Kapitel 71: Die zweite Aufgabe

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Am nächsten Tag machte Snape seine Drohung wahr, Harry nachsitzen zu lassen. Kaum dass der Unterricht geendet hatte und Harry beim Abendessen saß, stand auch schon Snape vor ihm, um ihm mitzuteilen, dass er ihn nach dem Abendessen in seinem Büro erwartete.
An diesem Abend sollte Harry erfahren, warum die anderen Häuser das Nachsitzen bei Snape so fürchteten: Ja, Snape behandelte seine Slytherins bevorzugt und selbst Harry, der schon unzählige Male hatte nachsitzen müssen, hatte bisher davon profitiert. Doch bei diesem Mal war es anders. Snape war sauer. Stundenlang musste Harry Froschlaiche ausnehmen und Kessel schrubben, bis ihm schließlich Arme und Rücken schmerzten - nur um von Snape zu hören, dass er am nächsten Tag wieder kommen musste - jeden Abend, bis zur nächsten Aufgabe.

Wütend stapfte Harry an diesem Abend in den Gemeinschaftsraum. Als Harry seine Tasche zwischen Daphne und Draco schleuderte, fragte sie: „Was hat dir denn den Besenstiel verknotet?"
„Snape", knurrte Harry. „Ich muss bis zur zweiten Aufgabe jeden Tag nachsitzen."
Daphne warf ihm einen ungläubigen Blick zu und sagte: „Das kann er doch nicht machen!", während Draco nur schnaubte. Er fragte: „Was hast du diesmal angestellt?"
Bei dieser Frage nuschelte Harry vor sich hin und blickte sich unsicher um. 
„Ich also...", begann er. Daphne rollte die Augen.
„Ginny ist nicht hier. Aber ernsthaft Harry, du solltest ihr nicht immer alles verschweigen", sagte Daphne und warf Harry einen so durchdringenden Blick zu, dass selbst Dumbledore neidisch gewesen wäre. Mit einer ausladenden Bewegung meinte Draco: „Ach, lass ihn doch. Er ist schließlich der einzige, der momentan eine erfolgreiche Beziehung führt."
„Und Blaise und ich sind was? Gute Freundinnen?", fragte Daphne spitz und funkelte ihn böse an. Harry beschloss, sich nicht einzumischen. Es war nicht so, dass Draco die gleichen Vorurteile hatte, wie etwa Pansy - ganz ernst schien er die Beziehung von Daphne und Blaise trotzdem nicht immer zu nehmen. Harry wusste, dass dies die Reaktion der meisten Reinblüter auf Homosexualität war: Es gab keine direkten Anfeindungen, solange eine Linie von Reinblütern nicht in Gefahr stand auszusterben. Wirklich unterstützend waren sie auch nicht. Auch wenn Harry diese Einstellung nicht gut hieß - er wusste, dass Draco sich um Daphnes Willen bemühte. Draco hob verteidigend die Hände.
„Schon gut, schon gut! Harry, willst du uns jetzt sagen, was passiert ist, oder möchtest du lieber zusehen, wie Daphne mir den Kopf abreißt?"
Harry seufzte, dann erzählte er von der letzten Nacht.
„Harry, das war wirklich nicht besonders klug. Dunkle Magie in Hogwarts - sowas ist doch gefährlich!", sagte Daphne. Sie warf einen besorgten Blick in Richtung Adrian, der müde auf der Couch neben dem Kamin saß und ins Leere starrte. Sein Fluch war wohl stärker gewesen, als beabsichtigt. Kurz hatte er ein schlechtes Gewissen, das jedoch verschwand, als Draco neugierig fragte: „Wie war es?" 
Harry dachte an das Gefühl, dass er gehabt hatte, als ihm der Zauber gelungen war. Er spürte fast das angenehme Kribbeln, das ihn erfüllte, wenn er dunkle Magie praktizierte.
„Es war unglaublich. Adrian konnte sich nicht mehr rühren."
Daphne sah zwischen den beiden Freunden hin und her. Sie kaute unsicher an ihrem Stift herum.
„Harry, sei vorsichtig. Es haben sich schon viele in den dunklen Künsten verloren", sagte sie besorgt. „Draco... sag doch auch mal was!"
Draco starrte Harry einen Moment an. Harry wusste, dass Draco ihn ebenfalls gewarnt hatte. Nach einigen Minuten des Schweigens zuckte er mit der Schulter und meinte: „Mag sein. Aber Harry ist clever genug, zu wissen was er tut. Nicht wahr?"

Bevor Daphne etwas antworten konnte, betrat Ginny den Kerker. Nachdem sie Harry einen Kuss gegeben hatte, setzte sie sich zu ihnen.
„Hey Leute", grüßte Ginny. Dann sagte sie mit strengem Blick zu Harry: „Adrian hat mir erzählt, dass du das Rätsel immer noch nicht gelöst hast!"
Harry sah beschämt auf seine Hände.
„Es stimmt also!", sagte Ginny entsetzt. „Hast du eine Idee?"
„Adrian meinte, ich solle es mal ins Wasser halten."
„Worauf wartest du dann noch?", fragte Ginny, sprang auf und zog Harry ebenfalls hoch. Schwach murrte er: „Musste nachsitzen."

Ginny verdrehte die Augen bei dieser Ausrede und scheuchte ihn nach oben. Harry lief mit Ginny und seinen Freunden zum Badezimmer der Jungen. Sie ließen Wasser in die Badewanne laufen und Harry legte das Ei hinein. Zuerst hörten sie nur ein ersticktes Geräusch. Ginny fuhr nachdenklich über den Rand der Badewanne, dann sagte sie: „Ich wette, du musst unter Wasser!"
Harry krempelte seinen Umhang zurück und steckte seinen Kopf hinein. Ein seltsamer Chorgesang ertönte unter der Oberfläche.

„Komm, such, wo unsere Stimmen klingen,
denn über dem Wasser können wir nicht singen.
Und während du suchst, überlege jenes:
Wir nahmen, wonach du dich schmerzlich sehnest.
In einer Stunde musst du es finden
Und es uns dann auch wieder entwinden.
Doch brauchst du länger, fehlt dir das Glück,
zu spät, ist's fort und kommt nicht zurück."


„Noch ein Rätsel", stöhnte Harry, nachdem er den Kopf wieder aus dem Wasser gezogen hatte. Sein Magen verkrampfte sich. „Ich muss in den See", stellte er hohl fest. „Die Meermenschen werden mir etwas wegnehmen."
Auf die fragenden Blicke seiner Freunde hin wiederholte er das Gedicht.
„Wie willst du eine Stunde unter Wasser verbringen?", fragte Ginny. Harry überlegte. Er war sich sicher, noch nie von etwas gehört zu haben, dass ihm helfen konnte. Menschliche Verwandlungen lernten sie erst nach den ZAGs. Verwandlung war wirklich nicht seine Stärke und Adrian hatte es bisher nicht geschafft, ihm auch nur beizubringen, wie man die Augenbrauen umfärbte. Ansonsten fiel ihm nichts ein, dass ihm weiterhelfen könnte.

„Ich hätte da vielleicht eine Idee", sagte Draco plötzlich und lief davon. Etwas später kam er mit einem dicken Buch zurück. Harry erkannte das Buch, in dem sein Freund das ganze Semester lesen hatte sehen. Jenes Buch, dass er von Moody bekommen hatte. Draco schlug das Buch blätterte darin, bis er die Seite gefunden hatte, die er gesucht hatte. Sie war seltsam eingekreist.
„Kiemenkraut!", sagte Draco triumphierend.
„Was?", fragte Harry.
„Kiemenkraut - das ist ein Kraut, das dem Benutzer Kiemen wachsen lässt. Damit kannst du unter Wasser atmen!"
„Woher weißt du so etwas?", fragte Harry.
„Ich bin eben großartig", sagte Draco arrogant, was ihm ein Augenrollen von Ginny einbrachte.
„Wo bekommen wir das her?", fragte sie. „Ich denke nicht, es schon Mal auf der Standardliste für die Tränkezutaten gesehen zu haben."
„Schon vergessen? Unser Meister der Zaubertränke ist mein Patenonkel. Überlass das nur mir!", sagte Draco.

Tatsächlich brachte Draco Harry am Abend vor der Aufgabe das Kraut.
„Professor Snape wünscht dir viel Glück und lässt dir ausrichten, dass du nichts Dummes machen sollst", sagte Draco.
„Danke, Draco", sagte Harry und blickte sich um.
„Sag mal, was glaubst du, was sie mir stehlen werden?"
Draco zuckte mit der Schulter.
„Den Feuerblitz?", mutmaßte er. Harry schüttelte den Kopf. Der Besen war ihm wichtig, aber kaum so wichtig, dass er dafür in den See springen, geschweige denn, sich mit den Wassermenschen anlegen würde. Harry war ein Slytherin - er hatte, anders als so mancher Gryffindor, einen gewissen Selbsterhaltungstrieb.
„Ich denke nicht...", überlegte Harry. Doch was war ihm so wichtig, dass er alles dafür tun würde?
Astoria, Daphne und Blaise, die ihre Hand hielt, setzten sich zu den beiden.
„Alles klar? Bist du so weit?", fragte Daphne. Harry nickte und zeigte den Greengrassschwestern das Kraut. Es sah ekelhaft schleimig aus und roch nach Fisch. Die Mädchen verzogen die Gesichter.
„Draco hat es mir gerade gebracht."
„Sag mal... hast du Ginny gesehen? Snape wollte sie wegen irgendetwas sprechen, aber sie ist nicht zurückgekommen", sagte Astoria.
Harry schüttelte den Kopf. „Nicht mehr seit dem Abendessen." 

Wege eines SlytherinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt