Kapitel 67: Vollkommene Leere

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Am nächsten Morgen erwachte Harry unter dem Grauen des letzten Tages. Was hatte er nur getan? Er hatte Ginny beleidigt, ihre ganze Familie beleidigt. Was hatte er sich dabei nur gedacht? Er war im Krankenflügel, durfte ihn jedoch fürs Frühstück verlassen. Er lief in die große Halle und hoffte, Ginny zu finden, um sich bei ihr zu entschuldigen. Sie lief gerade durch die Eingangshalle, als er die letzten Stufen hinunter stieg.

„Ginny!", rief er. Sie fuhr herum. Ihre braunen Augen funkelten ihn böse an. Doch er sah nicht nur Wut - er sah vor allem Enttäuschung. Sie warf ihre Haare zurück und stolzierte an ihm vorbei.
„Warte!", sagte er. Sie drehte sich zu ihm herum. So leise, dass es niemand um sie herum hörte , zischte sie: „Wir können hier nicht streiten, das weißt du so gut wie ich - also lass es. Sprich mich nicht an, oder du wirst es bereuen!"
Slytherin stritt sich nicht vor anderen Häusern, das war eine feste Regel. Allerdings konnte er sie nicht einfach gehen lassen. Sie musste ihn anhören!
„Bitte Ginny, ich habe es nicht so gemeint... du bist keine...", stotterte er.
„Du verstehst es noch nicht einmal, oder?", fragte Ginny leise. „Denkst du, ich bin dumm? Ich weiß, dass du mit Malfoy herumhängst, ihr andere als Schlammblüter und Blutsverräter bezeichnet und mit schwarzer Magie experimentiert."
„Aber... ich... mein... du bist nicht so... du bist keine...", er fand nicht die richtigen Worte. Ginny war keine Blutsverräterin! Sie war freundlich und verständnisvoll und wunderschön und... 
„Doch, Harry", ihre Worte waren nun fast sanft: „Ich bin genau so eine. Ich kümmere mich nicht um den Blutstatus einer Person. Und ich verabscheue Personen, die es tun. Ich verabscheue Personen wie Lucius Malfoy. Ich habe mir nur zu gern eingeredet, dass du anders bist."
Ginny wollte gehen, doch er griff nach ihrem Arm. Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Sein Herz klopfte so schnell, dass er kein Wort heraus brachte. Sie hob ihre Hand, die von ihrem zu großen Umhang fast verdeckt wurde und drückte ihren verborgenen Zauberstab gegen seine Brust.
„Also, ein letztes Mal, Potter - bleib mir fern!"
Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen. Was er jedoch nicht gesehen hatte, waren die Tränen, die Ginny dabei über die Wangen flossen.

Wie versteinert stand er da. Er wusste nicht, wie lange er dort stand. Er bemerkte nur, dass einige der Gryffindors und Ravenclaws an ihm vorbeiliefen und ihn seltsam anstarrten, da er Regungslos in der Mitte des Ganges stand. Schließlich war es Draco, der ihn aus seiner Trance rief.
„Harry, hörst du mich?", fragte Draco vorsichtig. „Was ist los mit dir?"
Er sprach leise. Er wollte die Aufmerksamkeit der anderen nicht auf sich ziehen. Harry sah ihn an. Er fühlte sich leer. „Kontrolliere deinen Gefühle", dachte er.
„Harry, komm, wir gehen zum Frühstück", sagte Draco und zerrte ihn in die Große Halle. Harry sagte nichts, er starrte nur in Richtung Astoria, bei der Ginny saß. Draco sah ihn besorgt an und fragte: „Alles in Ordnung bei dir?"
„Es geht mir gut", presste er hervor. Selbst ein Idiot hätte durch diese Lüge gesehen. 
„Diszipliniere deinen Geist", dachte Harry ermahnend. Er setzte ein stoisches Gesicht auf und begann sein Frühstück zu essen. Er wollte nicht mit Draco darüber sprechen. Er wollte, dass sich ein Loch unter ihm auftat und ihn verschlang. Der Tag wurde nicht besser. Obwohl er sich auf seine Okklumentikübungen konzentrierte, kreisten seine Gedanken immer wieder um Ginny.
Während keines seiner Fächer an diesem Tag besonders gut zu laufen schien, setzte Zaubertränke dem ganzen die Krone auf. In Zaubertränke schaffte er es schließlich, seinen Kessel zum Schmelzen zu bringen, sodass Snape ihm Nachsitzen aufbrummte. Als hätte er mit den Okklumentikstunden und dem Training mit den Slytherins nicht schon genug zu tun. Er wollte seine Ruhe. Er wollte sich einfach nur unter seine Bettdecke legen und mit niemanden sprechen. Allerdings war ihm das nicht vergönnt. Daher setzte er eine Maske an Gleichgültigkeit auf und antwortete jeden der ihn ansprach so einsilbig und kalt er konnte. Er hatte keine Wahl. Nachsitzen war nichts, das man einfach ausfallen lassen konnte, schon gar nicht bei Professor Snape. Am Abend stolperte Harry einige Schritte hinunter in den Kerker und schließlich klopfte er an der Tür des Professors. 

Wege eines SlytherinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt