Kapitel 77: Macht und jene, die zu schwach sind, danach zu greifen

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Der Dunkle Lord betrachtete seinen neuen Körper. Wurmschwanz ignorierte er vorerst. Er riss seinen Zauberstab aus Wurmschwanz' Hand und wandte seine scharlachroten Augen wieder Harry zu. Er lachte kalt und freudlos. Dann griff er nach Wurmschwanz Arm und untersuchte ihn.
„Es ist wieder da!", verkündete er. Harry sah das Dunkle Mal auf dem Arm des kleinen Mannes. Der Dunkle Lord presste seinen langen, weißen Finger auf die magische Tätowierung und sie nahm ein glühendes Rot an. Harry hatte das Gefühl die Narbe auf seiner Stirn würde explodieren und der Schmerz seinen Körper verbrennen.
„Und nun werden wir sehen, wer den Mut hat, zu mir zurückzukehren", sagte der Dunkle Lord. Seine Stimme war eiskalt und sein Blick zeigte keine Gnade. Langsam ging er auf Harry zu, der verzweifelt überlegte, was er tun konnte.
„Harry Potter - da stehst du nun - auf dem Grab meines Vaters. Weißt du... ich habe diesen nichtsnutzigen Muggel umgebracht. Er war deiner Mutter nicht unähnlich. Doch am Ende hat er sich doch noch als nützlich erwiesen. So wie auch deine Mutter. Sie ist gestorben um dich zu retten und er... er hat bei meiner Auferstehung geholfen."
Harry hatte immer noch den Knebel in seinem Mund und konnte nicht sprechen, doch den Dunklen Lord schien das nicht zu stören. Er hob Harrys Kinn hoch, sodass sie sich direkt in die Augen sahen.
„Deine Mutter hat dafür gesorgt, dass ich dich nicht berühren konnte - doch der Schutz deiner Mutter ist verwirkt. Ich bin mit deinem Blut zurückgekehrt - ihr Schutz fließt nun auch durch meine Adern. Und nun bist du mir schutzlos ausgeliefert. Ich habe interessante Gerüchte über dich gehört, Harry Potter. Was wirst du nun tun?"

Bevor Harry über eine Antwort nachdenken konnte, war der Friedhof erfüllt vom Rauschen mehrerer Umhänge. Der Dunkle Lord ging einige Schritte von Harry zurück, während zwischen den Gräbern waren mehrere Zauberer erschienen. Er betrachtete seine Anhänger, sie trugen Masken und Kapuzen, mit einer Mischung aus Triumph und Ekel. Einer nach dem anderen kam auf sie zu... langsam, als würden sie ihren Augen nicht trauen.
Harry wurde übel, als der erste von ihnen auf den Boden sank und den Umhang des Dunklen Lords küsste. Einer nach dem anderen tat es ihm nach. Harry wusste, dass die meisten von ihnen einst stolze Slytherins waren, weshalb er sich nur eine Frage stellte: Wie konnte man sich nur so erniedrigen?
Sie stellten sich in einem Kreis auf, doch sie ließen Lücken, als würden sie erwarten, dass noch jemand kam. Ein Schaudern ging durch den Kreis, als Voldemort sie Reihum anblickte. Harry erkannte, dass die Todesser in diesem Moment mindestens genau so viel Angst hatten, wie er selbst.
„Willkommen, willkommen, meine Anhänger. So viel Zeit ist vergangen, seit wir das letzte Mal in dieser Runde zusammentrafen", sagte der Dunkle Lord. Er hob sein schreckliches Gesicht in die Luft und seine schlangenartigen Nüstern weiteten sich.
„Und doch... liegt Gestank in der Luft. Der Gestank von Schuld - von Verrat!", fuhr er fort.
Ein erneutes Schaudern lief durch den Kreis. Als ob sie davonlaufen wollten, es jedoch nicht konnten. Sie schafften es noch nicht einmal, zurückzuweichen.
„Ich sehe euch alle hier versammelt, gesund und unversehrt, auf der Höhe eurer Zauberkraft. Da frage ich mich doch... warum all die Jahre niemand von dieser Bande auf die Idee kam, nach seinem Lord zu suchen!"
Keiner antwortete - nur Wurmschwanz wimmerte vor sich hin, den blutenden Stumpf an sich gedrückt.
„Ich antworte mir wohl selbst", flüsterte der Dunkle Lord und doch war es deutlich zu hören, als würde er vor Harry stehen und nur mit ihm sprechen.
„Sie mussten geglaubt haben, ich sei gebrochen - besiegt und vernichtet. Und kaum war meine Niederlage verkündet, schlichen sie zu meinen Feinden zurück und behaupteten, sie standen unter meinem Zauber.
Und doch frage ich mich, wie konnten sie glauben, dass ich nicht wiederkehre? Sie, die sie wussten, dass ich Vorkehrungen getroffen habe, die das garantieren würden. Die sahen, dass meine Macht weiter reichte, als die eines jeden anderen Zauberers. Haben sie tatsächlich geglaubt, es gäbe einen jemanden, der mächtiger sei als ich?"

Ein neuer Schauder ging durch die Runde. Einer der Todesser brach zusammen, robbte auf den Knien auf die Gestalt in ihrer Mitte zu und klammerte sich an den Umhang des Dunklen Lords. Er flehte: „Bitte verzeiht mir, Lord - ich war ein unsagbarer Dummkopf!"
Doch der Dunkle Lord dachte nicht daran er verpasste dem Todesser einen Tritt, sodass dieser zusammenzuckte und den Umhang los ließ. Dann riss er ihm die Maske vom Gesicht und starrte in die angsterfüllten Augen des Mannes.
„Vierzehn Jahre, Avery! Vierzehn Jahre die ich im Elend verbringen musste, verlassen von meinen Anhänger. Crucio!", rief der Dunkle Lord. Harry schloss die Augen - er wollte nicht sehen, wie sich Avery im Dreck wandte und vor Schmerzen schrie. Schließlich erstarb der Schrei.
„Nein, der Dunkle Lord verzeiht nicht. Doch ich bin heute großzügig. Ich werde euch erlaubten, mir eure Schuld zurückzuzahlen", dann wandte er sich an Wurmschwanz. „Wurmschwanz hier hat bereits einen Teil seiner Schuld zurückgekehrt. Er ist zu mir zurückgekehrt, wenn auch nicht aus Treue, sondern aus Angst. Und dennoch... dennoch hat er sich als nützlicher erwiesen, als ihr alle zusammen."
„Bitte Herr!", flehte der kleine Mann, er hielt sich immer noch den Stumpf.
„Du magst nicht aus Treue zu mir zurückgekehrt sein und doch hast du mir geholfen, meinen Körper wiederherzustellen. Du musst wissen, der Dunkle Lord belohnt seine Helfer", sagte er.
Dann hob er seinen Zauberstab und erschuf dort, wo vorher Wurmschwanz Hand gewesen war, eine silbern schimmernde Zauberhand.
„Auf dass du nie wieder in deiner Treue wanken mögest", sagte der Dunkle Lord.
„Danke, Lord. Ihr seid unglaublich, mein Lord!" Wurmschwanz robbte auf den Knien zu ihm und küsste den Saum seines Umhangs.
Dann wandte sich der Dunkle Lord einer Lücke zu, breit genug für zwei oder drei.
„Die Lestranges sollten hier stehen. Sie sind lebendig begraben in Askaban - und doch blieben sie mir immer treu. Wenn ich die Mauern von Askaban erst gesprengt habe, wird sie eine besondere Belohnung erwarten."
Er schritt weiter. An einigen Todessern ging er wortlos vorbei, andere sprach er hingegen an. Wieder anderen riss er die Maske vom Gesicht und weidete sich an ihren angsterfüllten Gesichtern. Warrington, Parkinson, Crabbe, Goyle und Nott waren nur einige der Namen und Gesichter, die Harry erkannte. Ihm wurde erneut übel. Fast alle Eltern seiner Jahrgangskollegen waren hier. Er erwartete nicht, dass ihm jemand zu Hilfe kam.
Der Dunkle Lord kam zur größten Lücke. „Weitere sechs fehlende Todesser. Drei in meinem Dienst gestorben, einer, der mein treuster Diener blieb und bereits jetzt in Hogwarts in meinen Diensten steht; einer zu feige, zurückzukehren - er wird dafür bitter bezahlen und einer, von dem ich fürchte, dass er mich für immer verlassen hat."
Dann kam er zum Ende seiner Runde.
„Lucius mein aalglatter Freund", flüsterte er und blieb stehen. Harry riss die Augen auf. Mr. Malfoy hatte sich dem Dunklen Lord wieder angeschlossen. Würde er ihm helfen, wie er ihn schon so oft unterstützt hatte? Mr. Malfoy zuckte zusammen, doch er hielt den Blick des Dunklen Lords stand.
„Wie ich höre, bist du nie von den alten Traditionen abgewichen, auch wenn du der Welt ein anderes Gesicht zeigtest. Du bist immer noch der erste, wenn es darum geht, Muggel zu quälen. Deine Großtaten bei der Weltmeisterschaft waren erbaulich, keine Frage - doch auch andere Dinge sind mir zu Ohren gekommen. Man sagte mir, dass du mit Harry Potter verkehrst. Ihn sogar unterrichtet hast! Kannst du mir erklären, was du dir dabei gedacht hast, meinen erklärten Feind zu unterweisen?", fragte Voldemort. Seine Stimme war nun so kalt, dass Harry ebenfalls zusammenzuckte. Er machte sich Sorgen um den Vater seines besten Freundes.
„Mein Lord...", stotterte Mr. Malfoy. Oh, Harry wusste genau, warum Mr. Malfoy ihn aufgenommen hatte. Einerseits hatte Harry ihn erpresst, andererseits hoffte Mr. Malfoy sicher, sich damit in der Gunst des berühmten Jungen-der-lebt zu befinden. Harry machte sich keinerlei Illusionen. Mr. Malfoy schätzte nicht ihn, sondern seinen Namen und doch war er einer der wenigen gewesen, die ihn immer unterstützt hatten. Sicher auch, weil Draco sich für ihn ausgesprochen hatte. Dem Dunklen Lord würde diese Antwort nicht gefallen. Er hoffte inständig, dass Dracos Vater bald etwas einfallen würde - oder er sich im besten Falle schon etwas überlegt hatte, bevor er hierher gekommen war. Schließlich war Harry sicher, dass Draco ihn längst gewarnt hatte, dass der Dunkle Lord im letzten Jahr an Kraft gewonnen hatte, so, wie er sich nach ihrer Entdeckung von Snape und Karkaroff verhalten hatte.
„Harry Potter - er ist nicht euer Feind. Er kam nach Slytherin. Er teilt unsere Ideale. Er ist ein Schüler der dunklen Künste. Doch er war nicht immer so. Das ist meinem Unterricht und meiner Führung zu verdanken, mein Lord!", stotterte Mr. Malfoy. Harry hörte die Furcht in seiner Stimme. Voldemort drehte Mr. Malfoy den Rücken zu und schritt erneut auf Harry zu. Er streckte seine langen, dürren Finger nach Harrys Arm aus und wischte mit einem Finger das Blut weg.
„Lucius... du behauptest, Harry Potter wäre nicht mein Feind - und doch hat sein Blut, das mich wiedererweckt hat... sein Blut, das ich als Blut des Feindes in meinem Ritual genutzt habe!"
Mr. Malfoy zuckte zusammen. „Meister, ich kann es mir nicht erklären - Harry Potter würde euch hervorragend dienen!"
Harry bemühte sich, nicht die Augen zu verdrehen. Nein, Harry hatte gesehen, was der Dunkle Lord tat und egal wie sehr ihn dunkle Magie anzog, wie sehr er die Muggel verabscheute und die Schlammblüter verachtete - er konnte nicht an der Seite des Mörders seiner Eltern stehen. Er wollte niemanden töten oder so lange foltern, bis er den Verstand verlor. Zumindest nicht, solange es derjenige nicht, wie etwa Wurmschwanz, wirklich verdient hatte. All diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf.
Und dennoch - er würde vieles tun, um hier zu überleben.
Und war da nicht eine Seite in ihm, die sich danach sehnte, alle Formen der dunklen Künste zu erlernen?

Wege eines SlytherinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt