Kapitel 24: Das tollwütige Wiesel und der Angsthase

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Eine Woche vor den Prüfungen fand eine Gedenkfeier für Filch auf den Ländereien statt. Zu Harrys Überraschung waren tatsächlich einige ehemalige Schüler gekommen. Doch die Rede war nur kurz und nach zwanzig Minuten wurden sie auch schon wieder ins Schloss zurückgebracht.

Professor McGonagall führte die jüngeren Jahrgänge an. Sie hatte sie gerade in die Eingangshalle gebracht, als sie ein seltsames Geräusch aus dem kleinen Raum hörten, in der sie als Erstklässler auf die Auswahl gewartet hatten.
„Zurück, zurück mit ihnen!", flüsterte McGonagall. „Verstecken sie sich hinter den Treppen, bis ich sie wieder rufe!"
Die Schüler ließen sich das nicht zwei Mal sagen.
„Glaubst du, es ist wieder ein Angriff?", flüsterte Daphne, die neben ihm stand. Harry wusste es nicht. Er hatte keine Stimme gehört. Vorsichtig lugte er hinter der Treppe hervor. Er beobachtete McGonagall, die blass, aber dennoch mit hocherhobenen Hauptes und Zauberstab auf die Tür zu ging. Mutig zog sie die Türe auf. Plötzlich ließ sie den Zauberstab sinken. Sie ging in den Raum und die Schüler hörten das Krachen eines Fensters. Dann kam sie zurück.
„Machen sie sich keine Sorgen", sagte McGonagall sanft. „Es wurde nur vergessen, dass Fenster zu schließen. Sie brauchen keine Angst zu haben."
Harry sah, dass sie unglaublich müde wirkte. Sie hatte dicke Augenringe und ihre Wangen wirkten eingefallen. Nicht nur die Schüler litten unter den Angriffen, auch die Lehrer waren am Ende ihrer Kräfte. Daphne hatte sich an Harrys Arm geklammert und er zwang sich, ihr aufmunternd zuzulächeln. Seit Wochen versuchte er, die Stimmung im Haus Slytherin hoch zu halten. Sie gingen in die Große Halle, wo ihnen Professor McGonagall mitteilte, dass die Alraunen bald fertig gebraut waren. Großer Jubel brach aus, nur am Slytherinstisch hatte keiner Lust, zu klatschen. Die letzten Monate waren für ihr Haus nicht leicht gewesen und außer Daphne und Harry hatte niemand jemanden im Krankenflügel, den er vermisste. Kurz: Ihrem Tisch war einfach nicht nach Jubeln. Leider war das etwas, das die anderen Häuser weniger gut aufnahmen. Sie sahen sich bestätigt, dass die Slytherins kaltherzige Monster waren, denen ein Mord noch zu wenig war.

Das ließen sie die anderen Häuser auch spüren. Seit Professor Snape weg war, war kaum ein Tag vergangen, an dem nicht ein Slytherin irgend einen dummen Streich ausgesetzt war - und das trotz der strengen Schulregeln. Zwar versuchten ein paar der Lehrer, den Streichen Einhalt zu gebieten, doch nachdem der Schulleiter, der Hausmeister, der Wildhüter und der Hauslehrer von Slytherin nicht mehr an der Schule waren, gab es einfach zu wenige Erwachsene, die die Schule am Laufen hielten. Die Schulräte hingegen schienen keine Ambitionen zu haben, auch nur eine der offenen Stellen nach zu besetzen.

Darum hatte Harry begonnen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und zumindest jenen zu helfen, denen er helfen konnte. Harry hatte etwa fünf Minuten, nachdem sie die Halle verlassen hatten, einen Tanzfluch von einem Erstklässler genommen, am Tag zuvor hatte er mit einem Schockzauber verhindert, dass Pansy von einem Incendio getroffen wurde.
Er half dem Jungen hoch, der ihn mit großen Augen ansah. Er hatte kastanienbraunes Haar und ebenso braune Augen.
„Na komm schon, ich helfe dir hoch...", sagte Harry.
„Michael Shafig", ergänzte der Junge, als er bemerkte, dass Harry seinen Namen nicht kannte. Die Shafigs waren eine alte Zaubererfamilie, Harry war sicher, schon von ihnen gehört zu haben.
„Warum hilfst du mir?", fragte Michael. „Wir kennen uns doch gar nicht!"
Harry schnaubte. „Hätte ich dich dort weiterhin herumtanzen lassen sollen? Ich kann es rückgängig machen, wenn dir das lieber ist."
„Nein, ersthaft Potter - was willst du von mir?", fragte der Junge misstrauisch.
Harry schüttelte den Kopf. „Du bist ein Slytherin, ich bin ein Slytherin. So einfach ist das. Vergiss einfach nicht, wer dir mal geholfen hat", sagte Harry.
Der Junge nickte nur und lief seiner Klasse nach, mit der er eigentlich zum nächsten Unterricht hätte gehen sollen. Harry war sicher, dass es erneut die Weasley-Zwillinge waren. Er hatte sie weglaufen sehen, als er Shafig geholfen hatten. Irgendwie schafften sie es, sich trotz aller Sicherheitsbestimmungen im Schloss herumzutreiben.
Wie schafften es die Weasley-Zwillinge nur, immer wieder davon zu kommen? Sie mussten ein Geheimnis haben!
Dann schnaubte er erneut. Das ganze musste ein Ende haben. Slytherin war ein stolzes Haus, so konnte es nicht weitergehen. Sich zu verstecken und sich wie Dreck behandeln zu lassen, passte nicht zu ihnen.

Es war der nächste Tag - Professor Vektor brachte sie gerade zurück in den Gemeinschaftsraum - Zaubertränke war seit Professor Snapes Verhaftung ausgefallen - als Harry bemerkte, dass Ginny ebenfalls dort saß und Kundalini streichelte.
Besorgt ging Harry zu ihr. Kundalini reagierte nicht gerade freundlich auf Berührungen, seit sie unter dem seltsamen Bann stand.
„Du solltest vorsichtig sein. Ich habe sie im Moment nicht so gut unter Kontrolle", gab Harry zu. Ginny wich zurück und zitterte. Sie hatte ihre Hand zur Faust geballt. Ginny sah aus, als wollte sie noch etwas sagen, doch dann lief sie davon.
„Was war das denn gerade?", fragte er ins Nichts.
„Sssie hat wohl Angst, dasss ich sssie verrate", sagte Kundalini plötzlich.
„Du kannst wieder sprechen!", rief Harry. Am liebsten hätte er sie vor Freude umarmt, doch er wusste nicht, ob sie ganz von dem Bann befreit war. Von sich selbst überrascht blickte Kundalini umher. Sie streckte ihren Kopf in die Luft, dann zuckelte sie aufgeregt mit der Schwanzspitze.
„Der Fluch issst gebrochen. Harry - du hassst den Fluch gebrochen!", jubelte sie.
„Was? Aber wie? Was ist passiert?", fragte Harry.
„Dasss Monssster... esss ist ein Ssschlangenkönig. Mein Fresssen fürchtet ihn mehr alsss mich. Ich habe ihn gehört und bin ihm gefolgt. Alsss ich zurückkehrte, war dasss Weibchen mit den Feuerhaaren in deinem Nessst, Harry. Dasss Weibchen hat ein Buch genommen und dann... Ein seltsames Männchen hat mich berührt. Er war plötzlich da. Er hat mir verboten zu sssprechen... aber ich habe mich gewehrt!", sagte Kundalini.
Harry versuchte alles zu verarbeiten, was Kundalini gerade gesagt hatte. Sie hatte unglaublich schnell gesprochen und war von einem Thema zum anderen gehüpft. Sie hatte das Monster gesehen. Sie hatte den Meister des Monsters gesehen. Doch was hatte Ginny mit der ganzen Sache zu tun? Dann sickerte langsam Erkenntnis durch Harrys Gedanken.

Das Monster war ein Schlangenkönig...

Das Monster war ein SCHLANGENKÖNIG!

„Ein Basilisk!? Im Schloss ist ein Basilisk?", fragte Harry entsetzt. Als Kundalini seine Vermutung bestätigte, stieß er einige Worte aus, für deren Benutzung Snape ihm wohl Nachsitzen hätte lassen.
„Aber wie... wie kann er sich unauffällig im Schloss bewegen?"
„Er kriecht durch eure metallenen Höhlen, die euch Wasssser bringen", antwortete Kundalini, die sich genüsslich an Harry schmiegte und ihren Kopf an seiner Schulter rieb.
„Rohre? Er kriecht durch die Rohre? (Harry erschauderte - allein die Vorstellung!) Aber... wie kommt er aus den Rohren heraus?", fragte Harry in diesem Moment erinnerte er sich an den ersten Angriff. Hermine war direkt neben dem Mädchenklo gefunden worden. Dann fiel ihm ein, dass auch beim ersten Mal, als die Kammer vor fünfzig Jahren geöffnet worden war, ein Mädchen am Klo gefunden worden war. Was, wenn dieses Mädchen nie von dort weggegangen war?

„Ich weiß, wo sich der Eingang befindet!", sagte Harry plötzlich.
Er sprang auf. Kundalini gab ein enttäuschtes Fauchen von sich, als er sie zurück ließ. Doch er hatte keine Zeit! Er musste Professor McGonagall von seiner Entdeckung erzählen. Hogwarts durfte nicht geschlossen werden. Harry wollte gerade die Treppen hinauflaufen, als ihm die Stimme von McGonagall entgegen hallte.

„Alle Schüler kehren sofort in die Schlafsäle zurück. Alle Lehrer versammeln sich im Lehrerzimmer - unverzüglich!"

Harry war hin und hergerissen. Noch nie hatte er gehört, dass es in Hogwarts so etwas wie Schulweite ansagen gab. Etwas musste geschehen sein und wenn das so war, dann würden die Hauslehrer sie bald aufsuchen. Er musste also zurück in den Gemeinschaftsraum, dann konnte er Professor Vektor alles erzählen.
Er machte sich gerade auf den Weg zurück, als er plötzlich eine laute Stimme hörte: „Potter! Bleib sofort stehen."
Harry fuhr herum, hinter ihm stand Weasley. Er zitterte am ganzen Körper vor Wut. Seine Augen waren rot, als hätte er geweint.
„Es ist mir egal, dass wir durch Ernies Zaubertrank nichts herausfinden konnten! Ich weiß, dass du es bist!", sagte Weasley. Er hatte seinen Zauberstab gehoben und ihn direkt auf Harry gerichtet.
„Weasley! Bist du verrückt geworden?", fragte Harry.
„Was hast du mit meiner Schwester gemacht?", fragte er wütend.
„Mit deiner Schwester? Mit der hab ich gar nichts gemacht! Was willst du von mir?", fragte Harry. Doch bevor er etwas tun konnte, hatte ihn Ron auch schon magisch gefesselt. Offenbar funktionierte Rons Zauberstab immer noch nicht richtig, denn die Fesseln waren wild durcheinander gebunden und Harrys Arm, in dem er seinen eigenen Zauberstab hielt, sah noch ein Stückchen heraus. Jedoch nicht weit genug, um etwas tun zu können.
„Ich bringe dich jetzt zu Lockhart und dann gibst du mir meine Schwester zurück!"
Harry war sich sicher, dass Ron Weasley nun endgültig durchgedreht war. Doch es half nichts, er musste wohl oder übel zu Lockhart. Ron klopfte an. Tatsächlich sagte er:
„Professor Lockhart, ich habe hier den Erben. Ich weiß, dass sie in die Kammer wollen! Bitte befreien sie meine Schwester!"

Nun verstand Harry, wer das neuste Opfer war. Es war Ginny und der Basilisk hatte sie entführt. Ohne Widerstand ließ er sich von Weasley in das Büro schupsen. Doch als sie in das Büro hineinkamen, waren sowohl Harry als auch Ron entsetzt - Lockhart hatte gepackt und wollte abhauen.

„Sie können doch nicht abbauen! Was ist mit Ginny?", rief Harry entsetzt.
Nun blickte ihn Weasley ungläubig an. Da standen sie nun - Harry, mit einer magischen Fessel, der entsetzt war, das Ginny verschwunden war. Lockhart, der gerade versuchte, das Weite zu suchen und Weasley, mit seinem vollkommen nutzlosen Zauberstab, der es trotzdem irgendwie geschafft hatte, eine magische Fessel hervorzubringen.
„Sie sind der Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste!", rief Weasley. „Nach allem, was sie in ihren Büchern tun!"
Harry schnaubte. Glaubte er wirklich noch, Lockhart hätte das alles getan?
„Bücher können in die Irre führen", sagte Lockhart und bestätigte damit Harrys Verdacht.
„Sie haben nichts davon getan!", stellte Weasley fest.
„Nein, Mr. Weasley. Ich habe nichts davon getan. Es war jedoch garnicht so leicht, diese ganzen Leute aufzuspüren und ihnen einen Gedächtniszauber aufzuerlegen. Wenn es etwas gibt, auf das ich stolz bin, dann auf meine Gedächtniszauber."
Dann schlug er den letzten Koffer zu.
„Und nun meine Herren muss ich euch mit einem Vergessenszauber belegen. Ich kann nicht zulassen, dass sie meine Geheimnisse ausplaudern."
Lockhart zog seinen Zauberstab. Das war der Moment, in dem Weasley anscheinend Begriff, dass Harry doch eine bessere Option war als Lockhart, die magischen Fesseln löste und Harry die Chance gab: „Expelliarmus!", zu rufen. Sofort war der Professor entwaffnet und Harry und Ron zwangen ihn zu bleiben. Harry rieb sich die Hände. Weasleys verflixter Zauberstab hatte nicht nur dafür gesorgt, dass sich seine Fesseln lösten, sondern ihm auch eine Brandwunde verpasst.

Wege eines SlytherinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt