Kapitel 76: Die dritte Aufgabe

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Das Abendrot hatte sich wie ein magischer Schleier um das Schloss gelegt. Die Sonne hatte die ganzen Ländereinen in ein Blutrot getaucht, die Blätter des verbotenen Waldes sahen aus wie aus einem Landschaftsgemälde und die Sommerblumen auf der Wiese zwischen Hagrids Hütte und der Beauxbatonskutsche wiegten sich in einer sanften Sommerbrise. Doch keine der fünf Personen, die gerade Hogwarts durch das große Eichentor verlassen hatten, schien auf die Schönheit der Umgebung zu achten. Harry lief als letzter der Champions durch den Ausgang, wo Bagman mit einem wohlwollendem Lächeln auf ihn wartete.
„Wie steht's mit dir, Harry?", fragte Bagman, während sie draußen die Steintreppe hinunterstiegen. „Traust du es dir zu?"
„Ich denke, ich werde es hinkriegen", sagte Harry und bemerkte, dass er es auch wirklich so meinte. Er hatte das ganze Jahr mit den Slytherins trainiert und wusste, dass er nicht besser auf die Aufgabe vorbereitet sein könnte. Er beherrschte mit seinen 14 Jahren wohl mehr Flüche, Hexereien und Verwünschungen als die meisten Schüler bei ihrem Abschluss.
Sie betraten das Quidditch-Feld, das inzwischen nicht mehr wiederzukennen war. Eine sieben Meter hohe Hecke war um das ganze Spielfeld herum gewachsen. Direkt vor ihnen lag eine Öffnung: der Eingang zum weitläufigen Irrgarten. Der Weg hinein verlor sich in beklemmender Dunkelheit.
Fünf Minuten später füllten sich die Ränge. Der Himmel hatte ein tiefes, klares Blau angenommen und es schienen schon die ersten Sterne. Hagrid, Professor Moody und die Hauslehrer betraten das Stadion und gingen auf die Champions zu.
„Wir werden um den Irrgarten herum Wache gehen", sagte McGonagall zu den Champions. „Sollten Sie in Schwierigkeiten stecken und gerettet werden wollen, sprühen Sie rote Funken in die Luft. Einer von uns wird Sie herausholen. Verstanden?"
Keiner der Champions antwortete, alle waren in ihren Gedanken versunken. Krum murmelte den ein oder anderen Zauber vor sich hin. Delacour hatte ihre Hand sanft auf Diggorys Schulter gelegt und nickte ihm aufmunternd zu. Harry hingegen straffte seine Schulter und machte sich bereit.
„Na dann los!", sagte Bagman und strahle die Labyrinthpatrouille an.
„Viel Glück, Harry", flüsterte Hagrid. Snape trat an Harrys Seite und warf ihm einen intensiven Blick zu. Er schnarrte zum Abschied: „Machen Sie nichts Dummes, Potter."
Die sechs Lehrer trennten sich um ihre Posten im Umkreis des Labyrinths einzunehmen.

Bagman richtete den Zauberstab auf seine Kehle, murmelte „Sonorus" und seine magisch verstärkte Stimme hallte auf den Tribünen wider.
„Meine Damen und Herren, gleich beginnt die dritte und letzte Runde des Trimagischen Turniers. Zu ihrer Erinnerung noch einmal der Punktestand. Mit jeweils dreiundachtzig Punkten zusammen auf dem ersten Platz - Mr. Diggory und Mr. Potter, beide von der Hogwartsschule!"
Jubelschreie und Applaus ließen einige Vögel aus dem Verbotenen Wald in den abendlichen Himmel flattern.
„Auf dem zweiten Platz mit achtzig Punkten - Mr. Krum vom Durmstrang-Institut!"
Ebenfalls Applaus.
„Und auf dem dritten Platz - Miss Fleur Delacour von der Beauxbatons-Akademie!"
Harry konnte gerade noch erkennen, wie Mr. und Mrs. Diggory ihr höflich Applaus spendeten. Darunter saßen Ginny, Daphne und Draco, die ihm begeistert zuwinkten. Harry winkte zurück und dann...
„Nun... auf meinen Pfiff - Harry und Cedric!", sagte Bagman. „Drei-zwei-eins!"

Er blies kurz und kräftig in seine Trillerpfeife. Harry und Diggory liefen in den Irrgarten hinein. Kaum hatten sie den Irrgarten betreten wurde es dunkel und die Stimmen von draußen erstarben. Harry zog seinen Zauberstab und murmelte „Lumos". Er hörte, dass Diggory hinter ihm das Gleiche machte. Sie drängten sich dicht an dicht und gaben dem jeweils anderen keine Möglichkeit, schneller davon zu laufen, bis sie zu einer Gabelung kamen.
„Steh mir nicht im Weg, Potter!", fauchte Diggory und bog rechts ab.
Harry hörte Bagman zum zweiten Mal pfeifen. Nun hatte also Krum den Irrgarten betreten. Harry beschleunigte seine Schritte. Der Weg, den er gewählt hatte, schien völlig leer. In der Ferne gellte zum dritten Mal Bagmans Pfeife. Nun waren also alle Champions im Irrgarten.
Dann kam Harry erneut zu einer Gabelung.
„Weise mir die Richtung!", flüsterte Harry seinem Zauberstab zu und legte ihn auf seine flache Hand. Der Zauberstab funktionierte wie ein Kompass und Harry wusste, dass er nach Nordwesten musste, um die Mitte des Labyrinths zu erreichen, also entschied er sich für den linken Weg.
Der Weg lag wie ausgestorben da. Er wusste nicht warum, doch irgendwie beunruhigte ihn das vollkommene Fehlen jeglicher Hindernisse. Plötzlich sah er eine seltsame Gestalt auf sich zuwanken.
„Ginny!", hauchte er entsetzt. Sie war blass und verletzt. Wie kam sie nur in dieses Labyrinth? Er hechtete zu ihr, wollte sie in den Arm nehmen, doch ehe er sie erreicht hatte, brach sie lautlos zusammen - ihre Augen waren leblos.
Harry lief verzweifelt zu ihr und schüttelte sie. Sie fühlte sich kalt an. Nein - nein das durfte nicht sein. Dann fiel ihm ein: Es konnte gar nicht sein. Ginny saß mit seinen Freunden auf der Tribüne. Sie war nicht in Gefahr.
„Du bist ein Irrwicht!", stellte Harry fest. Harry dachte an etwas lustiges. Ron Weasley, der beim Versuch einen Quaffel zu halten vom Besen fiel. Hermine Granger, der Vorderzähne immer länger wurde, bis sie aussah wie ein Biber. Die Hufflepuffs, die vom grünem Schleim ihrer Anstecker bedeckt waren.
„Riddikulus!", rief Harry und mit einem Puff war der leblose Körper verschwunden.
Harry lief weiter. Einmal Links, einmal rechts - Sackgasse. Er ging zurück. Immer weiter durch den Irrgarten, bis er wieder einmal in einer Sackgasse endete. Plötzlich hörte er Schritte auf dem erdigen Boden des Labyrinths.
„Du!", rief eine Stimme hinter ihm. Harry fuhr herum. Hinter ihm stand Delacour mit erhobenen Zauberstab. Sie hatte einen wahnsinnigen Blick in den Augen und Harry war sicher, dass irgendetwas nicht mit ihr stimmte. Sie schwankte leicht und ihre Haare klebten verschwitzt auf ihrer Stirn. Ja, Delacour mochte Harry nicht besonders, doch die Person, die vor ihm stand, schien rasend vor Wut.
„Isch werde nischt zulassen, das ein kleiner Junge wie du es bischt, mich noch einmal läscherlich macht!", sagte sie. Ihre Stimme klang verwaschen und undeutlich, fast als würde sie lallen. Sie hob ihren Zauberstab, doch Harry war schneller.
„Stupor!", rief er. Der rote Blitz schoss aus seinem Zauberstab und das Mädchen brach zusammen. Ohne lange zu überlegen, sendete Harry rote Funken in die Luft. Als er auf die geschockte Hexe zurückblickte, stellte sich in seiner Magengegend ein seltsames Gefühl der Genugtuung ein. „Eine draußen, bleiben noch zwei", dachte Harry und lief weiter.

Wege eines SlytherinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt