65. Kapitel

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Nachdem Erik so leidenschaftlich auf sie eingeredet hatte, blieb Sylvie gar nichts anderes übrig als zu kapitulieren. Ihr würde schon kein Zacken aus der Krone brechen, wenn sie sich bemühte einigermaßen freundlich mit Jitka umzugehen. Es war außerdem ihre einzige Möglichkeit, da wieder rauszukommen, ohne Erik und Karina gleichermaßen zu vergrämen. Wenn die beiden Jitka so sehr mochten, dann konnte sie versuchen, das auch zu tun. Sie musste ja nicht gleich ihre beste Freundin werden.

Eriks Worte hatten sie auch gegen ihren Willen ein wenig gerührt. Es schien ihm so wichtig zu sein, dass sie sich dem kaum hatte entziehen können. Und sie wollte doch, dass er glücklich war. So glücklich, wie es eben möglich sein konnte. Gerade jetzt. In letzter Zeit schlitterte er immer nur von einem Tief ins Nächste, und was die nächsten Monate bringen würden, war äußerst ungewiss.

Dieses Verliebtsein kam ihm natürlich wie gerufen, es brachte ihn auf andere, auf hoffnungsvollere Gedanken. Sie hatte die beiden doch gestern in der Oper gesehen, wie glücklich und ausgelassen sie ausgesehen hatten. Und Karina hatte recht. Sie schienen ganz gut zusammenzupassen. Aber was, wenn sie ihn sitzen ließ? Dann wenn er sie am meisten brauchte? Er würde in ein noch tieferes Loch fallen und Sylvie wollte gar nicht an die Folgen denken. Er würde nicht mehr die Kraft haben da wieder herauszufinden, vielleicht auch nicht die Zeit.

Aber was gab es schon für Alternativen? Ohne Jitka wäre er vielleicht gleich in dieses Loch gefallen und hätte sich aufgegeben. Wenn es ihm jetzt gefiel, mit Jitka auf rosa Wölkchen zu schweben, dann musste sie ihm das gönnen und hoffen, dass diese Wölkchen dauerhaft und tragfähig genug sein würden. Und das Beste hoffen musste man sowieso. Wenn sich Jitka ihrer Verantwortung nicht bewusst war, war das vermutlich ohnehin besser. In einer solchen Situation war eine gute Portion Naivität wahrscheinlich vonnöten. Sonst war es mit der Leichtigkeit schnell vorbei.

Sylvie war dieses Strahlen in Eriks Augen nicht entgangen, jedes Mal wenn er Jitka ansah, schon bei der Ankunft am Flughafen. Sie hatte ihn schon lange nicht mehr so gesehen, so lebendig. Doch in einigen Tagen würden sie wieder am Flughafen stehen und er würde Abschied nehmen müssen. Würde er dann etwas von dieser Freude mit nach Hause nehmen, oder würde er zusammensacken, sobald sie Jitka hinter dem Drehkreuz zurückgelassen hatten? Sylvie war bereit ihn aufzufangen und zu trösten, wenn es ihm nicht gut ging und er niedergeschlagen war, aber was diese kleine Jitka mit ihm gemacht hatte, das konnte sie eben nicht.

Sylvie betrat den leeren Konzertsaal und blickte sich ratlos um. Ja, wo war Jitka nun eigentlich? Hier auf einem Sessel lag noch ihr roter Mantel. Dort, wo sie ihn in der Früh hingeworfen hatte, also musste sie noch im Gebäude sein. Und wo steckte Karina? Vermutlich waren sie zusammen irgendwo. Sie hatte nicht einmal Jitkas Telefonnummer. Aber sie konnte Karina anrufen ... Gerade als sie ihr Smartphone zückte, öffnete sich die Tür auf der anderen Seite des Saals und keine Andere als Karina kam ihr entgegen. Sie blieb stehen, als sie Sylvie erblickte. Schien zu überlegen, wie sie reagieren sollte. Sylvie lief auf sie zu.

"Es tut mir leid, dass ich dich vorhin so angeschnauzt habe", sagte sie schnell. "Wir müssen reden. Aber zuerst muss ich zu Jitka." Karina blickte ihr in die Augen, mit einem Ausdruck, den Sylvie nur schwer deuten konnte. Dann plötzlich spürte sie Karinas Hände auf ihrer Schulter und ihrem Hinterkopf, und Karinas Lippen auf ihren, fühlte sich von Karinas intensivem Duft eingehüllt. Sie schloss für einen Moment die Augen und erwiderte den Kuss, ohne zu überlegen. Derartige Impulsivität war normalerweise nicht ihre Art, und sie hatte keine Ahnung, was Karina gerade jetzt dazu bewogen hatte, doch heute war ohnehin irgendwie alles anders und es tat gut. Dann strich sie Karina leicht durch die lockigen, roten Haare und löste sich von ihr.

"Ihr macht alle noch ein emotionales Wrack aus mir", murmelte sie dann und Karina lächelte verschmitzt.

"Ich hoffe, du machst nicht alles gleich wieder kaputt, wenn du zu Jitka hineingehst."

Das Schicksal spielt in Dur und MollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt