusste nicht ganz ob sie es amüsant finden, oder einfach nur den Kopf schütteln sollte. Was was wusste sie schon davon, wie es war Kinder zu haben? Glücklicher Weise herzlich wenig. Sie konnte es sich ganz lustig vorstellen Tante zu sein. Wenn Tereza irgendwann einmal alt genug war, dass sich mit ihr etwas Vernünftiges anstellen ließ.
"An deiner Stelle würde ich mir nicht mehr zu lange Zeit lassen", hörte sie Tante Lenkas Stimme neben sich. Solche Gespräche gehörten zu Familienfesten, genauso wie Kuchen und Bier.
"Das überlass ich mal meiner Schwester", sagte Karina und versuchte sich nicht jedes Mal aufs Neue über solche Bemerkungen zu ärgern.
"Du könntest das später bereuen", sagte ihre Tante, und Karina schüttelte lächelnd den Kopf.
"Dazu habe ich zu viele andere Interessen", sagte sie nur.
"Ja, ja. Das haben schon viele gesagt." Sie machte eine kurze, aber bedeutungsschwere Pause, dann beugte sie sich zu Karina und senkte in vertraulichem Tonfall die Stimme. "Jetzt muss ich dich mal was fragen. Deine Cousinen haben sich ja auch schon gewundert. Hast du jetzt endlich eine richtige Arbeit in Aussicht?"
"Natürlich, die habe ich soch schon längst", sagte sie verwundert.
"Ja, aber ich meine was Handfestes. Ich werd's auch nicht gleich den anderen erzählen, falls du dich dafür schämst, dass es noch nicht geklappt hat. Das ist heutzutage auch nicht so einfach."
"Tante, ich dirigiere ein Orchester und bekomme Geld dafür. Das ist was Handfestes."
"Deine Eltern sind vielleicht beruhigt, wenn du ihnen sowas erzählst, aber mir kannst du da nichts vormachen. Als junger Mensch dirigiert man doch keine Orchester. Irgendwann sollte man sich nach etwas Ernsthaftem umschauen." Karina seufzte. In die Köpfe mancher Leute würde es wohl nie hineingehen, dass Dirigenten gewöhnlich nicht als weißhaarige Männer im Frack vom Himmel fielen.
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Das Schicksal spielt in Dur und Moll
General FictionManchmal kommt alles anders als man denkt. Eine unerwartete Begegnung. Ein Blinzeln. Ein Moment des Glücks. Und plötzlich ist nichts mehr wie es war. Du sammelst die Scherben von etwas ein, von dem du dachtest es sei ganz und heil. Warum hast du die...