Einige Straßen weiter wurde ihm plötzlich übel. Der Rausch den er bis eben noch gefühlt hatte, war plötzlich wie weggeblasen. Er fühlte sich nur noch elend. Erschreckend schnell wurde er sich seiner Lage bewusst. Er würde nie wieder zu den Dursleys zurückkehren können. Und er würde es, selbst wenn sie ihn wieder nehmen würden, auch nicht wollen. Außerdem hatte er mehrere Zaubereigesetze gebrochen. Da war das Gesetz zum Verbot Zauberei Minderjähriger. Doch das war noch sein kleinstes Problem. Tante Magda war keine Blutsverwandte oder Erziehungsberechtigte. Er hatte somit gegen das Geheimhaltungsabkommen verstoßen. Und dann war da noch die Tatsache, dass er mehrere Flüche angewandt hatte. Der Haarlos-Fluch war kein Problem. Auch der Furunkelfluch war nicht per se illegal. Der Nadelstichfluch lag... jenseits der schmalen Grenze zur dunkeln Magie und somit wahrscheinlich strafbar. Das Hauptproblem war das Muggelschutzgesetz, dass erst im letzten Jahr in Kraft getreten war und dass das Anwenden von Flüchen an Muggeln, außer wenn es zum absoluten Schutz des eigenen Lebens war, streng verbat. Egal wie er die Lage auch drehte oder wendete - er würde auf jeden Fall von der Schule verwiesen werden. Wahrscheinlich sogar schlimmeres. Grauen überkam ihn, als er an das kalkweiße Gesicht von Professor Snape dachte, nachdem dieser mitgeteilt bekommen hatte, er würde nach Askaban gebracht. Die Vorstellung von der düsteren Festung, deren Bild er in einem der Bücher in der Bibliothek gesehen hatte, jagte ihm einen Schauder über den Rücken. Ob ihm dieses Schicksal nun auch drohte?
In diesem Moment wurde es ihm klar - noch viel klarer, als es ihm bereits zuvor bei den Dursleys geworden war. Er war auf der Flucht. Dazu befand er sich in einer denkbar schlechten Ausgangslage. Seine Freunde waren im Ausland und er hatte keine Posteule um sie zu erreichen. Er hatte niemanden, den er um Hilfe bitten konnte. Er wusste auch gar nicht, wie seine Freunde reagieren würden, wenn sie hören würden, was er getan hatte.
Draco wäre vermutlich begeistert. Doch er war mit seiner Familie in Schweden. Bei Daphne war er sich nicht sicher. Sie wäre weniger begeistert, doch sie hätte mit Sicherheit Verständnis und würde ihm zur Seite stehen. Allerdings war auch sie nicht im Land.
Hagrid und Ginny wären ohne Frage entsetzt. Hagrid war dazu noch ganz Dumbledores Mann und Ginnys Vater liebte Muggel. Selbst wenn sie ihm helfen wollten, er war nicht sicher ob sie ihm überhaupt unterstützen könnten, selbst wenn er sie erreichen konnte. Er war also auf sich allein gestellt. Außerdem hatte er auch keinen Besen, mit dem er wegfliegen könnte - er hatte ja noch nicht einmal mehr viel Geld. In der Muggelwelt besaß er nur die beiden Pennys, die er von den Dursleys zu den letzten beiden Weihnachten bekommen hatte. In seiner Tasche befanden sich ein paar Sickel und Knuts, mit denen er in der Muggelwelt keinen Schritt machen konnte und auch in der Zauberwelt nicht weit kommen würde.
In der Nähe eines in der Dunkelheit liegenden Spielplatzes am Magnolienring ließ sich Harry schließlich nieder. Er musste überlegen, was er nun unternehmen könnte. Er hatte noch seinen Zauberstab, einen Tarnumhang und jede Menge Gold in einem Verlies in Gringotts. Er musste zugeben, seine Ausgangslage könnte auch schlechter sein. Er würde mit dem Tarnumhang nach London laufen - es würde einige Tage dauern, doch er hatte nun wirklich keine Alternativen. Dort würde er nach Gringotts gehen und all sein Geld abheben. Harry hatte gehört, die Kobolde scherten sich nicht groß um Zaubereigesetze, er musste also nur ungesehen nach Gringotts und wieder heraus kommen.
„Kein Problem, das schaffst du doch locker. Ist ja auch garnicht weit nach London", sagte eine sarkastische Stimme in seinem Hinterkopf. In Ermangelung besserer Pläne versuchte er trotzdem den Tarnumhang über sich und den Koffer zu werfen, als im plötzlich zwei glühende Augen in der Dunkelheit auffielen. Er war sich nicht sicher, was dort war.
„Lumos!", rief er und sein Zauberstab leuchtete hell. In einer Einfahrt neben dem Spielplatz stand ein großer, schwarzer Hund, der ihn fixierte. Seine langen, gelben Zähne blitzen im Licht des Zaubers. Erschrocken stolperte Harry zurück - direkt über seinen Koffer - und bevor er wusste, was er tat, steckte er seine Hand im Flug aus.
Im nächsten Moment sah er, wie etwas großes, violettes auf ihm zukam, dem er gerade noch ausweichen konnte. Panisch blickte er zurück zur Einfahrt, doch der Hund war weg. Dafür stand jetzt vor ihm ein großer, dreistöckiger Bus. Aus dem Bus stieg ein junger Mann, Harry schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Schmächtig und in eine zu weite violette Schaffneruniform gesteckt sah er Harry an.
„Mein Name ist Stan Stunpike und ich bin heute Ihr Schaffner. Wieso sitzt du am Boden?", fragte er.
„Bin hingefallen", antwortete Harry.
„Wieso bist du denn hingefallen?", fragte er.
„Ich dachte, es ist gemütlich hier", antwortete Harry zynisch. Einen Moment schien der Schaffner perplex, beugte sich dann aber zu ihm. Er zog ihn hoch.
„Na schön, wo soll's denn hingehen?", fragte er.
„Was ist das?", fragte Harry und starrte auf den Bus.
„Das ist der Fahrende Ritter. Du hast ihn doch gerufen, oder nicht?"
Stan deutete mit einem Blick auf seine Hand. Harry bemerkte, dass er noch immer den Zauberstab ausgestreckt hielt. So musste er ihn also gerufen haben... allerdings hatten ihm weder Daphne noch Draco jemals vom Fahrenden Ritter erzählt. Er überlegte, welchen Grund das wohl hatte und fragte: „Was ist der Fahrende Ritter?"
Der Schaffner schnaubte. „Nicht der Hellste oder? Der Fahrende Ritter ist ein Transportmittel für gestrandete Hexen und Zauberer. Für elf Sickel bringen wir dich überall hin, wo du hin musst", erklärte er.
Harrys Augen wurden groß. Das war seine Chance. Schnell richtete er sich auf und strich seine Haare vor die Stirn. Niemand sollte seine Narbe sehen.
„Ich muss zum Tropfenden Kessel. Das ist in London"
„Hast du gehört Ernie. Er muss zum Tropfenden Kessel. Das ist in London", äffte ihn der Schaffner nach. Harry verdrehte die Augen. Der Fahrer, ein älterer Zauberer mit dicker Brille lachte auf. Mit diesen Worten stieg Harry ein und zählte elf Silbermünzen aus seiner Geldbörse heraus. Im Bus gab es keine Sitze.
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Wege eines Slytherins
FantasyHarry und Draco begegnen sich an Harrys 11. Geburtstag in der Winkelgasse. Draco ist der Erste in Harrys Alter, der nett zu ihm ist. Und so ist es Draco, der Harry in die Welt der Magie einführt, anstatt von Ron Weasley. Wie ändert sich die Geschich...