Kapitel 35: Unheil angerichtet

761 47 3
                                    


Madame Pomfrey entließ Draco am Sonntagvormittag. Harry musste jedoch noch länger bleiben. Er klagte nicht darüber. Der Strom der Besucher riss nicht ab. Alle kamen, um ihn aufzumuntern. Vince und Greg brachten ihm Süßigkeiten, die sie im Honigtopf gekauft hatten. Hagrid schickte ihm einen Strauß Ohrwurmblumen, der wie ein gelber Kohlkopf aussah und eine Melodie vor sich hin summte. Ginny brachte ihm mit knallrotem Kopf eine Genesungskarte. Sie hatte aus dem Vorfall im Vorjahr gelernt und es bei einer einfachen Karte belassen. Auch das Quidditchteam besuchte ihn ein weiteres Mal. Sie versicherten ihm alle, dass es nicht seine Schuld gewesen war. Bis es dunkel wurde, wichen Draco und Daphne nicht von seiner Seite. 

Doch niemand konnte ihn aufheitern. Sie wussten ja alle nur die Hälfte. Er hatte keinem vom Grimm erzählt, aus Angst, wie sie reagieren würden. Tatsache war, dass er dem Grimm jetzt schon zwei Mal begegnet war und beide Male war er danach in gefährliche Situationen geraten. Würde der Grimm ihn jagen, bis er wahrhaftig den Tod fand?

Dann waren da noch die Dementoren. Alle sagten, die Dementoren seien schrecklich. Außer Harry wurde niemanden bei ihrem Anblick schwarz vor Augen.
Niemand sonst hörte die Todesschreie seiner Mutter. Er schämte sich für sie. Sie war nur ein Schlammblut... und dennoch - hatte sie sich nicht geopfert, damit er leben konnte? Wie viele hätten den Mut gehabt, sich dem Dunklen Lord in den Weg zu stellen? 
Immer wieder hörte er ihr Bitten, wenn er versuchte im Mondlicht Schlaf zu finden. Einerseits war es schrecklich, diese Rufe zu hören. Andererseits sehnte er sich auch irgendwie danach, seiner Mutter nahe zu sein. Sie hatte ihn geliebt, dessen war er sich sicher. Seine Mutter hatte ihn bedingungslos geliebt und auch wenn sie nur eine Muggelgeborene war, sie hatte ihn gerettet. Er befand sich in einem inneren Zwiespalt, den er nicht in Worte fassen konnte. 

Es war eine Erleichterung für ihn, am Montag ins lärmende Schloss zurück zu kehren. Es stellte seine Gedanken ruhig, obwohl die Gryffindors keinen Moment ausließen, sich über ihn lustig zu machen. Ron Weasley wurde nicht müde, seinen Sturz nachzuahmen. Als Harry an ihm vorbeiging, zog er seine Kapuze über und ahmte einen Dementoren nach.
Beim Frühstück reichte es Harry schließlich. Wieder sah er Weasley, Thomas und Finnigan, die sich über ihn lustig machten. Schon viel zu viele Jahre ließ er sich die Gemeinheiten der Gryffindors gefallen.
„Es reicht. Ich gehe jetzt rüber." 
„Warte, ich komme mit", meinte Draco. Auch Vince und Greg schlossen sich den beiden an. Harry stapfte zum Gryffindortisch, wo Weasley gerade sagte: „Habt ihr Potters Blick gesehen, als die Dementoren auf ihn zugekommen sind. So ein Feigling!"
Einige Gryffindors um ihn herum lachten.
„Hey Weasley", sagte Harry ruhig. Ron Weasley fuhr herum und erstarrte, als er sah, dass sich Vince und Greg wie Bodyguards hinter Harry aufgebauten.
„Du findest also, dass ich ein Feigling bin? Spannend. Weißt du, ich habe darüber nachgedacht. Wenn ich ein Feigling bin, was bist dann du?", schnarrte Harry. Weasley wurde blass.
„Ich- ich weiß nicht, was du meinst."
„Nun... ich musste gerade an unser kleines Abendteuer in der Kammer im letzten Jahr denken. Dein Zittern und dein Wimmern - war das irgendeine neue Form des Zauberns, die sich das ehrenwerte Haus Gryffindor ausgedacht hat?", fragte er mit einem fiesen Lächeln auf den Lippen. Hinter ihm lachten Vince, Greg und Draco. Ron wurde knallrot im Gesicht. Er sprang auf, ballte seine Faust und wollte gerade etwas sagen, als auch schon McGonagall neben ihnen stand. Diese Frau konnte Ärger riechen! 

„Gibt es ein Problem, Potter?", fragte sie.
„Natürlich nicht, Professor. Ich wollte Weasley nur an etwas erinnern. Ich geh auch schon an meinen Tisch zurück", sagte er unschuldig. Damit kehrten die Slytherins hoch erhobenen Hauptes an ihren Platz zurück.
„Großartig, Harry!", gratulierten ihm Vince und Greg, als sie sich setzten. Weasley war immer noch knallrot im Gesicht und funkelte ihn böse an. Granger redete beruhigend auf ihn ein. Die Weasley Zwillinge hingegen schüttelten nur den Kopf.

Er war fast froh, als die Verteidigungsstunde begann, die sie in diesem Jahr nur mit ihrem eigenen Haus hatten. Von den Slytherins wagte es niemand, auch nur ein böses Wort über Harry zu verlieren. Als der Professor durch die Türe kam fielen ihm die Worte von Daphne wieder ein - Lupin hatte die Dementoren bereits zwei Mal vertrieben.
Während am Ende der Stunde - sie hatten ein Wesen genannt Hinkepank behandelt - alle ihre Sachen packten, trödelte Harry so lange herum, bis nur noch er und Lupin in der Klasse waren. Ein amüsiertes Funkeln trat in die Augen des Professors.
„Möchtest du mit mir sprechen, Harry?", fragte er. Harry nickte. Er durfte sich nicht von seiner Wut auf den Professor leiten lassen. Er brauchte etwas von ihm. Harry brachte allerdings kein Wort heraus. Dafür sprach Lupin: „Ich habe das Spiel gesehen. Tut mir sehr leid mit deinem Besen - lässt er sich wirklich nicht reparieren?"
Harry schüttelte den Kopf. Lupin seufzte.
„Sie haben die Weide in dem Jahr gepflanzt, als ich nach Hogwarts kam. Damals hat ein Schüler, Davney Gudgeon, fast ein Auge verloren. Dein Besen hatte keine Chance", sagte er mit traurigem Lächeln.

Wege eines SlytherinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt