Kapitel 66: Die große Lüge

418 39 4
                                    

Schnellen Schrittes lief Harry den Weg zum Schloss hinauf. Er spürte den bösen Blick von Cedric in seinem Rücken. Ohne groß darüber nachzudenken, sprinte er die Stufen zum Slytherinkerker hinunter und murrte der Wand das Passwort zu.
In dem Moment, in dem die Wand zur Seite ging und er den Gemeinschaftsraum betrat, brach ein lauter Jubel über Harry herein. Vor ihm standen die Slytherins aller Jahrgänge, jubelten und riefen: „Slytherin, Slytherin!"
Ein warmes Gefühl der Genugtuung erfasste Harry. Er hatte es allen gezeigt - er würde nicht so einfach den Löffel abgeben. Sollte der Dunkle Lord doch probieren, was er wollte. Zum ersten Mal, seit dem ersten Traum im Sommer, in dem er erfahren hatte, dass der Dunkle Lord einen Plan hatte, Harry zu töten, hatte Harry das Gefühl, dass er alles im Griff hatte. Nein, noch besser: Der Plan des Dunklen Lords, ihn umzubringen, hatte Harry an die Spitze der Hierarchie des Hauses Slytherin katapultiert - eben jenem Haus, aus dem der Dunkle Lord die meisten seiner Anhänger rekrutiert hatte. Harry setzte lediglich ein arrogantes Grinsen auf, als seine Hauskollegen begannen, seinen Namen zu skandieren.
Adrian hatte erneut Essen und Getränke aus der Küche besorgt und aus einem alten Grammophon ertönte die Musik der Schicksals Schwestern, einer Band, von der Astoria und Ginny bereits im Sommer geschwärmt hatten.
„Harry, komm her, es gibt Butterbier!", rief Draco. Er hatte seinen Arm um Astoria gelegt und sah sehr zufrieden mit sich aus. Es war erstaunlich. In dem Moment, in dem sich Harry und Draco versöhnt hatten, schien er auch schon wieder an seinem alten Platz im Hause Slytherin. Harry musste über seinen besten Freund den Kopf schütteln. Seit Wochen hatte er sich nicht mehr so leicht gefühlt. Es war, als könnte ihm nun alles gelingen.
Er ging zu seinen Freunden und nahm sich ebenfalls ein Butterbier. Immer noch hielt er das goldene Ei in seiner Hand. Links von ihm saß Daphne, rechts hatte Ginny Platz genommen.
„Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht! Wie konntest du dich nur auf deine Parselmund Fähigkeit verlassen? Was, wenn es nicht geklappt hätte?", fragte Ginny.
„Er wusste, dass es klappt", sagte Daphne schlicht. Ginny sah zwischen Daphne und Harry hin und her.
„Ihr wusstet es! Ihr wusstet es und habt mir nichts gesagt!", flüsterte Ginny vorwurfsvoll, gerade so laut, dass es niemand der anderen hören konnte. Ginny sah wütend aus, sodass Harry unsicher zu Boden blickte und sich nervös durch die Haare fuhr. Wie schaffte sie es nur, ihm mit einem Blick ein so schlechtes Gewissen zu machen?
„Ginny, wirklich, ich wusste es selbst erst seit Sonntag Nacht - und Moody und Daphne waren die einzigen beiden, mit denen ich gesprochen habe... ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst", sagte er, kaum lauter als Ginny zuvor.
„Ich bin kein kleines Mädchen mehr, Harry! Nach allem, was du mir in Hogsmeade erzählt hast, dachte ich, du weißt das!", antwortete Ginny. Harry zog Ginny näher an sich.
„Ich weiß, dass du eine großartige junge Hexe bist und ich stolz sein kann, dass du mich zu deinen Freunden zählst." Ginny lächelte ihn nun sanft an.
„Weiter so, Harry. Dann bin ich dir vielleicht bald nicht mehr böse", sagte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Was ist in dem Ei?", fragte Draco, der sich in diesem Moment von Astoria abgewandt hatte und zu Harry herüber beugte.
Harry zuckte mit den Schultern. „Bagman meinte, es enthielte ein Rätsel, in dem die nächste Aufgabe enthalten ist."
„Worauf wartest du dann? Mach es schon auf!", forderte Ginny.
„Ach... ich weiß nicht...", begann Harry. Zu gern hätte er einmal nicht an das Turnier, den Dunklen Lord oder irgendetwas anderes gedacht und einfach nur mit seinen Freunden gefeiert.
„Bitte Harry. Spann uns nicht auf die Folter", meinte Ginny.
„Ja, Ginny hat recht! Öffne es!", forderte nun auch Daphne und Blaise, die auf Daphnes Schoß saß, nickte energisch.
„Na schön, wenn ihr unbedingt wollt", ergab sich Harry.

„Leute! Schnell schaut her, Potter macht das Ei auf!", rief nun Pansy, sodass ihm die Aufmerksamkeit des gesamten Gemeinschaftsraum sicher war. Millicent und Tracey warfen ihm bewundernde Blicke zu, während Adrian und Warrington gar nicht bemühten, ihre Neugierde zu verstecken und mit gehobenen Augenbrauen das Ei beobachteten. Na schön, wenn sie es alle wollen, dachte Harry und setzte ein selbstbewusstes Grinsen auf.
Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Er öffnete die filigranen Scharniere und wie von Zauberhand sprang es auf. Alle schauten hinein, doch es war leer. Stattdessen erfüllte ein markerschütternder Schrei den gesamten Kerker. Alle um ihn herum wichen zurück und hielten sich die Ohren zu. So schnell er konnte, schloss er es wieder.
„Was war das?", fragte Ginny.
„Wassermenschen", meinte einer der Erstklässler selbstbewusst. Harry versuchte sich, an seinen Namen zu erinnern. Malcolm Baddock - Harry erinnerte sich, dass er der erste in diesem Jahr gewesen war, der Slytherin zugeordnet wurde. Harry wusste, dass es Malcolm aufgrund der Tatsache, dass er ebenfalls ein Halbblut war, der bei seinem Muggelvater aufgewachsen war, nachdem seine Mutter verstorben war, alles andere als leicht hatte. Trotzdem warf er Harry einen arroganten Blick zu und sah die anderen an, als wäre es vollkommen offensichtlich und nur ein Trottel würde nicht auf die Lösung kommen.
„Wie kommst du darauf?", fragte Ginny, während Harry ihn genau beobachtete.
Der kleine Junge wich einen Schritt von Harry zurück und setzte eine Unschuldsmiene auf.
„Na ihr habt es doch auch alle schon öfter gehört! Wenn die Wassermenschen nicht wollen, dass man sie beobachtet, dann geben sie so komische Schreie von sich!", sagte Malcolm. Harry bemerkte, dass sich unter seiner Unschuldsmiene ein Grinsen hervor schlich. Die anderen um ihn sahen Harry gespannt an, wie er darauf reagieren würde. Harry musste sich zusammenreißen, nicht die Augen zu verdrehen. Er hatte diese Spiele in Slytherin schon öfter mitbekommen - Malcolm hatte wohl sehr viel schneller als Harry verstanden, dass man sich in Slytherin Respekt verschaffen musste, um nicht unterzugehen. Er hatte beschlossen, Harry dafür zu benutzen. Er war sich sicher, dass Malcolm in Slytherin noch weit kommen würde, wenn er seine große Klappe in den Griff bekommen würde. Ansonsten würde er bald auf die Nase fliegen. Harry beschloss, dass es besser war, ihm eine Lektion zu erteilen und nahm sich vor, den Jungen im Auge zu behalten. Mit einem falschen Grinsen auf den Lippen meinte er arrogant: „Danke Malcolm, dass du das Offensichtliche aussprichst."
Um ihn herum brachen einige älteren Schüler in Gelächter aus. Malcolm wurde rot im Gesicht, doch Harry musste zugeben: der Junge hatte recht. Immer wieder schlichen sich die Wassermenschen an den Gemeinschaftsraum heran. Und wenn man sie beobachtete, stießen sie die gleichen markerschütternden Schreie aus, wie das Ei in jenem Moment. 

Wege eines SlytherinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt