Kapitel 46: Die Ratte im Kerker

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Nach dem Vorfall mit den Dementoren bewegte sich Harry nicht. Nachdem sein Patronus verschwunden war, lauschte er Ginnys stockenden Atemzügen. Sie war am Leben. Die Dementoren hatten sie nicht erwischt. Um sich herum bewegten sich mehrere Gestalten. Seine Finger schlossen sich fester um seinen Zauberstab, einige Funken sprühten daraus hervor. Snape zerrte Black auf die Beine und Lupin Peter Pettigrew. Die Professoren kamen auf Harry und Ginny zu. Er klammerte sich immer noch an sie. Sie war eiskalt. 

„Harry... beruhige dich", flüsterte Professor Lupin sanft. „Das hast du sehr gut gemacht. Komm... wir gehen ins Schloss."
Harry sah Ginny an. Ihre Augen waren geweitet vor Angst. Ihr Haar durcheinander und sie war blasser, als damals, als sie gemeinsam aus der Dunkelheit der Kammer emporgestiegen waren. 
„Schaffst du es?", fragte er.
Sie nickte tapfer. Der Weg hinauf ins Schloss schien unglaublich weit. Ginny, die gerade nur knapp dem Kuss eines Dementoren entgangen war, konnte kaum alleine laufen. Pettigrew und Black, die gefesselt waren, kamen auch nicht sehr schnell voran. Die Dämmerung brach gerade herein und tauchte das Schloss und seine Ländereien in ein intensives Orange, während Snape das Eichentor zum Schloss öffnete.

„In mein Büro", befahl Snape. Niemand wagte es zu widersprechen. Als nächstes schickte er Lupin fort, um Dumbledore, Madame Pomfrey und Fudge zu holen. Ginny hatte sich mittlerweile wieder an Harry gepresst und sah aus, als würde sie die Welt nicht mehr verstehen.
„Was... was bedeutet, das eigentlich alles?", fragte Ginny verwirrt.
„Ich bin mir nicht sicher... Aber wie es aussieht, ist nicht Black der Mörder meiner Eltern, sondern Pettigrew", sagte er langsam und warf einen Blick auf Snape, der sowohl Pettigrew als auch Black mit einer solchen Abscheu in den Augen ansah, dass Harry seinen eigenen Hass über das ganze Chaos, in das sie geraten waren, für einen Moment fast vergaß.
„Dieser Mann... hat deine Eltern getötet?", fragte Ginny ungläubig. Snape gab ein Geräusch von sich, das an eine wütende Katze erinnerte und schnarrte: „Das werden wir noch sehen." 

Er hatte sich mittlerweile erhoben. Zielsicher schritt er auf Black zu und zog seinen linken Ärmel hoch. Black sah ihn herausfordernd an und gab ein bellendes Lachen von sich, als er sagte: „Pah - als hätte ich mich jemals einem anderen Zauberer untergeordnet und wäre vor seinen Füßen herumgekrochen." Nun hörte er sich fast wieder wie der Hund an, den Harry vor weniger als einer Stunde in die heulende Hütte verfolgt hatte. „Ich kam im Gegensatz zu dir ohne Verhandlung nach Askaban!"
Snape verengte die Augen zu einem Schlitz. „Es gab einen Spion. Es wäre wohl nicht besonders klug gewesen, ihn zu markieren, nicht wahr?", fragte der Professor ölig.
„Du musst es ja wissen, Schniefelus", knurrte Black. „Möchtest du nicht einmal nach Peters Arm sehen?"

Widerwillig Snape fuhr herum und wandte sich nun an den kleineren Mann. Dieser zitterte am ganzen Leibe und versuchte, seinen Arm unter seinem Körper zu verbergen. Doch Snape, etwa drei Köpfe größer, mit Zauberstab bewaffnet und vor allem nicht gefesselt, war stärker. Er riss ihm den Robe von der Arm. Eine seltsam verwaschen aussehende Tätowierung kam zum Vorschein. Harry glaubte einen Totenkopf und eine Schlange zu erkennen. Snape erstarrte. Dann verpasste er Pettigrew einen Schlag ins Gesicht und setzte sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Dort saß er, mit erhobenem Zauberstab, wie zu einer Statue versteinert.
„Was ist das?", fragte Harry, doch Ginny sah den kleinen Mann plötzlich viel verängstigter an als Black.
„Das, Harry, ist das Zeichen von Voldemort", sagte Black mit kaltem Blick in den Augen. Er ignorierte, dass Ginny ein Keuchen von sich gab, Pettigrew ängstlich quiekte und Snape scharf Luft einsog.
„Nur seine Anhänger tragen es," sagte Ginny mit hohler Stimme. Erkenntnis sickerte durch Harry hindurch und mit einem Schlag war der Hass, den er wenig zuvor noch für Black empfunden hatte, wieder da. Es gab nun keinen Zweifel mehr, was in der Nacht vor fast 13 Jahren passiert war. Harry stand auf und schritt auf Pettigrew zu.

„Du warst es. Du hast meine Eltern verraten", sagte Harry. Pettigrew wurde immer kleiner.
„Harry... du verstehst das nicht. Man kann sich ihm nicht widersetzen. Er... er...", stotterte der Mann und zitterte am ganzen Leib.
„Du wagst es! Du wagst es Harry anzusprechen!", schrie Black erzürnt. „James wäre für dich gestorben Peter! Wir alle wären es!"
Harry griff nach seinem Zauberstab.
„Lassen Sie das, Potter. Der Zaubereiminister ist auf seinem Weg hierher - tun Sie nichts, was Sie später bereuen. Pettigrew erhält die schlimmste Strafe, die man sich vorstellen kann", sagte Snape plötzlich bestimmt. Er hatte Snape völlig vergessen - vergessen, dass er Harry bereits einmal davon abgehalten hatte, Pettigrew anzugreifen. Pettigrew hingegen wimmerte nur ängstlich vor sich hin.
„Der Kuss des Dementor ist noch zu gut für ihn!", sagte Harry kalt. Gedehnt sagte Snape etwas, das ihm, seiner Miene nach zu urteilen, mehr als zuwider zu sein schien: „Sie wollen doch nicht wieder zurück zu den Muggeln, oder Potter? Denken Sie nach. Ich bin sicher, als Angehöriger meines Hauses sollte Ihnen diese Gabe nicht so fremd sein, wie manch anderen in diesem Raum."
„Was hat das mit Pettigrew zu tun?", zischte Harry, der seinen Zauberstab mittlerweile erhoben hatte.
„Ich werde freigesprochen und du bist mein Patensohn", sagte Black überrascht, als wäre ihm das erst jetzt bewusst geworden.
„Wenn es nach mir gehen würde, nicht! Dann bliebest du in Askaban, bis du alt und grau bist", knurrte Snape, der seinen Zauberstab auf Harry gerichtet hatte. „Doch das Leben ist leider nicht immer fair. Potter braucht einen Ort, an dem er im Sommer bleiben kann." 

Wege eines SlytherinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt