Kapitel 53: Okklumentik

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„Was soll das heißen? Ich war in den Gedanken von Voldemort?", fragte Harry leicht panisch. „So etwas wie Gedankenlesen? Das ist doch nicht möglich."
Sirius sah ihn nun noch besorgter an. „Es heißt Legilimentik. Es heißt, Voldemort war ein talentierter Legilimentiker. Talentierter als alle, die vor ihm kamen. Dumbledore meinte, bevor du zu mir gezogen bist, dass du durch deine Narbe eine Verbindung mit ihm hast... Nach allem, was wir wissen, ist es schon möglich."
Harry schüttelte den Kopf. Er wollte das nicht. Er wollte nie gegen den Dunklen Lord kämpfen, trotzdem war er ihm immer wieder gegenüber gestanden. Und nun sollte er nicht einmal in seinen Gedanken allein sein?
Wie sehr wünschte er sich gerade einfach mit Draco, Daphne und Ginny im Gemeinschaftsraum zu sitzen und Zauberschnippschnapp zu spielen, mit Kundalini neben seinen Füßen eingerollt. Doch Sirius hatte andere Pläne.
„Wir haben keine Zeit für Eulenpost", stellte Sirius fest. „Wir müssen uns beeilen."
Mit diesen Worten hob er seinen Zauberstab und rief: „Expecto Patronum!"
Ein großer, wild aussehender Hund brach aus seinem Zauberstab hervor und Sirius stellte sich direkt vor ihn.
„Albus, Harry und ich kommen in einer halben Stunde vorbei. Es darf keinen Aufschub geben."
Dann schwang er erneut den Zauberstab und der Hund lief davon. 

„Was war das?", fragte Harry.
„Patronus-Kommunikation. Netter kleiner Trick, den Albus uns im letzten Kampf gegen Voldemort beigebracht hat", erklärte Sirius. „Jetzt zieh dich an - wir müssen in einer halben Stunde in Hogwarts sein."
Harry bewegte sich jedoch keinen Zentimeter. Er hasste es, dass es nie eine andere Möglichkeit gab, dass ihm nie die Wahl gelassen wurde!
„Und was soll Dumbledore daran ändern, dass ich aus versehen in den Kopf des Dunklen Lords einen kleinen Spaziergang einlege?", schnarrte er zynisch. „Wenn es überhaupt das ist, was passiert ist."
„Dumbledore ist der einzige Zauberer, vor dem Voldemort jemals Angst hatte", antwortete Sirius streng. „Wenn dir jemand helfen kann, dann er."
Harry schnaubte. „Ach ja... wenn Dumbledore so clever ist, wieso hat er es dann nicht bemerkt, dass ein ganzes Jahr lang einer seiner Lehrer den Dunklen Lord im Hinterkopf hatte? Warum hat er nicht bemerkt, dass eine Schülerin ein Jahr lang von ihm besessen war? Wie konnte es passieren, dass einer der treusten Diener des dunklen Lords drei Jahre lang im Gryffindorschlafsaal verbracht hat, ohne dass es jemand mitbekommt. Meiner Meinung nach gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder, er wollte, dass ich dem Dunklen Lord immer wieder gegenüberstehe, oder er wird langsam wirklich der alte, verrückte Mann, der er immer vorgibt zu sein. Welche Möglichkeit auch immer es ist, ich vertraue ihm nicht."

Sirius seufzte und fuhr sich durchs Haar. „Manchmal vergesse ich, wie jung du doch noch bist, Harry. Du hast damals nicht erlebt, wie es war. Voldemort ist mächtiger als jeder andere schwarze Zauberer zuvor - selbst Dumbledore konnte nicht immer alle seine Pläne vereiteln. Verdammt, wir waren kurz davor, den Krieg zu verlieren, bevor du seine Kraft gebrochen hast. Aber zumindest hat er dafür gesorgt, dass du noch lebst. Nach allem, was ich so in Askaban gehört habe, keine Selbstverständlichkeit. Jene Todesser, die erst später eingesperrt worden sind, sind es meistens deshalb gefangen worden, weil sie versucht haben, dich zu töten. Dumbledores Zauber haben sie immer davon abgehalten."
Ein Schauder lief über Harrys Rücken. Man hatte bereits vor seiner Einschulung versucht, ihn zu töten? Er wollte nicht daran denken und meinte trotzig: „Ich vertraue ihm trotzdem nicht!"
„Na schön", sagte Sirius. „Du musst ihm auch nicht vertrauen. Das verlange ich nicht von dir. Aber ich möchte, dass du mir vertraust. Und ich glaube nun mal, dass Professor Dumbledore unsere beste Hoffnung ist."
Sirius und Harry starrten sich Gegenseitig an und zwinkerten dabei kaum. Als er ihn ansah, stieg die Wut in Harrys Bauch. Sirius schluckte, als Harry einen Schritt auf ihn zumachte. Er flehte: „Harry... Ich denke nicht, dass wir eine andere Wahl haben! Ich will dich nicht zwingen müssen..."

Harry spürte eine ungeheure Wut auf den Schulleiter und auf seinen Paten. Er wollte Sirius verfluchen, so wie er es in der Hütte getan hatte. Nein... schlimmer. Seine Hand fuhr zu seinem Zauberstab. Dieser Köter würde gar nicht sehen, was auf ihn zukam. Er wollte das mit ihm machen, was er mit dem Muggel gemacht hatte. Falsch... nicht er hatte den Muggel getötet... es war der Dunkle Lord gewesen. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass der Hass, den er fühlte nicht der Seine war. Er misstraute dem Schulleiter, keine Frage, doch er hatte den Mann niemals gehasst. Es war, als ob die Emotionen, die er fühlte, nicht seine eigenen waren - als ob er immer noch in seinem Traum gefangen wäre und durch die Augen des Dunklen Lords sehen würde. Harry sank in sich zusammen.
„Bring mich bitte nach Hogwarts", flüsterte Harry. Sirius legte seine Hand auf Harrys Schulter und ein unglaubliches Gefühl der Wärme durchströmte ihn. Es war, als ob die Hand auf seiner Schulter den Hass in Harry schlucken würde.
„Wir kriegen das hin Harry. Da bin ich mir sicher", sagte Sirius. „Und jetzt sollten wir uns anziehen. Ich denke nicht, dass Dumbledore es schätzen würde, wenn ich in meinem Gryffindor-Schlafanzug bei ihm auftauche."

Kaum zehn Minuten später öffnete sich ein Floh-Tunnel in das Büro von Dumbledore.
„Hi, Fawkes", flüsterte Harry, als er das Büro betrat. Der Phönix gab, anders als beim letzten Mal, nicht das herrliche Singen von sich, das er vor zwei Jahren gehört hatte, nachdem er Ginny aus der Kammer befreit hatte. Vielmehr sträubte er seine Nackenfedern, als Harry sich setzte.
„Was ist geschehen?", fragte Dumbledore, der noch seine Schlafmütze und seinen Schlafmantel trug.
„Harry - ich denke er hatte eine Vision, Albus. Willst du nicht erzählen, was du gesehen hast?", fragte Sirius.
Harry hob eine Augenbraue und sah ihn zweifelnd an. Immer noch war er sich nicht sicher, welche Emotionen seine eigenen waren und welche die des Dunklen Lords. Trotzdem beschloss er, mit seiner Erzählung zu beginnen. Er schilderte nun, anders als er es bei Sirius getan hatte, jedes kleinste Detail. Sogar den Geruch des Gebäudes konnte er lebhaft beschreiben.
„Was denken sie, Albus?", fragte Sirius.
Harry bemerkte, dass Dumbledore ihn nun nicht länger ansah, sondern seine eigenen Finger betrachtete.
„Wie hast du das gesehen?", fragte Dumbledore ruhig.
„Ich... ich weiß nicht...", meinte Harry. Noch immer wollte er nicht zugeben, dass er es aus der Sicht des Dunklen Lords gesehen hatte - dass er gefühlt hatte, wie der Todesfluch durch seine Hand geflossen war, bevor das Leben aus dem Muggel gestohlen hatte und dass er es genossen hatte - dass er immer noch den Hass des Dunklen Lords auf Dumbledore spürte.
„Harry, du musst Professor Dumbledore die Wahrheit, sonst können wir dir nicht helfen", sagte Sirius nachdrücklich.
„Ich war der Dunkle Lord", sagte Harry und blickte auf seine Zauberstabhand, als würde er dort etwas spannendes sehen. „Ich hab alles aus der Sicht des Dunklen Lords gesehen."
Dumbledore, nun den Blick auf Sirius gerichtet, fragte: „Bertha Jorkins, sagte Harry, nicht wahr? Du kanntest sie doch, oder Sirius?"
„Ja, eine Gryffindor, zwei oder drei Jahre älter als ich. Sie war nicht besonders clever und hatte ein großes Mundwerk, das sie öfter als einmal in Schwierigkeiten gebracht hat."
„Und ihr Fehlen hat noch niemand gemeldet?", setzte Dumbledore nach.
„Ich bin im Moment nur im Schreibtischeinsatz und die Hälfte des Ministerium traut mir immer noch nicht", sagte Sirius. Er klang frustriert, als er das sagte.
„Nun gut... Wir werden sofort Maßnahmen treffen. Sirius, warne die alten Kämpfer, dass er sich nun wieder erhebt und sie Augen und Ohren offen halten müssen. Ich muss noch kurz mit Harry sprechen", sagte der Schulleiter.
Harry griff nach Sirius Arm, als dieser sich erhob.
„Nein! Ich will nicht, dass Sirius geht. Sollte er gehen, gehe ich auch", sagte Harry sofort. Sirius warf Harry einen überraschten Blick zu. „Er ist mein Pate! Er hat das Recht, darüber Bescheid zu wissen!"
Dumbledore schien plötzlich unglaublich alt und abgekämpft. „Nun schön... ich denke, ein weiterer Gast sollte nun an diesem Gespräch teilhaben", sagte er. Im nächsten Moment klopfte es an der Tür.

„Albus?", fragte eine ölige Stimme.
„Komm herein, Severus."
Vor ihnen stand nun Professor Snape, in seiner ganzen Größe und warf Sirius einen hasserfüllten Blick zu.
„Was sucht er denn hier?", fragte Sirius wütend.
Auch Sirius war aufgestanden. Die beiden Männer standen sich nun von Angesicht zu Angesicht gegenüber und funkelten sich Böse an.
„Ich denke nicht, dass das deine Sache ist, Black", fauchte Snape.
„Ich denke schon, dass es meine Sache ist, wenn sich ein Todesser meinem Patensohn nähert!"
„Black, heute so heuchlerisch? Wir wissen beide, dass du eigentlich nach Askaban gehörst. Wir haben zwar den Beweis, dass Pettigrew schuldig ist, was die Morde vor dreizehn Jahren betrifft, aber ich werde nicht vergessen, dass du schon zu deiner Schulzeit in der Lage warst, einen Mord zu begehen", zischte Snape.
„Wir wollen doch nicht über unsere Schulzeit sprechen, oder Schniefelus? Wie viele Muggelgeborene hast du verflucht, bis du endlich deinen Abschluss hattest?", knurrte Sirius zurück.
Dumbledore hob beruhigend die Hände. Doch beide griffen nach ihren Zauberstäben, als hätten sie vergessen, dass sie sich in einem Raum mit Dumbledore befanden. Harry sprang nun auch auf.
„Er ist mein Professor, Sirius", sagte Harry, der nun zwischen den beiden stand. Auch wenn er nicht verstand, warum Dumbledore ausgerechnet Snape gerufen hatte. Sicher, er war Harrys Hauslehrer. Er hatte schon öfter als einmal Harrys Leben gerettet und es hatte sich so etwas wie eine fragile Vertrauensbasis zwischen ihnen entwickelt. Aber trotzdem, was hatte er hier zu suchen?
„Severus ist meiner Einladung gefolgt", sagte Dumbledore. „Und ich vertraue sowohl dir, Sirius, als auch dir Severus, dass ihr hier seit, um im besten Interesse von Harry zu handeln."
In diesem Moment schien beiden Männern wieder bewusst zu werden, wo sie sich befanden. Sirius schien rot zu werden, doch Snape setzte nur einen kalten Blick auf, als sie sich beide wieder hinsetzten.

Wege eines SlytherinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt