Kapitel 80: Entscheidung eines Slytherins

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Harry wollte die nächsten Tage mit niemanden reden. Der Kampf gegen Voldemort hatte ihn ausgelaugt. Was würde nun passieren? Der Dunkle Lord hatte ihm gesagt, er würde seine Gefolgschaft erwarten, wenn er gelernt hatte, was es bedeutete, nach der Macht zu greifen, die er ihm zu bieten hatte.
Doch er wollte sich nicht dem Dunklen Lord anschließen. Er hatte seine Eltern getötet. Er hatte mehrmals versucht, ihn zu töten und egal wie sehr Harry Muggel und Muggelgeborene verabscheute - er war kein Mörder. Er war sicher, er könnte sich niemals dem Dunklen Lord anschließen.
Harry hasste die ganze Situation. Er streichelte unbewusst den Kopf seiner Schlange, die zum Glück beschlossen hatte, nicht mit ihm zu sprechen. Er wollte einfach nur seine Ruhe. Sogar seine Freunde hatte er nicht zu sich gelassen. Diggory war längst entlassen worden, doch Professor Snape hatte, nachdem er gesehen hatte, welcher Zauber Harrys Arm getroffen hatte, darauf bestanden, dass Harry länger blieb. Harry war erleichtert gewesen, Snape gesund wieder zu sehen, auch wenn er nicht wusste, wie sein Professor es angestellt hatte, den Dunklen Lord von seiner Loyalität zu überzeugen.
So lag Harry die letzte Schulwoche im Krankenflügel, bekam regelmäßig Tränke um seinen Arm zu heilen und sprach kaum ein Wort. Stattdessen war er durchgehend in seine Gedanken versunken.

„Mr. Potter, Sie müssen jetzt gehen", sagte Madame Pomfrey am letzten Schultag sanft. Wortlos nahm Harry seine Sachen und ging hinunter in die Große Halle. Die Prüfungen waren beendet und die Schüler verbrachten ihre Zeit auf den Ländereien. In weniger als einer Stunde würde es Mittagessen geben. Harry wusste erst nicht, wo ihn seine Schritte hintrugen. Ein Teil von ihm wollte weiterhin seine Ruhe... ein anderer sehnte sich nach seinen Freunden. Es war dieser Teil, der schließlich siegte, als Harry aus dem Eingangstor trat, in das gleißende Licht der Junisonne.

Harry bemerkte, dass seine beiden besten Freunde nicht gemeinsam auf den Ländereien saßen. Draco saß mit Theo, Vince und Greg auf einer Seite, viele Meter von ihnen entfernt Daphne, Blaise und Astoria auf der anderen Seite. Verwirrt blickte Harry zwischen den beiden Gruppen hin und her. Es war nicht so, dass Draco sich nicht mit den anderen Jungs aus Slytherin verstand - eigentlich verstanden sie sich sogar sehr gut. Doch Harry hatte nie das Gefühl gehabt, dass Draco die Anwesenheit der anderen Jungs der von Daphne und vor allem der von Astoria vorzog.
Harry ging zuerst zu den anderen Jungs. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und flüsterten irgendetwas, womit sie sofort aufhörten, als Harry kam. Er war froh, dass sie ihn nicht mit Fragen bombardierten, weshalb er sich wortlos neben ihnen nieder lies. Als sie jedoch nicht zu sprechen begannen, sondern Harry seltsame Blicke zuwarfen, wurde es Harry zu bunt.
„Hey Jungs, alles ok bei euch?", fragte Harry. Die anderen schwiegen ihn an.
„Was ist los?", fragte Harry. Draco wollte etwas sagen, doch Theo verpasste ihm einen Schlag in die Seite. Draco wirkte irgendwie verloren in dieser Truppe.
„Du musst dich entscheiden, Potter", sagte Theo und deutete Draco, Vince und Greg, mit ihm mitzukommen, als er aufstand und zum Schloss zurückkehrte. Harry sah ihnen nach und er bildete sich ein, dass Draco ihm einen entschuldigenden Blick zuwarf, als er sich kurz umdrehte.
Verwirrt ging Harry nun zu den Mädchen.
„Wisst ihr, was mit den Jungs los ist?", fragte er Daphne. Die Mädchen warfen sich vielsagende Blicke zu, doch auch von ihnen sagte niemand etwas.
„Nun rückt schon raus mit der Sprache!", sagte Harry. Langsam stieg Wut in ihm auf. Er hatte eine schreckliche Woche hinter sich und wollte nun einfach nur bei seinen Freunden sein. Endlich war er bereit, wieder mit jemanden zu sprechen - und nun sprach niemand mit ihm.
„Ist das nicht offensichtlich?", fragte Blaise schließlich.
„Nicht für mich!", antwortete Harry.
„Diggory hat erzählt, was passiert ist, nachdem der Portschlüssel aktiviert worden war. Es ist allgemein bekannt, dass der Dunkle Lord zurückgekehrt ist", erklärte Blaise. Harry schluckte. Malfoy, Nott, Crabbe und Goyle Senior waren Todesser. Sie hatten auf der anderen Seite gestanden, als Harry seinen Zauberstab gegen den Dunklen Lord erhoben hatte.
„Was hat das mit den Jungs zu tun?", fragte Harry, dem langsam übel wurde. Er hatte so ein Gefühl, dass er wusste, worauf diese ganze Sache hinaus lief.
„Du kannst doch nicht so blind sein, Harry!", sagte Blaise. Daphne berührte die Hand ihrer Freundin.
„Sei nicht so streng mit ihm. Seine letzte Woche muss ein Albtraum gewesen sein", sagte Daphne und ihr Blick fiel auf Harrys Arm, der vom Fiendfyre vernarbt war. Blaise schnaubte.
Astoria war es, die schließlich zitternd das Wort erhob. Es schien sie schwerer zu treffen, als die anderen beiden Mädchen.
„In Slytherin gibt es viele Kinder, deren Eltern dem Dunklen Lord gefolgt sind. Von ihnen wird erwartet, dass sie sich ihm wieder anschließen."
Harry nickte. Er hatte sich so etwas bereits gedacht.
„Aber warum sprechen sie nicht mehr mit mir? Ich habe nicht vor, gegen den Dunklen Lord zu kämpfen, wenn er nicht derjenige ist, der mich angreift! Ich habe kein Interesse mit 14 Jahren gegen den mächtigsten Schwarzmagier dieses Jahrhunderts zu kämpfen!"
Daphne sah ihn mitleidig an. „Du wirst nicht diese Wahlfreiheit haben, ebenso, wie Draco und die anderen sie nicht haben. Du kannst nicht neutral sein, wie es unsere Familien sind. Bei dir heißt es, du stehst entweder auf seiner Seite oder du stellst dich gegen ihn. Deswegen fürchten sie, mit dir zu reden - mit dir gesehen zu werden. Harry - du musst dich entscheiden."
Harry schüttelte den Kopf. „Ich... ich will das nicht. Ich will mich nicht zwischen Dumbledore und dem Dunklen Lord entscheiden! Das ist doch Wahnsinn!", sagte Harry. Dumbledore und der Dunkle Lord waren für Harry in etwa gleich verachtenswert - doch noch etwas anderes machte ihm Sorgen. Egal für welche Seite er sich entscheiden würde, er würde einen der wichtigsten Menschen in seinem Leben verlieren. Seinen besten Freund, wenn er sich Dumbledore anschloss, seine geliebte Ginny, wenn er sich für den Dunklen Lord entschied.
Daphne nahm ihn in den Arm. „Du wirst dich entscheiden müssen. Vielleicht nicht heute und auch nicht morgen - aber irgendwann wirst du dich entscheiden müssen."
„Ich weiß", presste Harry hervor.
„Lasst uns essen gehen", meinte Blaise schließlich, als sie da so standen und niemand so genau wusste, was sie noch sagen sollten. 

Wege eines SlytherinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt