Seite 19

124 6 0
                                    

Mir steht leicht der Mund auf, als ich wirklich realisiere wer dort steht. Meine Augen öffnen sich ein Stück mehr und werden ziemlich groß. Die rechte Hand fängt leicht an zu zittern und mein Herz macht einen Sprung. Einerseits weil er hier ist, andererseits weil er sich hier bewerben möchte und ich habe keine Ahnung wieso. Er geht doch noch zur Schule, macht seinen Abschluss und müsste eigentlich nicht viel an die Arbeit denken. Was also macht er jetzt hier?

»Du siehst nicht gerade begeistert aus, dass ich hier auftauche.«, stellt Colin fest und bewegt sich endlich auf den Schreibtisch zu, an dem ich sitze.

»Ich hätte dich hier wirklich nicht erwartet.«, sage ich etwas steif. »Immer hin gehst du noch zur Schule und müsstest dir nicht so viele Gedanken um Arbeit machen, wenn du so wieso noch an dem Abschluss dran bist.«

Colin stützt sich mit seinen großen Händen am Tisch ab und lächelt mich frech an. »Ich bin nur hier, damit ich dich wieder sehen kann.«

Ungläubig schüttle ich den Kopf und schiebe mich - zusammen mit dem Stuhl - ein Stück nach hinten und lache leicht, bevor ich die Bürotür meines Dads öffne und ihm Bescheid gebe, dass nun der andere Bewerber hier ist. Colin geht mir hinterher und während ich die Tür öffne, zappelt er aufgeregt hin und her.

»Dad, ein Bewerber ist hier!«, sage ich und deute auf die Tür. Er schaut an mir vorbei und sieht Colin an, welcher mit großen Augen durch die Tür sieht und sich zum wiederholten Mal durch die Haare fährt.

»Er ist wirklich aufgeregt!«, flüstere ich ihm noch zu und bekomme ein leichtes Lächeln meines Dads.

»Schick ihn rein und sage ihm, dass er keine Angst haben braucht. Ich beiße nicht!«

Lachend gehe ich in die Richtung der Türe und öffne diese wieder. »Du brauchst nicht aufgeregt zu sein, mein Dad beißt nicht. Viel Glück!«

Colin bedankt sich mit einem nervösen Lächeln und geht durch die Glastür. Ich gucke ihn dabei zu wie er mit großen Schritten auf meinen Dad zugeht, (er ist währenddessen aufgestanden), und die Beiden schütteln sich die Hand. Dad macht Colin klar dass er sich setzen soll und nimmt danach seine Bewerbungsunterlagen entgehen. Soweit sieht es wirklich schon gut aus, aber das eigentliche Gespräch fehlt natürlich noch. Ich denke später wenn Colin die Tür erneut öffnet, werde ich schon herausfinden ob er hier genommen wurde oder nicht.

Mit einem Schulterzucken setze ich mich wieder zurück an den Bürostuhl und verschwende keinen weiteren Gedanken an das Bewerbungsgespräch zwischen Colin und meinem Dad.

Wieder schwirrt der Gedanke in meinem Kopf herum, was er wohl hier tut und hier arbeiten möchte. Natürlich muss man in der Abschlussklasse langsam wissen was man werden möchte, aber dass er dann direkt hier mit seinen Bewerbungsunterlagen hier ankommt, ist etwas komisch. Ich werde schließlich erst einmal studieren und vielleicht in einem Café als Nebenjob arbeiten, und dann vielleicht in die Kanzlei meines Vaters wechseln.

Mit dem restlichen Papierkram versuche ich mich auch davon abzulenken, immer hin bin ich hier um Dad etwas zu unterstützen und nicht um in meinen Gedanken zu schwelgen.

Eine viertel Stunde später wird die Tür nach innen gezogen und Colin kommt hin durch. Weil ich so in Gedanken bin, wende ich meinen Kopf erst nach einem Moment zu ihm und sehe in sein Gesicht. Keine Emotion zeichnet sein Gesicht, es ist wie versteinert. Ich stehe auf und will ihn umarmen, damit ich ihm mein Mitleid zeigen kann. Doch als ich meine Arme um ihn schlinge, greift er nach meiner Hüfte und dreht mich zwei Mal im Kreis.

»Ich hab den Job!«, ruft er währenddessen. »Marisa, ich hab den Job!«

Danach lässt er mich sofort wieder runter und ich trete einen Schritt zurück - diese plötzliche Nähe war ungewohnt. Schnell versuche ich mich wieder zu fangen und setze ein wahres und freundliches Lächeln auf.

»Ich freue mich für dich!«, sage ich. »Es ist wirklich toll dass du den Job bekommen hast, bald wirst du dich hier bestimmt wohlfühlen!«

Nun frage ich mich dennoch wann Colin anfangen wird, hier zu arbeiten. Denn wir müssen noch weiter in die Schule und die Abschlussprüfung wird immer hin auch noch auf uns zu kommen.

»Wann wirst du denn hier anfangen?«, frage ich und setze mich wieder auf den Bürostuhl. Mit etwas schwitzigen Händen versuche ich mich wieder an den Tisch heranzuziehen und lege dann meine Arme darauf ab.

»Morgen werde ich nochmals kommen müssen, wegen dem Vertrag. Und ab nächster Woche werde ich nach der Schule hier arbeiten.«, antwortet er mir und geht sich durch die Haare.

»Als was hast du dich denn eigentlich beworben?«

»Nur als Aushilfe für drei Wochen, ich hab die Anzeige im Internet gefunden, und man braucht keinen Abschluss dafür.«

Etwas staunend sehe ich ihn an, das passt gar nicht wirklich zu Colin. Das Hemd welches er trägt, oder die viel zu gut gemachten Haare. Er tretet hier viel edler auf als in der Schule. Dazu noch der Job.

»Du scheinst nicht gerade zufrieden damit zu sein.«, klingt seine Stimme in meinen Ohren.

Ich schüttle den Kopf: »Nein, es ist nur... ich kann mir dass alles einfach nicht vorstellen.«

Leicht lächelnd sieht er mich an, doch es erreicht seine Augen nicht. Er dreht sich um und drückt auf den Knopf, welchen den Fahrstuhl nach oben holt. Ohne dass wir beide noch ein Wort sagen, geht er und verschwindet hinter der silbernen Tür. Ein schlechtes Gewissen breitet sich in meinem Körper aus und ich bekomme den Gedanken nicht aus dem Kopf, dass ich ihn gerade vielleicht mit meinen Worten verletzt habe.

After The Sunset | h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt