Seite 28

95 4 0
                                    

Meine Kleidung ist durchnässt, meine Haare kleben mir förmlich auf dem Gesicht und meine Schultasche ist aufgeweicht und durchnässt. Ich habe Unterschlupf bei einer Bushaltestelle gefunden und sitze hier mit angezogenen Füßen und warte bis der Regen weniger wird. Meine Eltern sind schon längst von der Arbeit zu Hause und ich bin mir sicher, dass wenn ich jetzt nach Hause gehen würde, dass sie mir die Hölle heiß machen. Im Gegensatz dass der Regen immer weniger wird, wird er immer mehr und davon abgesehen weiß ich gar nicht mehr wo ich mich hier befinde. Ich war zuvor noch nie in London und kenne mich somit auch nicht aus.

Aus meiner durchnässten und tropfenden Tasche ziehe ich mein Handy, dass zum Glück nur wenig Wasser abgekommen hat, ebenso wie mein Schulmaterial. Es hat fast keinen Akku mehr, deshalb öffne ich schnell die neuen Nachrichten von Harry, damit ich ihm zurückschreiben kann.

Wo bist du?

Ich mache mir sorgen, bitte ruf mich an

Das steht in seinen Nachrichten und ich habe sogar fünf verpasste Anrufe von ihm. Als ich versuchen wollte ihn anzurufen, zeigte mir mein Handy »kein Netz« an, weshalb ich hoffe dass meine Nachrichten wenigstens abgesendet werden.

Harry

Ich weiß nicht wo ich bin

Doch auch diese beiden Nachrichten werden nicht abgeschickt. Verzweifelt stehe ich auf und laufe aufgeregt hin und her. Wieso bin ich auch so dumm und laufe weg, obwohl ich mich hier nicht auskenne. Wäre ich doch bloß mit der Bahn gefahren. Auf einmal vibriert mein Handy, hektisch sehe ich auf den Display und sehe eine Nachricht von Harry. Erleichtert öffne ich diese.

Beschreib mir was du in deiner Umgebung siehst

Ich stehe unter einer Bushaltestelle, der Plan ist zu alt um die Station zu lesen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist eine Werkstatt, das Haus sieht schon ziemlich alt aus

Gespannt und mit zittrigen Händen - weil mir so kalt ist - warte ich auf seine Antwort, und als ich dann endlich das Vibrieren an meiner Handfläche spüre, sehe ich wieder auf den Display.

Siehst du irgendein Straßenschild?

Schnell schaue ich umher und sehe am Ende der Straße ein Schild. Mit meiner Tasche auf der Seite und meinem Handy in der Hand renne ich so schnell es geht zu dem Straßenschild und schreibe Harry den Namen.

Gowlett Road

Nachdem ich die Nachricht abgeschickt habe und mich wieder unter das Dach der Bushaltestelle gestellt habe, bekomme ich von Harry keine Antwort mehr und ich weiß auch nicht ob er die Nachricht schon gelesen hat. Aus Angst bin ich schon fast den Tränen nah und ich setze mich wieder auf das kalte Metall der Sitzplätze. Immer wieder werfe ich einen Blick auf mein Handy, aber von Harry kommt keine Reaktion.

Zehn Minuten vergehen, bis ein schwarzes Auto vor der Haltestelle hält und das Fenster runterfahren lässt.

»Ich stehe auf einer Haltestelle, das ist verboten, also steig ein.«, sagt Harry mit einer kratzigen Stimme. Schnell öffne ich die Beifahrertür und steige in das warme Auto. Harry hat für mich die Heizung angestellt, greift auf der Rückbank nach einer Decke, welche er mir um die Schultern legt, und sieht mich mitleidig an.

»Was ist passiert?«, fragt er.

»Meine Eltern sind passiert.« Ich kuschle mich mehr in die Decke. »Ich hab mit meinem besten Freund telefoniert und er hat von einem College in Irland geredet. Auf einmal kam mein Dad und dann habe ich ihn und Mum dafür verantwortlich gemacht, dass sie mir meine Zukunft verbaut haben. Dann habe ich für mehrere Stunden auf der Toilette geweint und bin dann weggerannt.«

Beschämt sehe ich auf meine Fingernägel, denn jetzt wird Harry ein schlechtes Bild von mir haben und mich vielleicht anders wahrnehmen, als ich bin. Ich hätte ihn nicht antworten sollen.

»Wieso sollten deine Eltern dir die Zukunft verbauen?« Harry setzt sich wieder gerade auf seinen Platz und startet den Motor. Der Radio zeigt mir halb neun Abends und meine Augen werden langsam schwerer.

»Ein College in Irland - bei welchem ich mich beworben habe - hat mich angenommen und meine Eltern sind weggezogen.« Ich lehne meinen Kopf an der Fensterscheibe an und ziehe den Saum der Decke noch enger an meinen Körper.

»Deine Eltern sind in der Kanzlei fast verzweifelt.«, bricht Harry nach einer Weile die Stille im Auto.

»Sie werden mir zu Hause die Hölle heiß machen.« Ich schalte das Radio an und lehne mich dann wieder müde an der Scheibe an.

After The Sunset | h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt