Kapitel 83: Der Orden des Phönix

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Die nächsten beiden Wochen fand sich Harry immer besser in der Mysteriumsabteilung zurecht. Auch wenn Bole ihn behandelte, als wäre Harry ein vollkommender Idiot, verstand er sich doch sehr gut mit den anderen Mitarbeitern.
Broderick Bode, ein Unsäglicher der 4. Stufe und neben Croaker einer der Dienstältesten, war ebenfalls in der Mysteriumsabteilung angestellt und arbeitete in der Halle der Prophezeiungen. Er und Croaker hatten sich um Harry angenommen. Auch wenn sie ihm nichts genaueres darüber erzählen konnten, woran sie gerade arbeiteten, nutzten sie doch die Mittagspausen um Harry in einige Geheimnisse der Magie einzuweihen. Harry fand sein Praktikum unglaublich aufregend. Er hatte bereits einiges über Runen erfahren, von denen er nie zuvor gehört hatte. Bode hatte wohl einige Zeit in Mitteleuropa verbracht, wo es noch zahlreiche Ruinen der Germanen und Kelten gab, in denen die Runen ihrer Zauberer und Hexen an Wände gemalt waren oder in alte Tongefäße, Tonplatten und primitive Werkzeuge eingeritzt waren.
Es faszinierte Harry, wie er und Croaker von Runen berichteten, die es den Germanen möglich gemacht hatten, die Römer zu besiegen, obwohl ihre Technologie und ihre Armeen dem Imperium Romanum in so vielen Punkten unterlegen gewesen waren.
Harry genoss es, seine Pausen mit den beiden älteren Zauberern zu verbringen. Sie sahen in Harry nicht „Harry Potter - den Jungen der lebt", sondern einfach nur Harry, den Praktikanten, der das neue Wissen, dass sie ihm zur Verfügung stellten, aufsog wie ein Schwamm. Außerdem waren Bode und Croaker nicht daran interessiert, was abseits der Mysteriumsabteilung passierte. Sie interessierten sich nicht dafür, dass Diggory im Tagespropheten behauptete, dass Harry mit dem Dunklen Lord gekämpft hatte. Sie interessierten sich auch nicht dafür, dass der Zaubereiminister durch die Blume hindurch behauptete, dass Dumbledore und Diggory verrückt waren und auch nicht dafür, dass Harry die Schuld daran gegeben wurde. Doch Harry hatte nicht nur deswegen Interesse an Bode. Er wollte unbedingt in die Halle der Prophezeiungen.

Bevor er jedoch in diesen Raum konnte, musste er seine Arbeit erledigen. Bole machte ihm das nicht unbedingt leichter. Er hasste Harry, da er dachte, Harry war ein arroganter Junge, der Vorteile daraus zog, berühmt zu sein. Auch wenn Bole vermutlich recht hatte, dass Harry das Praktikum nicht bekommen hätte, wenn er nicht Harry Potter wäre, fand Harry sein Verhalten doch übertrieben. Schließlich war Harry durchaus nicht untalentiert, was Okklumentik betraf - wie viele konnten schon von sich behaupten, Dumbledore aus ihrem Kopf vergehalten zu haben. Doch all das half ihm nichts, während er mit Bole arbeitete.
Im Raum des Denkens wurden, während Harry dort arbeitete, die Auswirkungen des Cruciatus Fluches erforscht, um so nach einer Methode zu suchen, die Langzeitwirkungen umzukehren. Dazu musste Harry jedoch Legilimentik erlernen. Denn nur so konnten sie die Gehirne erforschen, die in dem Glaskasten standen. Die Gehirne stellten Kopien von Gehirnen dar, die durch den Cruciatus geschädigt worden waren. Es wurden immer wieder unterschiedliche Tränke an ihnen probiert, die diese Schäden aufheben sollten.
„Noch mal!", forderte Bole ihn auf. Bereits seit einer Stunde stand Harry vor dem Glaskasten und versuchte in die Gehirne einzudringen.

„Legilimens!", rief Harry und schwang seinen Zauberstab. Nichts geschah.
„Man kann doch gar nicht so untalentiert sein, wie Sie es sind!", fauchte Bole.
Harry wusste nicht, wie er es angehen sollte. Das einzige Mal in seinem Leben, dass er Legilimentik angewandt hatte, hatte er sie nicht selbst angewandt, sondern nur, weil er Snapes Angriff aus versehen umgekehrt hatte. Außerdem hatten die Gehirne noch nicht einmal Augen, auf die er sich konzentrieren konnte. Langsam aber sicher frustrierte ihn die ganze Angelegenheit.
„Das ist nicht so einfach. Die Dinger haben ja nicht mal Augen!", murrte Harry.
„Versuchen Sie nicht, Ihre Inkompetenz auf andere Dinge zu schieben!", maulte Bole. „Üben Sie weiter, ich habe zu tun!" Er setzte sich wieder an den Schreibtisch und arbeitete an einigen Runen und Zaubertrankberechnungen.
Harry hingegen stand den ganzen Tag nur da und versuchte in das Gedächtnis der Gehirne einzudringen. Langsam fragte er sich, ob in diesen Gehirnen überhaupt etwas übrig war, in das man eindringen konnte, oder ob Bole ihn nur beschäftigte, um ihn nicht in seine richtige Arbeit miteinbeziehen zu müssen.
Als es Abend wurde, war Harry sehr erschöpft und Croaker wartete wie jeden Tag beim Ausgang auf ihn, um ihn nach seinem Tag zu fragen.
„Wie läuft es, Harry", fragte er, als sie zur Tür gingen.
„Mhm", murrte Harry nur.
„Sei nicht zu enttäuscht von dir selbst. Selbst Martian hat zwei Wochen gebraucht, um in die Gehirne einzudringen. Dabei gilt er als Ausnahmetalent was die Geistesmagie betrifft. Du wirst erst in einer Woche 15, du darfst nicht zu viel von dir erwarten."
Harry seufzte. Das hatte man ihm schon einmal gesagt. Dennoch konnte es Harry nicht ausstehen, wenn er einen Zauber nicht zustande brachte. Dann kam ihnen Bode entgegen, der ebenfalls auf dem Weg nach Hause war.
„Schönen Abend, Harry, Saul", verabschiedete er sich.
Plötzlich fiel Harry etwas ein. Er musste die Gelegenheit nutzen. Alle anderen waren bereits gegangen, nur noch Croaker und Bode waren in der Abteilung.
„Mr. Croaker, Mr. Bode, ich hätte eine Frage", begann Harry.
„Natürlich hast du das... unsere Abteilung ist recht faszinierend", meinte Croaker überschwänglich.
„Es geht... um die Halle der Prophezeiungen", sagte Harry. Bode und Croaker fixierten ihn.
„Ich bin nicht sicher, ob ich ihre Frage beantworten kann. Sie kennen die Regeln. Ihnen wird lediglich Zugang zu jener Abteilung gewährt, in der Sie diesen Sommer arbeiten, Harry", sagte Bode.
„Ich... ich wollte eigentlich nur wissen, ob jede Prophezeiung, die jemals ausgesprochen wurde, in diesem Raum aufbewahrt wird", fragte Harry. Bode sagte nichts. Croaker hingegen räusperte sich.
„Oh, nein Harry. Nicht jede Prophezeiung wird von uns verwaltet. Nur jene Prophezeiungen, die von echten Sehern gemacht wurden. Echte Prophezeiungen, die tatsächlich die Zukunft vorhersagen", erklärte Croaker.
„Wussten Sie, dass es eine Prophezeiung gibt, die meine und die Zukunft des Dunklen Lords vorhersagt?", fragte Harry. Bode weigerte sich noch immer, in dieses Gespräch einzusteigen.
„Das ist uns durchaus bewusst", sagte Croaker und kniff nun die Augen zusammen.
„Sie wissen, was sie besagt?", fragte Harry. Croaker schüttelte den Kopf.
„Nur diejenigen, die die Prophezeiung betrifft, können sie auch nehmen", erklärte er Harry.
„Ich muss verhindern, dass der Dunkle Lord von der Prophezeiung erfährt. Wäre es möglich, zutritt zu ihr bekommen?", fragte Harry.
„Ich denke nicht...", begann Bode.
„Natürlich. Broderick, wärst du so nett, Harry zu seiner Prophezeiung zu führen?", fragte Croaker. Harry lächelte Croaker zufrieden an. Er hatte wirklich Glück, dass der Ältere ihn so ins Herz geschlossen hatte, auch wenn Harry nicht genau wusste, warum.
„Aber Saul - wir sind dazu da, die Prophezeiungen aufzubewahren, bis ihre Betroffenen von ihr gehört haben!", sagte Bode. Croaker sah Bode an, als hätte dieser gerade etwas unglaublich blödes gesagt.
„Broderick, du denkst doch nicht, dass wir Du-weißt-schon-wen in diese Abteilung spazieren und ihn einfach so die Prophezeiung hören lassen!"
„Natürlich nicht!", knurrte Bode. Trotzdem schien er nicht glücklich mit der Antwort auf Harrys Bitte zu sein.
„Schön, dann sollten wir wohl gehen", sagte Croaker. Der ältere Zauberer führte Harry in eine Halle, in der Links und Rechst hunderte Regale standen. In den Regalen befanden sich kleine Kristallkugeln auf seltsamen Halterungen. Auf den Halterungen waren die Namen derjenigen geschrieben, die die Prophezeiung betraf. Er brachte Harry zu einem Regal, wo er die Kugel sah, die seinen Tod bedeuten könnte, würde sie in die falschen Hände geraten.
Ohne lange darüber nachzudenken sagte Harry: „Reductio!" und sie zerfiel zu staub.
„Ich kannte den Inhalt bereits", erklärte Harry, nachdem er den verwirrten Blick von Bode und Croaker sah. „Und ich habe nur nicht vor, einer bestimmten Personen den Inhalt zugänglich zu machen."
Die beiden älteren Zauberer nickten, wobei Harry sicher war, das Bode alles andere als begeistert war, während Croaker zufrieden lächelte. Croaker erschuf eine neue Glaskugel, die aussah, wie jene, die Harry zerstört hatte.
„Nur, falls jemand danach suchen sollte", meinte Croaker zwinkernd. „Eine leere Form, ohne Inhalt."
Als sie den Lift betraten, sagte Croaker zum Abschied: „Vergiss nicht, dass die Zauberei-Erlaubnis nur für deine Anwesenheit in der Mysteriumsabteilung gilt. Ich würde ungern sehen, dass du der Schule verwiesen wirst, bevor du eine Ausbildung bei uns beginnen kannst."
„Natürlich, Mr. Croaker", sagte Harry. Als Mr. Croaker verschwunden war, bemerkte er, dass sich sein Amulett erhitzt hatte.
„Interessant", dachte Harry. „Das sollte ich mir genauer ansehen."

Die Tage schritten voran und schließlich war es soweit, Harry würde seinen 15. Geburtstag feiern. Am morgen seines Geburtstag - er fiel auf einen Sonntag, weshalb weder er noch Sirius arbeiten mussten - bekam er einen Brief von Ginny. Er war dicker als die Briefe, die er sonst bekam und er musste grinsen. Draco, Daphne und Harry hatten vereinbart, dass sie sich nicht direkt schreiben würden, um zu verhindern, dass eine ihrer Familien in Schwierigkeiten geriet. Deshalb hatte sich Draco, der verdammt gerissen sein konnte, wenn er nur wollte, ein einfaches, aber effektives System überlegt, mit dem sie dieses Problem umgehen konnten.
Ginnys Familie stand, soweit sie wussten, unter dem Schutz von Albus Dumbledore, weshalb sie nichts zu befürchten hatten. Harry schrieb also weiterhin an Ginny. Das Astoria und Ginny befreundet waren, war kein Geheimnis. Da es sich bei der Familie Greengrass um eine neutrale Familie handelte, wurden sie von den meisten einfach ignoriert. Und so schrieben sowohl Daphne und Draco als auch Astoria und Ginny miteinander. Damit Harry und Draco weiterhin in Kontakt bleiben konnten, schrieb also Daphne an Draco und umgekehrt. Ihre eigenen Briefe sowie die von Draco schickten sie anschließend über Astoria an Ginny, die diese an Harry weiterleitete.
Tatsächlich hatte er also Geburtstagsgrüße von all seinen Freunden erhalten, ohne dass der Dunkle Lord, Dumbledore oder das Ministerium davon Wind bekamen. Fröhlich lief er die Stufen hinunter zu Sirius, der ihn bereits mit einem ausgiebigen Frühstück erwartete.

„Alles Gute zum Geburtstag, Harry!", sagte Sirius, als Harry die Küche betrat.
„Danke, Sirius", antwortete Harry.
Sirius reichte ihm ein Stück Toast und einen Kaffee. „Und schon Pläne für heute?", fragte Sirius. Er hatte einen seltsamen Blick aufgesetzt. Harry bemerkte sofort, dass etwas im Busch war.
„Was ist los?", fragte Harry.
„Was soll denn los sein?", fragte Sirius.
„Du solltest unser beider Intelligenz nicht beleidigen, indem du behauptest, es wäre nichts", meinte Harry schlicht. Sirius druckste herum.
„Nun, weißt du Harry, früher, als Voldemort zum ersten Mal seine Anhänger um sich scharrte, da hat Professor Dumbledore einen geheimen Orden aufgebaut, um Voldemort Widerstand leisten zu können", begann Sirius. Harry kniff die Augen zusammen. Ja, das hörte sich nach Dumbledore an. Geheimnisse waren eine Spezialität des Schulleiters.
„Du wirst dich ihm wieder anschließen", stellte Harry fest.
Sirius räusperte sich. „Nun... um genau zu sein, bin ich seit dem Tag, an dem du von diesem Friedhof zurückgekehrt bist, wieder im Dienst des Ordens unterwegs."
„Er hat dich losgeschickt um die anderen Mitglieder zu finden", schlussfolgerte Harry, als er an die Worte des Schulleiters im Krankenflügel dachte. Sirius nickte.
„Na schön... aber warum ist das jetzt plötzlich ein Thema, dass wir besprechen müssen?", fragte Harry. Harry sah ihm genau in die Augen. Seine Legilimentik mochte nicht besonders stark sein, aber um herauszufinden, ob sein Pate ihn anlog, brauchte sie das auch nicht.
„Harry... du musst wissen, im ersten Krieg gegen Voldemort habe nicht nur ich mich dem Orden angeschlossen. Auch deine Mutter und dein Vater standen hinter Dumbledore", sagte Sirius.
„Das dachte ich mir schon", sagte Harry ungeduldig.
„Dumbledore hat angedeutet, dass du dich entschieden hast, zu kämpfen", sagte Sirius.
Harry hob eine Augenbraue.
„Hat er das?", fragte Harry. Harry erinnerte sich nicht daran, das gesagt zu haben. Er hatte lediglich gemeint, er würde alles tun, um seine Freunde und seine Familie zu beschützen.
„Ja, Harry. Und als ich das hörte, war ich mir sicher", fuhr Sirius fort.
„Wobei warst du dir sicher?", fragte Harry. Seit wann musste er seinem Paten alles aus der Nase ziehen? Sonst war er doch der erste, der seine Gedanken offenbarte. Ja, sie sogar in die ganze Welt hinausschrie.
„Ich habe Albus gebeten, dich in den Orden aufzunehmen", sagte Sirius.
„Du hast was getan?", fragte Harry. Er wurde nicht laut. Seine Stimme nahm hingegen einen drohenden Ton an. Wie konnte sein Pate es wagen, eine solche Entscheidung ohne ihn zutreffen? Harry wollte nicht kämpfen, hatte es nie gewollt. Doch Sirius schien das nicht zu irritieren.

„Und Dumbledore hat zugestimmt", sagte Sirius weiter. Das konnte doch nicht ihr ernst sein.
„Ich will das nicht! Ich will nicht kämpfen! Ich will einfach nur ein guter Zauberer werden, meinen Schulabschluss machen und mit Ginny zusammen sein. Sollen sich Dumbledore und der Dunkle Lord doch die Köpfe einschlagen, so lange sie wollen!", sagte Harry.
Sirius sah aus, als hätte Harry in gerade ins Gesicht gespuckt.
„Harry, Voldemort wird dich nicht einfach in Ruhe lassen!", sagte er.
„Da haben er und Dumbledore ja etwas gemeinsam!", antwortete Harry.
„Du kannst Dumbledore nicht mit Voldemort vergleichen! Dumbledore will verhindern, dass Voldemort eine Schreckensherrschaft errichtet, in der nur noch jene etwas Wert sind, die seiner verdrehten Ideologie von reinem Blut entsprechen!", sagte Sirius.
Am liebsten hätte Harry Sirius gefragt, ob er wusste, das Harry in Slytherin war. Die Idee, dass Muggelgeborene in ihre Welt gelassen wurden und sie so immer mehr veränderten gefiel Harry auch nicht besonders. Auch wenn er es eher wie die Greengrasses und nicht wie der Dunkle Lord hielt: Die Muggelgeborenen und die Muggel waren einfach zu viele, um etwas gegen sie tun zu können.
„Was geht mich das anß", fragte Harry stattdessen.
Sirius sah aus, als würde er die Welt nicht mehr verstehen. „Harry, der Dunkle Lord ist hinter dir her. Und wenn er dich nicht findet, wird er bald hinter deinen Freunden her sein. Hinter Ginny!", sagte Sirius.
„Zieh Ginny da nicht mit rein!", drohte Harry. Er erschauderte, als er daran dachte, dass Ginny die erste in Slytherin gewesen war, die bereit war, gegen den Dunklen Lord zu kämpfen. Die Erste und die Einzige.
„Das ist nicht meine Absicht. Doch wenn du sie wirklich beschützen willst, dann muss der Dunkle Lord vernichtet werden!", sagte Sirius.
„Ich habe aber keine Lust im finalen Showdown von dem Psychopathen und dem alten Mann eine Schachfigur zu sein, die hin und her geschoben wird, wie sie gerade gebraucht wird!", sagte Harry.
Sirius sah aus, als würde er langsam an seinem Patensohn verzweifeln.
„Du musst verstehen! Voldemort bekommt normalerweise, was er möchte! Du brauchst Dumbledores Schutz und Dumbledore braucht deine Unterstützung. Genau wie Ginny Dumbledores Schutz braucht. Sie ist alleine dadurch in Gefahr, dass du mit ihr befreundet bist!", sagte Sirius. Harry wurde unsicher. Er wollte Ginny nicht in Gefahr wissen.
„Ich habe dir bereits einmal gesagt, das ich Dumbledore nicht traue! Das hat sich auch im letzten Jahr nicht geändert!", sagte Harry. Dumbledores kleine Stunts vor wenigen Wochen, ihn verletzt und unter dem Einfluss von mehreren Tränken die Befragung eines Todessers ansehen zu lassen, nur um ihm eine Lektion zu erteilen sowie ihr kleines Gespräch über die Prophezeiung hatten eher das Gegenteil bewirkt.
„Auch wenn du ihm nicht vertraust, Harry - du vertraust doch mir, oder?", fragte Sirius. Vertraute er Sirius? Bis zu einem gewissen Grad würde er Sirius sein Leben anvertrauen. Doch anders als Sirius selbst war Harry nicht blind. Er wusste, dass Sirius auf Dumbledore hörte und die Worte des Schulleiters über alles stellte, ohne sie in Frage zu stellen.
„Ich vertraue dir, Sirius. Das ändert allerdings nichts an meiner Einstellung zu Dumbledore", sagte Harry.
„Das muss sie auch nicht. Harry - im Orden bist du sicher. Du bekommst die Unterstützung die du brauchst. Und wenn du im Orden bist, kannst du dich auch selbst davon überzeugen, dass Ginny in Sicherheit ist! Wir vermuten, dass ihre Familie von Todessern beobachtet wird. Ich muss darauf bestehen, dass du dem Orden beitrittst", sagte Sirius.
Harry überlegte. Er wollte sich Dumbledore nicht anschließen. Er wollte aber auch Ginny nicht in Gefahr bringen. Er wollte jedoch auch Draco nicht gefährden. Schweigen legte sich über die Küche und einige Minuten sagte niemand etwas.
„Na schön", murrte Harry. „Unter einer Bedingung. Niemand erfährt etwas davon und ich werde meine Loyalität zu Dumbledores dummen Orden nicht offen zeigen müssen!"
„Ist das ein Ja?", fragte Sirius und setzte ein begeistertes Lächeln auf.
„Als hätte ich eine andere Wahl!", antwortete Harry geschlagen.
„Schön. Sehr schön. Dann wird heute dein erstes Treffen mit dem Orden stattfinden. Sie treffen sich heute Abend bei uns hier in der Küche", sagte Sirius.
„Dumbledores Geheimorden trifft sich in unserer Küche?", fragte Harry ungläubig.
„Nun ja... jetzt, wo du ebenfalls ein Mitglied des Ordens bist, kann ich es dir ja sagen. Ich habe Dumbledore angeboten, unser Haus als Hauptquartier zu nutzen. Es gibt kein sichereres Haus in Großbritannien. Nicht einmal Hogwarts kann da mithalten."
Harry seufzte, dann atmete er tief durch. Er war kurz davor, seinem Paten an den Hals zu gehen.
„Und wann hattest du vor, mir das zu sagen, wenn ich nicht zugestimmt hätte?"
„Ich habe nie daran gezweifelt, dass du dich richtig entscheiden würdest."
Harry zitterte vor Wut. Wie sehr er es hasste, dass alle um ihn Entscheidungen trafen, die ihn beeinflussten, aber niemand Interesse zu haben schien, einmal nach zu fragen, was er eigentlich wollte.

Am Abend fanden sich die Mitglieder des Ordens nach und nach ein. Als Harry am Abend in die Küche hinunter ging, saßen bereits einige Zauberer und Hexen am Tisch, die Harry schon kannte. Da waren Bill und Charlie Weasley, gemeinsam mit Mr. und Mrs. Weasley. Ebenfalls anwesend waren McGonagall, Amos und Silvana Diggory, Remus Lupin und - zu Harrys großer Überraschung - Arabella Figg.
„Mrs. Figg! Was machen sie denn hier?", fragte Harry erstaunt.
„Dachtest du, Dumbledore hätte dich all die Jahre allein und unbeaufsichtigt gelassen? Ich bin eine Squib mein Junge, nicht zu besonders viel zu gebrauchen, aber dazu war ich nutzte", sagte sie. Ihre Stimme klang stolz.
„Hmpf", schnaubte Harry. „Dumbledore hat sich also gesorgt? Davon habe ich wenig mitbekommen. Wo waren Sie, als die Dursleys beschlossen haben, mich im Schrank unter der Tür schlafen zu lassen? Wo waren Sie, als Gitter vor meinem Zimmer angebracht wurden, oder als Dudley mich immer und immer wieder verprügelt hat?", fragte er so leise, dass die anderen es nicht hören konnten. Er wusste, dass die Frau alles mitbekommen haben musste.
„Ich...", stotterte sie.
„Sie sind genau so schlimm wie diese dreckigen Muggel. Nein, eigentlich sogar noch schlimmer! Sie hätten mir sagen können, dass all die seltsamen Dinge, die mir passieren, Magie sind. Ich hätte mich nicht jahrelang wie ein Freak fühlen müssen. Ein Gefühl, dass ihnen ja nur zu gut bekannt sein sollte, so als Squib", sagte Harry kalt, aber immer noch leise.
„Sie sollten nicht Stolz sein, auf das, was sie getan haben. Sie sollten sich schämen!"

Mrs. Figg sah ihm entgeistert nach, als er sie einfach stehen ließ. Wut erfüllte seine Brust, als er sich auf den magisch vergrößerten Tisch setzte. Als nächster betrat Moody den Raum. Er ließ sein magisches Auge auf Harry ruhen, während er mit Sirius sprach.
„Kingsley hat mich zurück geholt", knurrte er. „Denkt wohl, dass sie jetzt, da Schlangengesicht zurück ist, den alten Moody wieder brauchen."
Harry versuchte, das Auge zu ignorieren. Doch Moody durchgebohrte ihn gerade zu.
„Potter, warum so nervös?", fragte er und machte einen Schritt auf ihn zu. Moody war noch unheimlicher als Barty Crouch. Harry schluckte.
„Lass den Jungen in Ruhe, Alastor", sagte Bill Weasley.
„Du weißt, welche Gerüchte über diesen Jungen existieren. Ich vertraue ihm nicht", sagte Moody.
„Du glaubst doch nicht den Lügen, die über ihn verbreitet werden. Harry hat gegen Du-weißt-schon-wen gekämpft und ist kein schwarzer Magier! Gerade du müsstest es besser wissen, du kommst im Tagespropheten auch selten mit einem guten Haar davon", sagte Amos Diggory plötzlich. Harry musste sich zusammenreißen, um nicht los zu lachen. Genau genommen war Harry genau das: ein schwarzer Magier. Oder zumindest ein Schüler der dunklen Künste. Und vor weniger als zwei Monaten hätte Mr. Diggory dieser Meinung wohl zugestimmt. Er fragte sich, was Diggory seinen Eltern wohl erzählt hatte.
„Mad-Eye Moody, paranoider Bastard und Stachel im fetten Hintern des Zaubereiministerium - sehe nicht viele Fehler in dieser Beschreibung", sagte plötzlich eine junge Hexe mit violettem Haar, die gerade die Küche betreten hatte. Sie grinste Sirius und Moody breit an.
„Tonks!", rief Sirius begeistert und umarmte die junge Hexe stürmisch. Tonks klopfte ihm auf die Schulter.
„Darf ich dir meine Großcousine Tonks vorstellen?", fragte Sirius. Tonks nickte Harry freundlich zu.
„Lass dich nicht von Moody verschrecken. Er ist eigentlich ein ganz Netter", sagte sie, als sie Harrys Hand schüttelte. Moody gab hinter ihr nur ein Schnauben von sich.
„Ich behalte dich im Auge, Junge!", knurrte Moody und setzte sich neben Tonks.
Als nächstes betrat ein Zauberer, den Harry bereits in seinem ersten Jahr in der Winkelgasse kennengelernt hatte den Raum, gemeinsam mit zwei Hexen jenseits der 40. Sie stellten sich als Dädalus Diggel, Hestia Jones und Emmeline Vance vor.
Hinter ihnen schlich ein dicker, nach Alkohol stinkender Mann herein, der von Moody mit einem mürrischen „Mundungus", begrüßt wurde. Harry atmete erleichtert auf, als er feststellte, dass es nun eine mehr Person im Raum gab, die finster von Moody angestarrt wurde. Als letztes traten Professor Snape und Professor Dumbledore ein. Das war er also, Dumbledores letzter Widerstand gegen den Dunklen Lord. Harry hatte es sich wirklich beeindruckender vorgestellt.

Snape warf ihm einen interessierten Blick zu und hob eine Augenbraue. Harry erinnerte sich noch zu gut an das Gespräch, das sie vor wenigen Wochen gehabt hatten. Er hatte Snape deutlich gesagt, dass er nicht kämpfen wollte. Harry's Meinung zu diesem Thema hatte sich nicht geändert. Doch wenn er eines in Slytherin gelernt hatte, dann war es, dass es klüger war, den Kopf einzuziehen, bis man einen vernünftigen Plan hatte. Schließlich setzte sich sein Professor neben ihn.
„Ich bin immer noch dagegen, Albus!", sagte Molly Weasley, nachdem Dumbledore sich gesetzt hatte.
„Molly, ich denke ich habe meine Meinung deutlich gemacht. Wenn jemand das Recht hat, die Geheimnisse des Ordens zu kennen, dann Harry", sagte Dumbledore.
„Aber... er ist doch nur ein Junge! Er ist sogar jünger als Ron!", sagte Mrs. Weasley.
„Harry hat gegen Voldemort gekämpft!", rief Sirius. „Außerdem bist du nicht seine Mutter - ich bin sein Pate!"
„Sirius hat recht, Molly", sagte Dumbledore. „Wir sollten jetzt anfangen."
„Einen Moment", fragte Harry Professor Snape leise, sodass nur er es hörte. „Muss ich keinen Schwur leisten, oder sowas? Ihr vertraut mir einfach? Das ist unglaublich dumm!"
„Wollen sie denn einen Schwur leisten, Mr. Potter?", fragte Snape scharf.
„Nein... natürlich nicht. Aber hat Dumbledore wirklich nichts aus seinem Fehler mit Pettigrew gelernt?"
Für einen Moment glaubte Harry in Snapes Gesicht ein Zeichen der Zustimmung zu sehen. Es verschwand jedoch so schnell, wie es gekommen war.
„Professor Dumbledore ist einer der klügsten Zauberer dieser Generation. Er weiß, wem er trauen kann und wem nicht", schnarrte Professor Snape. Er fragte sich wirklich, was zwischen Snape und Dumbledore vorging. Ein Slytherin vertraute nicht einfach so. Man musste sich sein Vertrauen und seine Loyalität verdienen.

Dann begann das Treffen. Diejenigen, die im Zaubereiministerium arbeiteten, berichteten von ihren Rekrutierungsversuchen neuer Mitglieder.
„Wie geht es mit der Überwachung der Mysteriumsabteilung voran?", fragte Dumbledore. Nun war Harry aufmerksam.
„Was überwachen Sie in der Mysteriumsabteilung, Sir?", fragte Harry. Die ganze Runde starrte ihn an.
„Sagten Sie nicht, Sie hätten ihm davon erzählt?", fragte Mrs. Weasley spitz, ihr Blick wanderte besorgt zu Harry und in diesem Moment verstand er.
„Es geht um die Prophezeiung", stellte Harry fest.
Dumbledore nickte. „Es wäre eine Katastrophe, wenn Voldemort die ganze Prophezeiung erfahren würde!", sagte Dumbledore. Ausnahmsweise waren sich die beiden einig. Harry hatte jedoch nicht vor, Dumbledore in irgendeiner Form zu unterstützen, weshalb er verschwieg, dass die Prophezeiung bereits zerstört war. Er wollte lediglich Informationen um sicher zu gehen, dass Ginny in Sicherheit war. Sollten sich Dumbledores Leute doch Hals über Kopf in dieses Abenteuer stürzen.
Nachdem die Bewachung der Abteilung geklärt war, ging Dumbledore weiter zur Tagesordnung. Dumbledore forderte Snape auf, nun zu sprechen, was er bei seiner Spionage erfahren hatte.
„Der Dunkle Lord baut seine Reihen wieder auf. Er rekrutiert auch in den Reihen jener, die ihre Verwandten im letzten Zauberkrieg verloren haben und nun auf Rache gegen Sie aus sind, Professor", warnte Snape.
„Niemand von uns hat jemals den Todesfluch ausgesprochen! Albus Dumbledore würde niemals wagen, einen solchen Fluch anzuwenden", meinte Sirius deutlich.
„Mir ist durchaus bewusst, dass Albus niemals jemanden getötet hat. Wir wissen jedoch beide, Black, dass der Todesfluch nur die schnellste Möglichkeit ist, jemanden zu töten, jedoch sicherlich nicht die einzige", schnarrte Snape. Harry musste seinem Professor recht geben, er hatte genug Mitschüler, deren Angehörige in Askaban verrotteten oder an den Folgen sogenannter nicht-schwarzmagischer Flüche gestorben waren. Doch damit schien Harry der einzige zu sein, der den letzten Krieg nicht mitbekommen hatte. Tonks blickte unsicher auf ihre Hände, als ob es da etwas spannendes zu sehen gäbe. Bill und Charlie Weasley hingegen sahen aus, als hätte man ihnen gerade jede Illusion geraubt. Zum ersten Mal schien den Jüngeren im Raum bewusst zu werden, dass Krieg immer Verlust bedeutete, egal, auf welcher Seite man stand.
„Ich habe kein Mitleid mit den Todessern!", sagte Sirius hart.
„Sirius! Jedes Leben verdient Respekt!", meinte Remus.
„Ihr streitet wie ein altes Ehepaar", schnarrte Snape, „Was ich eigentlich sagen wollte, bevor Black mich einmal mehr unterbrochen hat, ist, dass es durchaus auch Verluste auf Seiten der Todesser gab, im letzten Krieg. Ihre Kinder und Kindeskinder geben ihnen dafür die Schuld, Albus. Der Dunkle Lord wusste schon immer, wie er jene manipulieren muss, die ihm nützlich sein können. Wir müssen vorsichtig sein."
Schweigen legte sich über den Raum. Dumbledore sah müde aus.
„Ich denke, Severus hat recht. Sirius, auch die Todesser haben Familien. Wir dürfen nicht zulassen, mit unseren Taten Voldemort weitere Anhänger in die Arme zu treiben. Überlegt jede eurer Handlungen gut. Ich denke, wir können das Treffen nun beenden." Damit stand er auf und wollte den Raum gerade verlassen.
„Professor, warten Sie!", es war Amos Diggory der sprach.
„Was gibt es, Amos", fragte Dumbledore.
„Cedric... er wurde angegriffen. Es gab einen Dementorenangriff. Das Ministerium weigert sich, die Sache zu untersuchen, da sie behaupten, er würde nur Aufmerksamkeit wollen", sagte Amos.
„Das ist wirklich beunruhigend", sagte Dumbledore.
Alle anderen im Raum wirkten nun blass.
„Professor... Silvana schläft kaum noch, wir haben alle Schutzzauber im Haus angebracht, die nur irgendwie möglich sind... aber... es ist bekannt wo wir wohnen. Unser Haus ist im Verzeichnis des Ministeriums zu finden - ich würde Cedric und Silvana gerne in Sicherheit wissen."
„Natürlich, Amos. Ich werde mir etwas überlegen", versprach Dumbledore.
Nun waren tatsächlich alle gegangen. Sirius lud die anderen Mitglieder des Ordens ein, noch auf ein Butterbier zu bleiben, doch die meisten mussten weiter. Lediglich Remus, Mundungus und Bill blieben. Harry erhob sich ebenfalls.
„Harry, willst du uns nicht Gesellschaft leisten?", fragte Remus.
„Ich muss morgen früh arbeiten", sagte Harry schlicht und verließ die Küche.
Als er die Treppen nach oben ging, hörte er Mundungus fragen:
„Nicht ganz einfach, der Junge, oder?"

Die Antwort darauf hörte er nicht mehr. Er schlug die Türe hinter sich zu und sank zu Boden. Voldemorts Reihen wurden also stärker und er rekrutierte in den Familien der Todesser. Nicht, dass das nicht zu erwarten war, doch insgeheim fragte er sich, ob die Einigkeit in ihrem Haus, die er zu Schulschluss erreicht hatte, noch halten würde, wenn er wieder nach Hogwarts kommen würde. Bisher hatte Draco in seinen Briefen nichts über den Dunklen Lord geschrieben. Aber Draco war nicht blöd. Trotz ihres ausgeklügelten Systems schrieb er nie etwas, dass man gegen ihn verwenden konnte.
Dann kam ihm Ginny in den Sinn. Wie lange würde es wohl dauern, bis jemand sie nutzte, um an ihn heranzukommen? Wie lange würde es dauern, bis auch sie angegriffen wurde? Wäre sie in Hogwarts sicher? In ihrem Schlafsaal schliefen zumindest zwei Kinder einer Todesserin, die in Askaban war. Kundalini kroch aus ihrem Terrarium und schmiegte sich an Harrys Hand.
„Das ist doch alles Mist", murmelte Harry.

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