Kapitel 45: Ratte, Wolf und Hund

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Wie durch eine Wand hörte er Ginnys Stimme: „Wir sind hier oben, kommen Sie schnell!"
Dann eine andere, männliche Stimme: „Expelliarmus!" und Harry wurde von mächtigen roten Funken getroffen. Abermals wurde Harrys Zauberstab aus seiner Hand gerissen. Dieses Mal schleuderte ihn der Zauber in seiner Wucht zu Boden. 

Sofort war Harry wieder bei klarem Bewusstsein, sein Körper allerdings schmerzte zu sehr von dem Aufprall, als dass er sofort wieder hätte aufstehen können. Vor ihm stand Lupin. Sein Gesicht war blutleer, er warf zuerst Harry und anschließend Black einen schockierten Blick zu. Bevor irgendjemand etwas sagen konnte, lief Lupin zu Black und murmelte einen Heilzauber. Als Nächstes zog Lupin ihn hoch. Harry war sich nicht sicher, wer der beiden Männer blasser war - Black oder Lupin.
„Geht's wieder?", fragte Lupin.
Black nickte.
„Wo ist er?", fragte er dann. Harry verstand nicht, wovon der Professor sprach. Ein ungutes Gefühl machte sich in seiner Brust breit, als er Lupin und Black miteinander reden sah. 
Was sollte das?
Wo war wer?

Blacks Gesicht war vollkommen ausdruckslos. Zitternd hob er die Hand und deutete auf Ginny. Verdutzt wandte sich Harry zu Ginny um, die ebenfalls die Welt nicht mehr zu verstehen schien.
„Aber... warum? Warum hat er sich nie offenbart? Außer..." Lupin schien in diesem Moment ein Licht auf zu gehen. „Ihr habt getauscht, nicht wahr? Ihr habt getauscht ... und es mir nie gesagt!"
Ganz langsam nickte Black, immer noch seinen Blick auf Harry gerichtet.
„Professor... was?", fragte Harry. Doch er kam mit seiner Frage nie zu Ende, denn was er sah, würgte seine Stimme ab. Lupin ließ den Zauberstab sinken und zog Black in eine Umarmung. Harry fühlte sich, als hätte ihm jemand in den Magen geschlagen.
„Nein!", rief Ginny. „Nein, nein, nein! Das ist nicht möglich! Sie und er!", rief Ginny.
„Ginny, versteh doch", begann Lupin.
„Wir haben es niemanden erzählt! Wir haben es für Sie vertuscht! Dabei waren Sie auf seiner Seite, die ganze Zeit!", schrie sie.
Harry hingegen schüttelte es noch mehr. All die Stunden, die er mit dem Mann in einem Klassenzimmer verbracht hatte - all die Dinge, über die sie gesprochen hatten. Die Wut, die er zuvor nur auf Black gespürt hatte, schlug nun auch auf Lupin über. Er wollte seinen Zauberstab zurück, wollte, dass sie beide starben.
„Ich hab ihnen vertraut! Ich dachte sie wären ein Freund meiner Eltern gewesen! Dabei waren Sie genauso eine Ratte wie er!", brüllte Harry.
„Du irrst dich, ich war bisher nicht auf Sirius' Seite. Nicht, bis heute Abend", sagte Lupin.
Harry wollte auf Lupin losstürzen, doch Ginny griff nach seinem Umhang.
„Bleib weg von ihm Harry! Man kann ihm nicht trauen, er ist ein Werwolf", sagte Ginny plötzlich.
Eine unheimliche Stille trat in den Raum. Alle Blicke waren nun auf Ginny gerichtet.
„Seit wann weißt du es?", fragte Lupin.
„Schon ne' Ewigkeit. Als sie zum ersten Mal krank waren, ließ Snape alle zweiten und dritten Klassen einen Aufsatz über Werwölfe schreiben."
„Er wird sich freuen", sagte Lupin kühl. „Er hoffte bei dieser Aufgabe wohl, dass irgendjemand die Symptome erkennen würde. Wie hast du es gemacht? Im Mondkalender nachgesehen und festgestellt, dass ich immer zu Vollmond krank war?"
Ginny schüttelte den Kopf. „Ich war es nicht. Daphne - sie hat es sofort erkannt."
Lupin lachte bitter. „Ja, ich hörte schon von Hagrid, dass dieses Mädchen eine ganz besondere Vorliebe für alles Haarige und Gefährliche hat."
Ginny knurrte bitter. „Sie meinte, Sie haben eine Chance verdient und uns schwören lassen, dass wir es niemanden sagen. Wären Astoria und ich nur etwas schlauer gewesen, hätten wir es vor Monaten allen verraten."
„Aber das wissen sie schon", sagte Lupin ruhig. „Zumindest die Lehrer."
„Dumbledore wusste es?", fragte Ginny ungläubig.

Harry schnaubte. „Bei seinem Talent, schwarze Zauberer zu erkennen, grenzt es an ein Wunder, dass der Dunkle Lord mich noch nicht erwischt hat."
Nun wurde Black laut. Auch wenn seine Stimme noch immer heiser war, brüllte er: „Wage es nicht, mich noch einmal mit diesem Monster Voldemort gleich zu setzen!"
Ginny zuckte beim Klang des Namen zusammen. Harry hatte noch nie jemand anderen als Dumbledore und Lupin getroffen, der es wagte, den Namen auszusprechen. Es war auch egal. Sollte Black nur herkommen - Harry würde zu Ende bringen, was er begonnen hatte.
Doch Lupin hielt Black zurück.
„Tatze! Das bringt doch nichts. Sie müssen uns zuhören, oder das alles hier hatte keinen Sinn! Harry, hör zu - bis heute Abend war ich, wie du, der festen Überzeugung, dass Sirius es war, der deine Eltern verraten hat. Aber wir lagen alle falsch!"

„Ach ja", sagte Harry ölig. „Und wir sollen Ihnen einfach glauben? Nachdem Sie mich entwaffnet und Black in die Arme geschlossen haben? Ihnen glauben, dass Sie nicht mit ihm unter einer Decke stecken? Woher wussten Sie sonst, dass wir hier sind?"
„Deine Freunde sind mir über den Weg gelaufen, als ich gerade von Snape zurück kam um mir einen Trank zu holen. Ich habe sofort auf die Karte gesehen und beobachtet, wie Sirius mit Ginny am Ende des Ganges verschwand. Allerdings sind sie nicht nur zu zweit gewesen. Sie waren zu dritt!"
Einen Augenblick nur brauchte Harry, um zu verstehen, was er da gerade gehört hatte. Irritiert fragte er: „Die Karte... Moment! Sie wissen, wie man sie benutzt?"
Zum ersten Mal schien ein ehrliches Lächeln auf die Lippen des Professors zu schleichen.
„Ja, Harry. Ich habe an ihr mitgeschrieben. Moony - so lautete mein Spitzname an der Schule..."
„Aber sie waren nur zu zweit! Ich war weit hinter ihnen!"
„Ich rede auch nicht von dir. Ginny, wärst du wohl so nett, mir mal die Ratte zu zeigen?"
„Was? Nein, sie gehört meinem Bruder!", sagte sie und umschloss das laut quiekende Tier fester.
„Keine Sorge, wenn er wirklich nicht mehr als eine Ratte ist, wird ihm nichts geschehen."
„Aber was...", begann Harry und in diesem Moment dachte er an den Abend, als er Peter Pettigrew im Schloss gesehen hatte. Eine Ratte war zwischen seinen Beinen hindurchgelaufen. „Nein... das ist nicht möglich! Es wurde nur..."
Harry sah, wie die Ratte in Ginnys Hand immer mehr zitterte. An ihrer Vorderpfote fehlte ein Zeh.
Sie mussten lügen, versuchte Harry sich selbst zu überzeugen. Es war doch eigentlich nicht möglich... aber... er musste es wissen. Er musste jeden Zweifel ausräumen.
„Gib ihnen die Ratte, Ginny!"
Ginny sah entsetzt zwischen Harry und Lupin hin und her.
„Bitte. Vertrau mir", sagte Harry sanft. Langsam streckte sie ihre Hände aus und übergab Lupin die Ratte, die wild um sich schnappte.

Lupin ließ Krätze keine Sekunde aus den Augen, hob jedoch den Zauberstab.
„Zusammen?", fragte Lupin. Nun kam auch Black näher. Er hatte mittlerweile Ginnys Zauberstab wieder aufgehoben. Harrys erste Reaktion war, sich schützend vor Ginny zu stellen.
„Keine Sorge, wir tun euch nichts", versicherte Lupin. „Eins, zwei, DREI!"
Blauweiße Blitze schossen aus ihren Zauberstäben hervor. Einen Moment blieb Krätze in der Luft stehen. Dann war es, als würde man dabei zusehen, wie ein Baum im Zeitraffer wächst. Zuerst wucherte ein Kopf empor, als nächstes Gliedmaßen und schließlich stand ein kleiner, kahler Mann vor ihnen, nicht viel größer als Harry selbst. Er machte den Eindruck eines Mannes, der in kurzer Zeit sehr viel Gewicht verloren hatte. Harry bemerkte, dass sein Blick schnell in Richtung Türe huschte.
„Hallo Peter", sagte Lupin freundlich, als wäre es nichts ungewöhnliches, das Ratten plötzlich zu alten Schulfreunden werden. „Lange nicht gesehen..." Sofort schoss er einen Fesselfluch auf den kleineren Mann.
„S-s-sirius... R-r-r-remus... meine alten Freunde!", quiekte der Mann.
„Ach Peter... weißt du, wir hatten eine kurze Unterhaltung über den Geheimniswahrer von Lily und James", sagte Lupin.
„D-d-du wirst ihm doch nicht wirklich glauben?", fragte Pettigrew, wobei seine Augen immer wieder ängstlich zwischen Tür und Harry hin und her huschten. Bevor Lupin etwas antworten konnte, flog die Tür erneut auf und ein weiterer roter Blitz entwaffnete Lupin und Black. Professor Snape stand vor ihnen und blickte ungläubig von Black, zu Lupin und Pettigrew.

Wege eines SlytherinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt