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Harry öffnet mir wie ein Gentleman die Tür, nachdem er geparkt hat. Ich lache, als er mir die Hand reicht und tut, als wäre er der Butler einer Prinzessin. Wir holen die reservierten Karten für das Kino ab und Harry bezahlt sogar das Popcorn für mich. Es ist das erste offizielle Date das wir haben. Zuvor hat er mich nie wirklich ausgeführt, doch heute wollte er das unbedingt machen. Wir sehen uns meinetwegen Titanic an, mein Lieblingsfilm.

Nach dem Film hetze ich ihn in das Auto, damit er mir die Überraschung zeigt und wir schnell dahin kommen. Doch sein Handy klingelt und unterbricht mein Drängeln.

»Dad?« Harrys Stimme hat einen komischen Unterton und ich befürchte das etwas Ernstes passiert ist, als er hektisch zum Auto rennt. Ich gehe ihm hinterher und setze mich neben ihn.

»Ich komme so schnell ich kann.« Harry startet den Motor und fährt mit Höchstgeschwindigkeit zum Krankenhaus. Zwei Mal habe ich ihn gefragt was los ist und wieso er so schnell durch die Stadt fährt. Er hat es zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor gepresst, doch die einzigen Wörter die ich verstand waren »Mum« und »Krankenhaus«. Meine Angst um Anne ist groß - so groß -, dass ich mit wirklich allem rechne wenn wir ankommen.

»Egal was gleich passiert, ich bin da und das weißt du.«, sage ich als Harry sein Auto quer auf irgendeinem Parkplatz stoppt. »Verstanden Harry?«

Er nickt bloß und rennt dann förmlich aus dem Auto ins Gebäude. Sein Vater sitzt vor Annes Krankenzimmer und hält sich die Hände vors Gesicht. Nun befürchte ich wirklich das etwas Schlimmes passiert ist.

»Wo ist sie?«, ruft Harry und reißt Des die Hände vom Gesicht.

»Im Zimmer.«, wimmert dieser und zeigt auf die offenstehende Zimmertür. Ich folge Harry ins Zimmer und sehe Mr. Edison und drei weitere Krankenschwestern um Annes Bett stehen und irgendetwas an ihr machen. Harrys Augen werden langsam rot und ich sehe wie sich eine Träne aus seinen Augen stiehlt. Anne zittert am ganzen Körper und rangt schwach nach Luft. Immer wieder hebt sich ihr kompletter Brustkorb und ich höre wie sie nach Luft schnappt.

»Du solltest das nicht sehen, Harry.«, sage ich und zwinge ihn an seinem Arm nach draußen. »Setz dich bitte hin.«

Er bleibt vor der Tür zu Annes Tür stehen und schaut mit dem gleichen geschockten Gesichtsausdruck ins Zimmer.

»Harry, bitte.«  flehe ich und ziehe an seinem Arm.

»Fass mich nicht an.« Er zieht seinen Arm weg und drückt mich von sich weg. Jetzt bin ich diejenige, welche den geschockten Gesichtsausdruck auf dem Gesicht hat. Ich stelle mich mit etwas mehr Mut vor Harry und starre ihm gefasst in die Augen.

»Stoß mich jetzt nicht weg.«, flüstere ich leise. »Bitte Harry.« Sein Blick ist dennoch starr auf die nun geschlossene Tür hinter mir gerichtet.

»Du kannst jetzt nichts machen.«, sagt auch Des und legt eine Hand auf Harrys Schulter.

Sein Blick wird wütend und er sieht mich für eine Sekunde an, dann dreht er sich weg.

»Hört auf die Situation bessern zu wollen. Wollt ihr nicht wahrhaben was gerade passiert oder denkt ihr mich beruhigt das?«, schreit Harry, er wird rot im ganzen Gesicht und seine Frisur geht augenblicklich kaputt. »Sie stirbt gerade. Ihr Leben ist in wenigen Minuten vorbei und alles was ihr tut, ist die Situation gut reden zu wollen.«

Ich gehe ein Stück auf Harry zu.

»Nein Marisa. Ich brauche deine Sprüche jetzt nicht.«

Das vor mir ist nicht Harry, rede ich mir ein. Harry lässt sich ein Stück weiter entfernt von uns auf den Boden sinken und am liebsten würde ich mich vor ihn hinsetzen und ihn weiterhin gut zu sprechen. Doch ich bleibe auf den Stühlen vor Annes Zimmer sitzen und warte gespannt, sehe den Mitarbeitern dabei zu, wie sie immer wieder aus dem Raum laufen und irgendein anderes Medikament oder Gerät holen.

Nach einer Stunde kommen alle Ärzte und Krankenschwestern aus dem Zimmer und kommen auch Harrys Dad zu. Harry hat sich mittlerweile beruhigt, bei mir entschuldigt und hat sich neben mich gesetzt, doch jetzt steht er und will unbedingt wissen was los ist. Ich kann gar nicht mehr richtig zuhören, bekomme nur am Rand mit was passiert ist. Dann fange ich augenblicklich an zu weinen. Und ich höre auch nicht mehr damit auf.

After The Sunset | h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt